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Roosevelts Erbe

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Es wird sich schwerlich in Hinkunft ein abendländischer Geschichtsschreiber finden, der den Mut haben wird, den bekannten Satz, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln, auf den letzten Krieg anzuwenden. Denn diese Definition setzt voraus, daß der Krieg Probleme löst, die ohne ihn nicht hätten gelöst werden können, oder von denen dies mit einer gewissen geschichtlichen Wahrscheinlichkeit später behauptet werden kann. Die Politik aber, die mit dem letzten Kriege verbunden wurde, hat nicht nur zu keiner Lösung politischer Probleme geführt, sondern obendrein neue und schwerere geschaffen. Die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten besitzt denn heute auch schon die Einsicht, diesen Stand der Dinge als das außenpolitische Erbe Roosevelts zu bezeichnen, mit dessen Liquidierung der Nachfolger Roosevelts eine harte Aufgabe übernommen hat. Die Worte Casa-blanca, Kairo und Jalta umschreiben im großen und ganzen die außenpolitische Bürde, die der verstorbene Präsident hinterlassen hat. Das Ergebnis der in Casablanca beschlossenen Forderung der bedingungslosen Kapitulation ist der gegenwärtige Zustand auf dem Gebiete des Bismarckschen Reiches. Die Einreihung des von dem Regime Tschiang-kaischeks vertretenen China unter die prädestinierten Siegermächte muß als die Prämisse der jetzigen Verhältnisse in Ostasien angesehen werden. Und in Jalta wurden die Grundsteine zu einem Gegensatz gelegt, der nun die Welt mit der Gefahr eines neuen Krieges bedroht. Bei der Liquidierung dieser Erbschaft wird die Administration Truman gezwungen, ihre rekonstruktiven Anstrengungen fortschreitend in einem Maße zu erweitern, das wider ihre Absicht den Eindruck erweckt, als “strebe sie eine Weltregierung an, und das an die Staatsfinanzen gleichwie an die militärische Bereitschaft der Vereinigten Staaten die höchsten Ansprüche stellt.

In den ersten Jahren seiner Präsidentschaft versuchte Truman den Zusammenbruch der Außenpolitik seines Vorgängers dadurch zu verschleiern, daß er die auswärtigen Geschäfte im ständigen Einvernehmen mit den Republikanern auf überparteilicher Basis führte. Seine Haltung war damals, nachdem er durch den plötzlichen Tod Rooseyelts von einem Tag auf den andern aus dem Dunkel der Vizepräsidentschaft in das grellste Licht als Regierungschef der größten Weltmacht getreten war, angesichts der ungeheueren Probleme, welche die Liquidierung des Krieges boten, auf allen Gebieten der Politik zunächst unentschieden. Die schweren Verluste seiner Partei bei den Kongreßwahlen des Jahresschienen ihm jede Aussicht auf einen Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen des Jahres 1948 zu rauben, und in dieser kritischen Situation sagte er sich offen von allen Rücksichten auf die Roosevelt-sche Tradition in der Außenpolitik los, worin er sich durch die autoritäre Persönlichkeit des von ihm mit glücklicher Hand zur Leitung des Staatsdepartements berufenen Generals Marshall bestärken ließ. Durch die überraschende Wahl zum Präsidenten für die Periode 1948 bis 1952 in seiner Stellung bestätigt, glaubte er auf die weitere Unterstützung seiner Außenpolitik durch die Republikaner verzichten zu können. Der republikanische Senator Vandenberg, welcher der Europapolitik Marshalls die tatkräftigste Hilfe gewährt hatte, schied infolge schwerer Erkrankung für einige Zeit aus dem politischen Leben aus, und bald darauf trennte sich Truman von Marshall, der bei den Republikanern großes persönliches Ansehen genoß, um Acheson, einen sachkundigen Beamten ohne innenpolitische Beziehungen, die Leitung der auswärtigen Geschäfte zu übertragen.

Aber gerade zu jener Zeit machten sich die Folgen der verhängnisvollen Fehler und Irrtümer Roosevelts auf dem Gebiete der internationalen Politik in so offensichtlicher Weise geltend, daß in den Kreisen der Republikanischen Partei die Gegnerschaft gegen die amtliche Außenpolitik rasch überhand nahm, sich in persönlichen Anwürfen gegen Acheson und einige hohe Beamte des Staatsdepartements, zuletzt in der gehässigen Kampagne des Senators McCarthy Luft machte, sogar die Fortsetzung der Marshall-Hilfe bedrohte und sich in der Wherry-Bridges-Gruppe im Senate bis zur Befürwortung einer Rückkehr zum Isolationismus steigerte. Den Höhepunkt erreichte diese Krise im Augenblick des dramatischen Rückschlags, den die amerikanische Fernostpolitik durch die Ausrufung des kommunistischen Regimes im ganzen kontinentalen China erlitt. Damals sprach man offen von dem unvermeidlichen Rücktritt Achesons und seiner Ersetzung durch Dr. Jessup, den Botschafter in besonderer Mission und Vertrauensmann des Präsidenten für die. ostasiatischen Angelegenheiten.

