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Beschwörung der alten Werte Amerikas

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Wenn am kommenden Montag, 17. August, der Parteikongreß der Republikanischen Partei beginnt, steht lediglich eines fest: Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bill Clinton schlägt Präsident George Bush in den Meinungsumfragen in einem seit Wochen stabilen Verhältnis von zwei zu eins.

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Wenn am kommenden Montag, 17. August, der Parteikongreß der Republikanischen Partei beginnt, steht lediglich eines fest: Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bill Clinton schlägt Präsident George Bush in den Meinungsumfragen in einem seit Wochen stabilen Verhältnis von zwei zu eins.

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George Bush ist tatsächlich in Bedrängnis. In Kalifornien etwa, mit einem Fünftel aller (Wahlmänner-) Stimmen für jeden Kandidaten absolut wahlentscheidend, führt Bill Clinton mit 62 Prozent vor Bush mit 28 Prozent. Selbst im berühmten erzkonservativen Orange County, der politischen Heimat von Richard Nixon ein Stück südlich von Los Angeles, liegt Bush weit hinter Clinton. Konservative können dort dem Präsidenten nicht verzeihen, welcher „Abgrund" sich mit den Unruhen in Los Angeles aufgetan hat, auf die Bush in ihren Augen alles andere als beherzt reagiert hat.

Das Problem des Präsidenten liegt darin, mit seiner gewohnt großen Rhetorik die Wahlen nicht mehr gewinnen zu können.

„Mut in der Magengegend"

Es klingt schal, wenn er nach wie vor die „Größe" der USA beschwört, die heute „unangefochtene Nummer eins" in der Welt sei. Bush klagt beinahe weinerlich alle Kritiker im Land an, die behaupten, daß Amerika die schlimmste soziale und ökonomische Stagnation seit den zwanziger Jahren erlebt: „Das stimmt doch alles nicht und ist ein völlig verzerrtes Bild! Die USA sind die größte Wirtschaftsmacht der Erde und wir werden die Schlacht auf den Weltmärkten gewinnen, wie wir noch alle Kriege gewonnen haben!"

George Bush will die Amerikaner daran erinnern, daß er es war, der „die Welt verändert" hat. Er versucht, den Zusammenbruch der Sowjetunion, die Wiedervereinigung Deutschlands und

den Erfolg im Golfkrieg auf sein außenpolitisches Erfolgskonto zu buchen, wenn doch Bill Clintons außenpolitische Erfahrung sich darin erschöpfe, so Bush, „während seiner Studentenzeit in London vor der amerikanischen Botschaft gegen den Vietnamkrieg demonstriert zu haben". Die jüngsten frechen Siegesfeiern des Saddam Hussein in Bagdad haben aber selbst den Präsidenten daran erinnert, daß die Mission am Golf irgendwo am halben Weg steckengeblieben ist.

Die Schwäche des Präsidenten liegt darin, daß er nicht mit „Substanz" auf seine politischen Gegner reagieren kann, wenn diese die Butter aufs Brot Amerikas streichen wollen. Bush war noch nie in seinem politischen Leben von Grundsätzen beseelt und verläßt sich mehr auf Taktik, um seinen gigantischen Zustimmungsrückstand aufzuholen: „Schließlich geht es darum", meinte er in den letzten Tagen in steter Wiederholung, „wem Amerika mehr vertrauen kann. Es geht darum,

wer in der Nacht im Weißen Haus im Fall eines Notstands das Telefon abnimmt. Und ich bin sicher, die Amerikaner wollen einen Präsidenten mit Erfahrung und Mut in der Magengegend."

