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Warum Truman?

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Der Sieg des Präsidenten Truman bei den Wahlen am 2. November kam vielen unerwartet. Die führende amerikanische Presse, soweit sie nicht aus demokratischen Parteiblättern bestand, war in ihrer Mehrheit gegen Truman, und auch die zahlenmäßig geringfügige demokratische Parteipresse zeigte nicht sehr großen Optimismus. Der Sieg Trumans ist zwar knapp gewesen, aber dennoch geht seine Bedeutung weit über die Personen der Kandidaten und selbst über die augenblickliche Weltlage hinaus. Man darf aber die verschiedenen Nebenursachen, die alle gegen die Republikanische Partei sprachen, nicht übersehen. Doch wären diese auch weggefallen, Deweys Sieg wäre noch immer nicht überwältigend ge-wesen. Nur schwer hätte es ihm gelingen können, wieder einmal in unserer Generation ein republikanisches Zwischenspiel in das Zeitalter der demokratischen Parteiherrschaft Amerikas einzuschalten.

Ein Vergleich der beiden Hauptkandidaten läßt Rückschlüsse ziehen. Deweys Popularität war beschränkt; vielleicht hätte Taft als Kandidat mehr Stimmen auf sich vereinigt, denn er ist der Sohn eines Präsidenten, und wenn wir H. L. Mencken Glauben schenken, so sind die Amerikaner im Grunde ihres Herzens Liebhaber der Erbfolge. Außerdem spricht Deweys ganze Karriere und sozialer Hintergrund die ‘Massen nicht an. Er ist weder ein Aristokrat wie Roosevelt, noch ein „kleiner Mann“, sondern entstammt gutbürgerlichen Kreisen. Ein städtischer Proletarier, ein unehelicher Häuslerssohn, wie D. W. Brogan richtig bemerkt, wäre als Präsident ganz undenkbar. Harry Truman dagegen verkörpert die Massen weit besser als Dewey, der einen berühmten Admiral zu seiner entfernten Verwandtschaft zählt und als erfolgreicher Staatsanwalt seine ersten Sporen verdient hat. Dewey gilt als „stuffy", steif, eingebildet. Truman hingegen ist nicht einmal Akademiker und arbeitete jahrzehntelang als Verkäufer in einem provinziellen Herrenmodegeschäft. Erst dann wagte er den Sprung in die zwar enggesteckte, aber doch interessante Stadtpolitik von Kansas City. Nebenbei besuchte er eine Law School, eine Art Advokaturschule. Für den Durchschnittsamerikaner mit seiner kommerziellen Einstellung wirkt ‘ er daher viel anziehender. Dazu kfWimt der Umstand, daß das brennende politische Interesse bei der amerikanischen Jugend fehlt; Politik ist eine Angelegenheit der bereits im Erwerbsleben er-folgreichen Amerikaner. In meiner zehnjährigen Lehrtätigkeit an amerikanischen Universitäten und Colleges habe ich in der Jugend fast überhaupt kein Interesse für die inneramerikanische Politik finden können; abgesehen von der weltanschauungslosen Lokalpolitik, ist sie auch zu farblos, um die Phantasie junger Menschen zu fesseln.

Von diesen persönlichen Momenten abgesehen, muß auch in allerdings bedeutend geringerem Maße das Element der Außenpolitik in Betracht gezogen werden. Bei den Wahlen in den Jahren 1940 und 1944 arbeitete die Roosevelt-Propaganda mit dem Schlagwort aus dem Pionierzeitalter: „One mtist not change horses in midstream.“ ,Man darf die Pferde nicht während der Stromüberquerung auswechseln.“ Mit der Stromüberquerung war natürlich die Krise und dann der Krieg gemeint. Zwar hat nun ein , Mann wie General Marshall am Anfang seiner politischen Laufbahn schwere Fehler gemacht — man denke nur an seinen fatalen Chinabericht —, aber das amerikanische Volk hält seine Europapolitik mitsamt dem Plan, der seinen Namen trägt, im großen und ganzen für richtig. Außerdem ist die amerikanische Verwaltung, die mit einem neuen Präsidenten zum größten Teil ausgewechselt wird, derartig auf Amateurwesen aufgebaut, daß es auch einigermaßen gewagt erscheint, wenn man Männer, die nun endlich etwas Erfahrung gesammelt haben, kurzerhand auswechselt. Ihre jetzigen Vertreter kennt man, und die Dewey- Gruppe war noch nicht erprobt. In der zur Zeit herrschenden bösen Krise wollte man nicht experimentieren.