Aber der Entschluß, Tschiangkaischek seinem Schicksal zu überlassen, stammt noch von Marshall her, Marshall, der die innere Schwäche und die Korruption des Regimes Tschiangkaischeks schon früh erkannt hat, glaubte in der kritischen Phase, die Europa im Sommer 1948 durchlief, die interventionistischen Kräfte der Vereinigten Staaten nicht zersplittern, sondern zur Ganze für die europäische Sache einsetzen zu sollen. Sein Werk wird nun seit mehr als einem Jahre von Acheson gewissenhaft fortgesetzt, doch gibt es Kreise im amerikanischen Kongreß, die nicht nur mit' den Fortschritten der wirtschaftlichen Konsolidierung und vor allem der wirtschaftlichen Einigung in Europa unzufrieden sind, sondern die auch am Atlantikpakt und dem militärischen Hilfsprogramm für Europa auszusetzen haben, daß man hier über ein Programm und eine Rahmenorganisation noch nicht weit hinausgekommen sei. Die nicht immer zweckmäßige Verwendung der Marshall-Gelder, die Hemmungen in der Liberalisierung des europäischen Handels, die Reibungen im europäischen Zahlungsverkehr, das gelegentliche Wiederaufleben nationaler Gegensätze bieten denjenigen, die der Administration Truman Schwierigkeiten bereiten wollen, hinreichend Anlaß zu Kritik,

Angesichts der Gefahren, die sich in Ostasten zu entwickeln im Begriffe standen, hatte Truman gleich nach seiner Wahl in dem sogenannten Punkt 4 seines Programms eine wirtschaftliche Hilfsaktion für die zurückgebliebenen Länder im Mittleren und Fernen Osten in Aussicht genommen. Die Befürchtungen, die diesem Projekt zugrunde lagen, verwirklichten sich jedoch rascher als die Maßnahmen, mit denen man einem solchen Gang der Dinge zuvorkommen wollte. So mußte es die Leitung der amerikanischen Außenpolitik erfahren, daß ihre Bemühungen um einen antikommu-nistischen Pakt zwischen den südostasiatischen Staaten auf einer Konferenz von Vertretern der dortigen Regierungen mit dem Hinweis übergangen wurden, ein solcher Pakt wäre wertlos ohne eine effektive wirtschaftlich und finanzielle Unterstützung der in Betracht kommenden Staatswesen. Seither sind'in Ubereinstimmung mit einem vom australischen Außenminister Spender auf der Commonwealthkonferenz von Colombo beantragten wirtschaftlichen Hilfsprogramm für die der kommunistischen Expansion zunächst ausgesetzten südostasiatischen Länder zu diesem Zwecke die ersten ansehnlichen Summen vom amerikanischen Kongreß bewilligt worden.

Acheson hat sich in seiner Bedrängnis durch seine Gegner, die sich nicht auf die Republikanische Partei beschränken, im März mit einer Reihe von Reden direkt an das amerikanische Volk gewendet und um Verständnis für seine auswärtige Politik geworben. In einer Rede in der kalifornischen Stadt Berkley formulierte er sieben Forderungen an Rußland zur Beendigung des Kalten Krieges. Sie wurden in Moskau scharf zurückgewiesen und auch in der westlichen Presse mit Reserve behandelt. In diesem Augenblick kam Acheson der Präsident mit dem Entschlüsse zu Hilfe, die Führung der auswärtigen Politik wieder, wie vor 1948, auf eine fiberparteiliche Grundlage zu stellen.

Er berief zu diesem Zwecke zwei angesehene Republikaner, die ehemaligen Senatoren John S. Cooper und John Foster Dulles, als Berater Achesons in das Staatsdepartement, und es heißt, daß auch der frühere Chef der ECA in China, Roger Lapham, eine wichtige Stelle in diesem Amte erhalten soll. Nach den bisherigen Dispositionen wird sich Acheson in Begleitung Dr. Jessups und Coopers über Paris, wo er Vorbesprechungen mit Schuman führen will, Mitte Mai nach London zur Tagung des Atlantikpaktrates begeben. Die Phase der Unsicherheit in der amerikanischen Außenpolitik scheint damit überwunden zu sein. Eine solche Festigung, die schon das Herannahen der im November stattfindenden Neuwahlen zum Kongreß forderte, wurde mit weit stärkerer Macht durch die schwer abwägbare Verantwortung erzwungen, die der amerikanischen Regierung in ihrer führenden weltpolitischen Rolle bei der gegenwärtigen internationalen Spannung zufällt.

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