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Auch unter der Regierung Carter: Weißes Haus contra Legislative

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Daß US-Präsident Carters politische Büanz im abgelaufenen Jahr schlechter als erwartet ausfiel, mag seine Ursachen in den großen Erwartungen haben, die er zu Beginn seiner Amtsperiode erweckte und die - wie die meisten seiner zahlreichen Wahlversprechen - unerfüllt geblieben sind. WiU man einer der Komponenten, die zu diesem negativen Ergebnis führten, besonderes Augenmerk zuwenden, muß man sich eingehender mit Carters Beziehungen zur Legislative, zum Kongreß, beschäftigen.

Was die bisherige Regierungstätigkeit Carters anbetrifft, stand diese bisher ganz im Zeichen einer andauernden Rivalität zwischen Kongreß und Weißem Haus. Dabei war ein erheblicher Teü der Wählerschaft erst nach langem Zögern und anfänglicher Skepsis in das Lager Carters gewechselt, weü man sich von dem von Demokraten beherrschten Kongreß und einem Demokratischen Präsidenten eine harmonische Zusammenarbeit zugunsten des Landes erwartet hatte. Die Zeit der fast permanenten Reibungen zwischen Kongreß und Weißem Haus, die unter den RepubUkani-schen Präsidenten Nixon und Ford einen Höhepunkt erreicht hatten, soU-ten hinter sich gebracht und eine Periode der Reformen herbeigeführt werden.

Die Wünsche der US-Bürger blieben bis jetzt unerfüllt!

Zunächst ist Carter der „von außen kommende Nichtpolitiker“. In dieser Verkleidung des Politikers liegt ein Hang zum Autoritären, was bei alteingesessenen und routinierten Volksvertretern automatisch auf Skepsis und Widerstand stößt. In den USA kam zu dieser mißfäUigen Beurteüung des Politikers noch die demagogische Schüderung der Hauptstadt Washington, die viele als ein sündhaftes, korruptes Adminstrationszentrum ansahen, das zu reformieren der „Weiße Ritter“ aus Georgia angetreten sei. Nach dem ersten Jahr seiner Tätigkeit hat sich jedoch sichtbar gezeigt, daß Präsident Carter kern „Weißer Ritter“ ist, sondern - was seine Talente und organisatorischen Fähigkeiten betrifft - von den Washingtoner „Insidern“, die er im Wahlkampf öfters verhöhnt hatte, noch so manches zu lernen hat.

Die Politiker im amerikanischen Kongreß sehen daher keine Veranlassung, sich von dem „Outsider“ Carter überfahren zu lassen, sondern verfolgen konsequent ihre eigenen politischen Interessen. Besonders unter Nixon, der die Exekutive auf Kosten der Legislative und der Rechtssprechung stärken woUte, hatten sie ihre Existenz bedroht gesehen. Nach dem Sturz Nixons und der mihtärischen Niederlage in Vietnam gewannen sie ihre Machtpositionen wieder und sie sind nicht bereit, diese aufzugeben.

Dazu4 kommt, daß Carter und sein Team den Kongreß mit ungezählten Plänen, Konzepten und Vorlagen überschwemmten, ohne zu berücksichtigen, daß der Kongreß nun einmal ein schwerfälliger Apparat ist, der geraume Zeit braucht, um strittige Entscheidungen mit Mehrheit zu treffen. So ringen Abgeordnetenhaus und Senat noch immer um eine Lösung der Energieprobleme und konnten sich bisher nur auf die Errichtung eines „Energieministeriums“ einigen.

Ungeachtet dessen hat das Weiße Haus dem Kongreß noch Vorlagen über eine Reform des gesamten sozialen Hüfswerkes zugeleitet, welche soviel pohtischen Sprengstoff enthalten, daß zumindest ein weiteres Jahr vergehen wird, bis es zu einer einigermaßen akzeptablen Beschlußfassung kommt. Dringender Erledigung harrt ebenfalls eine von der Regierung pro-ponierte Steuersenkung, die aber -wenn es nach Jimmy Carter ginge -mit einer grundsätzlichen Reform des gesamten Steuersystems Hand in Hand gehen sollte.

Es war aber nicht nur die Arbeitslast die dem Kongreß zugemutet, auch die Art, wie sie ihm aufgebürdet wurde, gibt zu denken. Reibungsfreie Zusammenarbeit zwischen Weißem Haus und Kongreß bedeutet enge Liaison, wozu vom Weißen Haus ein eigenes Büro unterhalten wird. Betagte und erfahrene Senatoren woUen aber nicht nur mit jungen, politisch unerfahrenen Technokraten im Weißen Haus reden, sie wollen mit dem Präsidenten selbst konferieren. Dies hat Carter zunächst völlig vernachlässigt, erst späte r, als er den eisigen Wind vom Kongreß her verspürte, begann er sich um die Kongreßpolitiker zu kümmern und in seine Pläne einzuweihen.

Was die Rivalität zwischen Kongreß und Weißem Haus besonders akzentuiert, ist nicht bloß das Tauziehen zwischen einem unerfahrenen Präsidenten und einer traditionsbeladenen Institution, es ist auch die Veränderimg der Struktur und Arbeitsweise innerhalb des Kongresses. Waren Abgeordnete und Senatoren vor dem Krieg in der Bearbeitung von Gesetzesvorlagen fast ausschließlich auf sich selbst angewiesen, so hat sich über die Jahre im Kongreß eine Bürokratie entwik-kelt die immer mehr expandiert. Während die Kongreßpolitiker früher meist Juristen und mit dem komplizierten Regierungsmechanismus vertraute Fachleute waren, rekrutieren sie sich heute aus allen Berufssparten. Der Senat und das Abgeordnetenhaus verfügen über Experten im Bereich der Außenpolitik, des Steuerwesens, der Wirtschaft und des Sozialwesens, die es der Administration schwer machen, die Vertreter der Legislative vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Der unglückliche Verlauf des Vietnamkrieges und die konstitutionelle Krise unter Präsident Nixon haben den Kongreß hellhörig gemacht. Er ist sein eigenes, wahrheitsfindendes Organ. Das wird sich auch nicht so bald ändern, obwohl es eine Tatsache ist, daß die Popularität der Gesetzgebung in den USA nicht besonders groß ist: Daß sich der Kongreß immer wieder selbst Gehaltserhöhungen bewüligt, macht ihn nicht populärer, auch nicht die schwelende „Korea-Untersuchung“, die lange Schatten auf seine Integrität wirft

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