Die Taktik, konservative Wählerstimmen zu retten, läßt Bush und seinen Vizepräsidenten Dan Quayle die „Werte Amerikas" beschwören, die beide in idealtypischer Weise vertreten, und die verlorengingen, würden „die anderen" die Wahlen gewinnen. „Nur wenn die Familien gesund werden, wird Amerika seine ganze Stärke wiedergewinnen", lautet eine der konstanten Botschaften in den Wahlreden von Bush und Quayle. Aber selbst für konservative Republikaner klingt diese Botschaft von Bush halbherzig und unglaubwürdig: Vor vier Jahren gelang es Bush im Schatten des grundsatzstarken Rortald Reagan noch weit besser, seine ideologisch dünne Schale zu kaschieren. Die zumindest für die politischen Auguren „magische" Zustimmungsrate des Präsidenten, die 1991 kurz nach dem Golfkrieg noch bei 91 Prozent lag, ist mittlerweile auf 33 Prozent abgerutscht. Die wenigsten Amerikaner glauben, daß die Regierungen der beiden Präsidenten Reagan und Bush in den letzten zwölf Jahren den Familien sozialpolitisch unter die Arme gegriffen haben. Millionen Arbeitnehmer wissen, daß sie heute weniger oder nur gleichviel verdienen, wie zwölf Jahre zuvor. Nach den Unruhen von Los Angeles sind selbst die saturierten Bürger in den noblen Vorstädten daraufgekommen, daß im letzten Jahrzehnt die Innenstädte Amerikas ökonomisch und politisch ausgehungert wurden.

Präsident Bush tut sich angesichts der Stimmung gegen ihn schwer, auf seine positiven Leistungenhinzuwei-sen: Die finanzielle Aufwertung des „Headstart-Programms" für Kinder im Vorschulalter beginnt seine Wirkung zu zeigen, und Kinder aus sozial verkommenen Verhältnissen können vermehrt den Anforderungen der Schulen folgen. Die Möglichkeit, daß Eltern zwischen (den mancherorts problematischen) öffentlichen und

(den besseren) privaten Schulen wählen können, und von der Regierung dafür einen Gutschein erhalten, wurde ihm vom demokratischen Kongreß verhindert, der glaubt, dadurch würde den öffentlichen Schulen in der derzeitigen Situation nur noch mehr Geld entzogen werden. Mit den „Unternehmenszonen" in den verarmten Innenstädten sollen, geht es nach dem Willen des Präsidenten, Arbeitsplätze und eine ökonomische Infrastruktur geschaffen werden; ein Programm freilich, das er erst nach den Unruhen von Los Angeles mit Zögern aus der Schublade zog.

Verlorenes Vertrauen

Und weil Bush bei der Kürzung von Sozialprogrammen im Vergleich zu seinem Vorgänger Ronald Reagan ein „freundlicherer und sanfterer" Präsident sein wollte, und sich seine Regierung um eine Sanierung des Sozialhaushalts herzlich wenig kümmerte, sind nicht nur die öffentlichen Sozialaufwendungen in astronomische Höhen geklettert, sondern auch das Haushaltsdefizit insgesamt auf historische Rekordhöhen angestiegen. Der zumindest politisch aufmerksamen Öffentlichkeit dürfte es daher nicht entgangen sein, daß im Frühjahr demokratische Senatoren den Präsidenten per Verfassungsgesetz zwingen wollten, einen „ausgeglichenen Haushaltsvoranschlag" in den Kongreß, einzubringen.

Jetzt freilich will Bush sich diese Initiative auf sein Habenkonto schreiben lassen, um zu zeigen, daß an der ganzen Budgetmisere der USA nur der demokratische Kongreß Schuld trage. Seine Gegenkandidat Bill Clinton hat als Gouverneur von Arkansas, von der dortigen Gesetzeslage gezwungen, gelernt, mit einem ausgeglichenen Staatshaushalt zu regieren. Und wie weit es der „Führungsstärke" eines Präsidenten entspricht, sich gegenüber dem Gesetzgeber im Land nicht durchzusetzen, bleibt dahingestellt.

Ob im November die Mehrheit der Wähler in den USA Bush nochmals das Vertrauen schenken wird, scheint alles andere als sicher zu sein.

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