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Der Kongreß und Kennedy

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Dieser Tage ist der amerikanische Kongreß, nach einer neunzehnstündigen Abschlußsitzung, in die Ferien gegangen. Die zweite Sitzungsperiode wird im Jänner nächsten Jahres beginnen. Die erste Sitzungsperiode — die längste seit dem Jahr des Koreakrieges 1951 — zeigte bereits, daß der

87. Kongreß kritischen Fragen gegenüberstehen wird.

Hat der Kongreß das in der ersten Periode verstanden?

Hat er auf die mannigfachen, vom Weißen Haus gemachten Vorschläge, ihrer Herr zu werden, positiv reagiert und der Politik der „New Frontiers“ seine Unterstützung geliehen?

Auf den Gebieten der Außenpolitik im weiteren Sinne hat der Präsident bewilligt bekommen, was er wünschte. Man stimmte dem Ausbau der Raum forschung, der Erhöhung des Wehretats und — allerdings stark eingeschränkten — Vollmachten für die Systematisierung der Auslandshilfe zu, autorisierte das für Lateinamerika bestimmte Programm „Bündnis für den Fortschritt“, bestätigte das „Friedenskorps“ als permanente Organisation, die Errichtung eines speziellen Büros für Abrüstungsfragen und erweiterte übernationale kulturelle Austauschprojekte.

Zwar sind an mehreren Stellen die angeforderten Summen für Einzelvorlagen beschnitten worden, aber insbesondere bei allen mit der militärischen Sicherheit zusammenhängenden Projekten hat auch die republikanische Opposition keine Schwierigkeiten gemacht.

In einzelnen Fällen hat sich der

Kongreß ein Aufsichtsrecht über Geldverwendung und Prozeduren bei der Ausführung von in Aussicht genommenen Maßnahmen Vorbehalten.

Alles in allem sind die beiden Häuser des Kongresses — Senat- und Repräsentantenhaus — in der „nationalen“ Politik auf die Vorschläge des Präsidenten willig eingegangen.

Etwas anders sieht das Bild da aus. wo es sich um „soziale" Fragen, das heißt, um Innenpolitik im weiteren Sinn handelt.

Hier hat Kennedy einige schwere Niederlagen einstecken müssen. Die republikanische Opposition, zumeist verstärkt durch die geschlossene Phalanx der Süddemokraten, hat es verhindert, daß zwei der wichtigsten Wahlversprechen des Präsidenten eingehalten werden konnten: die Einführung einer Altersversicherung als Teil der bereits bestehenden Sozialversicherung und das fünfeinhalb Milliarden benötigende Programm für den Ausbau der Erziehung in öffentlichen Schulen, wo die Sonderfrage der Privatschulen blockierend sich auswirkte.

Hier und in einigen anderen Fällen zeigte es sich, daß die demokratische Mehrheit in beiden Häusern sich als Fiktion erweist. Da es keine Parteidisziplin gibt, stimmen die Süddemokraten in allen Fragen, wo das

Hauptargument der Republikaner, Kennedy sei zu ausgabenfreudig, sich mit dem Mißtrauen der „Staatsrechtler“ verbindet, zu weitgehende finanzielle Beteiligung Washingtons an sozialen Projekten würde automatisch zu einer allgemeinen Kontrolle örtlicher und einzelstaatlicher Maßnahmen durch den Bund führen, gegen die eigene Parteimehrheit und den demokratischen Präsidenten.

Ein drittes Problem, dessen Lösung Kennedy versprochen hatte, ist in der ersten Sitzungsperiode gar nicht ernsthaft in Angriff genommen worden: die Schaffung einer endgültig verbindlichen Zivilrechtsgesetzgebung, das heißt, der kompromißlosen Sicherung der Gleichberechtigung der Neger entgegen noch bestehenden Staatsgesetzen in südlichen Staaten.

Das Weiße Haus war sich darüber klar, daß das Bündnis zwischen Republikanern und den hier direkt „angegriffenen“ Süddemokraten sie auf jeden Fall abwürgen würde.

Aber es gab auch Punkte, an denen der Kongreß — der Senat bereitwilliger als das Repräsentantenhaus — dem Präsidenten folgte. Er stimmte Hilfsmaßnahmen für wirtschaftlich gefährdete Gebiete zu, erhöhte den Mindestlohn und autorisierte zusätzliche Maßnahmen in der Arbeitslosenunterstützung.

Ein voller Erfolg für das Weiße Haus war die Annahme eines großzügigen Bauprogramms, weit umfassender als die im vorigen Kongreß eingebrachte Vorlage, gegen die Eisenhower Einspruch erhob. Verständlicherweise haben Budgetüberlegungen immer wieder im Mittelpunkt der Differenzen ge standen. Teilweise hat das dazu geführt, daß man für notwendig erachtete Ausgaben auf dem militärisch-außenpolitischen Feld durch Einsparungen in der Innenpolitik zu balancieren versuchte. Dennoch hat die erste Periode des Kennedy-Kongresses 95 Milliarden und 800 Millionen für Vorlagen des Präsidenten bewilligt, zum Unterschied von 83 Milliarden 800 Millionen, die man im Vorjahr Eisenhower zur Verfügung stellte. Nur während des zweiten Weltkrieges und während der

Korea-Aktion hat der Kongreß größere Summen bewilligt.

Man kann sagen, daß Kennedy es vermocht hat, angesichts der weltpolitischen Krise den Kongreß außenpolitisch auf seine Linie zu bringen, aber auf dem innenpolitischen Feld zufriedenstellende Resultate auch deshalb nicht überall erzielt hat, weil er offensichtlich mehr als einmal es an eindrucksvoller Initiative vor der Öffentlichkeit hat fehlen lassen, um seinen Plänen Nachdruck zu verleihen.

Die Schatten der Außenpolitik haben deutlich das’ Augenmerk der New- Frontier-Architekten so stark auf die nationale Politik gelenkt, daß daneben die Sozialwelt vorübergehend etwas in den Hintergrund trat. Die zweite Sitzungsperiode 1962 wird sie wieder stärker zu konfrontieren haben.

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