Zu allem kommt der, Eindruck, den der alte Kongreß hinterlassen hat. Seit den letzten zwei Jahren hat der Kongreß eine republikanische Mehrheit, während der Präsident und die Regierung demokratisch waren. Die Regierung in Amerika wird vom Präsidenten ernannt und braucht im Kongreß Repräsentantenhaus und Senat keine Mehrheit. Ein Vertrauensvotum wird daher auch nie gestellt, und gestürzt kann die Regierung nur durch Neuwahlen werden. Auch das Amt eines Ministerpräsidenten ist unbekannt. Nun sind die weltanschaulichen Unterschiede zwischen den Demokraten und den Republikanern nach europäischen Begriffen recht verschwommen; trotz der Demokraten des Südens, die. reaktionärer sind als die konservativsten Republikaner ist die Demokratische Partei die Partei des New Deal und der Arbeiterschaft, des „Fortschritts“ und der sozialen Gesetzgebung. Die G. O. P. Grand Old Party, wie die Republikaner ihre Organisation nennen, ist die Partei des alten Nordens mit ihren historischen Schichten einschließlich des Mittelstandes und der meisten Farmer. Dennoch aber können die Republikaner keine wirkliche Klassenpolitik betreiben, wenn sie auch zuweilen gegen die Arbeiter auftreten — man erinnere sich an die Taft-Hartley Bill. Worin kann also die Grand Old Party wirklich originell sein? In keiner Beziehung. In ihrer Schlüsselstellung im Kongreß konnte sie lediglich der Regierung gegenüber eine Haltung steriler Opposition einnehmen. In den Fragen der Außenpolitik arbeitete sie mit der Regierung zusammen und im sozialen Sektor war sie nicht bewegungsfrei. In diesen zwei Jahren hatte der republikanische Kongreß wirklich nichts geleistet — und man muß dazusetzen — er hätte auch wirklich nichts leisten können. Wenn die Republikaner versucht hätten, in Fragen der Sozialgesetzgebung und der Arbeiterrechte den Demokraten den Wind aus den Segeln zu nehmen, dann hätten sie sich selbst aufgegeben — und die Arbeiterschaft hätte ihnen doch nicht über den Weg getraut. So war die Anschuldigung der Truman-Propa- ganda, daß die letzten zwei Jahre einen „Do-nothing-Congreß“ gesehen hätten, vollauf gerechtfertigt. Mit dieser Problemstellung kommen wir nun zum wirklichen Kern der Bedeutung der jetzigen Wahlen.

Im letzten Buch des konservativen Engländers Wyndham Lewis befindet sich das Fragment eines Satzes: „Sollten die Konservativen je wieder einmal für kurze Zeit an die Macht kommen …“ Im selben Sinn könnte man dies über die amerikanischen Republikaner schreiben, denn hier stehen wir der folgenschweren Frage gegenüber, was wohl in einer demokratischen Republik geschieht, wenn ihre Parteien einen ausgesprochenen Klassencharakter annehmen. Nur dank des Umstandes, daß die Demokraten einen südreaktionären und die Republikaner einen westprogressiven Flügel haben, hat sich die Lage nicht oder noch nicht völlig kristallisiert. Jedoch ist durch die zwar nicht gelungene, aber doch angedeutete Sezession einiger Südreaktionäre, der „Dixiekraten“ unter Thurmönd, dieser Prozeß mehr als angedeutet worden. Da nun aber die Demokratie auf der Mehrheitsherrschaft beruht und die Basis der sozialen Pyramide immer breiter ist als das Scheitelstück, kommt es dann zur permanenten Herrschaft; der Unterklassenpartei und hie- mit zu einem kalten Totalitarismus. Diese Gefahr war schon im Jahre 1944 sehr deutlich zu erkennen; bei der damaligen Wahl wurde es offenbar, daß die Demokratische Partei ununterbrochen bis zum Jahre 1948 regieren würde; jetzt ist ihre Herrschaft bis zum Jahre 1952 gesichert, womit sie zwanzig Jahre gedauert haben wird. Durch die ungeheuren Machtbefugnisse des amerikanischen Präsidenten, der den letzten Postmeister im. kleinsten Nest ernennt, der auch mit der Bestätigung des Senats die Mitglieder des so widrigen obersten Gerichtshofes in Amt und Würden einsetzt, der Militär und Diplomatie unmittelbar kontrolliert, wird langsam die absolute Herrschaft einer einzigen Partei aufgerichtet, die mit jeder weiteren Wahl um so schwerer zu vernichten ist. Die Demokratie, und ganz besonders die amerikanische Demokratie, beruht auf einem steten Wechsel der herrschenden Partei, aber durch die fast eintönigen Wahlsiege ein und derselben Partei wird schließ- lidi selbst die Opposition demoralisiert und mit dem Ende der effektiven Opposition droht auch der Einparteienstaat und der Cäsarismus.

Wie dem auch immer sei — die Republikaner haben eine ihrer größten Chancen verloren und es ist sehr, sehr fraglich, ob ihnen eine solche wiedergegeben werden wird.

Der Marshall-Plan, oft von manchen Republikanern, die zumeist um Taft geschart waren, angegriffen, ist jetzt besser gesichert. Die organisierte Arbeiterschaft Amerikas, die an den Kapitalismus glaubt, weil sie es vorzieht, diesen bis zum letzten Tropfen auszunützen, anstatt in einer sozialistischen Planwirtschaft zu stehen, hat einen großen Sieg errungen. Die unmittelbare Zukunft Amerikas ist klar — das Ende der Entwicklung aber ein großes inhaltsschweres Fragezeichen.

Der Verfasser dieses Aufsatzes war einer der ganz wenigen, die schon vor mehr als einem halben Jahre im Artikel „Präsidentschaftskandidaten in den USA“ „Die Furche“, Nr. 13, vom 2 7. März 1 9 4 8 die Wiederwahl Trumans vo rausgesagt haben. Wir zitieren die bezügliche Stelle: „Eingeweihte Beobachter sind fest überzeugt, daß Trum an wiedergewählt werden wird, besonders jetzt, da Eisenhower den Gedanken an eine Kandidatur aufgegeben hat.“ „D. F.“

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