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Clinton-Doktrin unter Beschuß

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Die Weltordnungsmacht wollen die USA gemäß Bill Clinton nicht (mehr) spielen. Diesbezüglich setzen die Vereinigten Staaten neuerdings auf „Multilateralismus”. Bei vitalen US-Interessen ist man jedoch zum brutalen Zuschlagen im Alleingang bereit. Widersprüche werden in Kauf genommen.

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Die Weltordnungsmacht wollen die USA gemäß Bill Clinton nicht (mehr) spielen. Diesbezüglich setzen die Vereinigten Staaten neuerdings auf „Multilateralismus”. Bei vitalen US-Interessen ist man jedoch zum brutalen Zuschlagen im Alleingang bereit. Widersprüche werden in Kauf genommen.

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Angesichts der Ohnmacht des Westens in der Bosnien-Krise beklagen politische Beobachter auf beiden Seiten des Atlantiks den Rückzug der USA aus ihrer weltpolitischen Führungsrolle. Andererseits gelang der US-Marine am vergangenen Samstag ein Überraschungsangriff auf die Geheimdienstzentrale von Saddam Hussein in Bagdad. Hinter diesem scheinbaren Widerspruch steht die Strategie der „Clinton-Doktrin” der neuen US-Regierung: Handle „multilateral” solange vitale Interessen der USA unberührt sind, schlage mit eiserner Faust zu, sollten die USA direkt bedroht sein.

Die „Clinton-Doktrin” läßt sich sowohl am blutigen Trauma von Bosnien als auch am Raketenangriff auf Bagdad bestens erklären: Die Bosnien-Krise ist in den Augen der amerikanischen Regierung ein komplizierter „Bürgerkrieg” wild gewordener nationaler Antagonismen, die weder von den USA noch Westeuropa provoziert wurden oder zu verantworten sind. Da keine unmittelbaren Interessen der USA berührt sind, beschränkt sich Washington auf die humanitäre Dimension des Konflikts, also auf Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge und die notleidende Zivilbevölkerung, und darauf, im Rahmen multilateraler Möglichkeiten die Ausweitung des Krieges zu verhindern: Amerikas Beitrag stehe „in Proportion zu unserer Verantwortung”, definiert Außenminister Warren Christopher die Grundhaltung der USA.

Zeichen der Schwäche

Der Raketenangriff auf Bagdad steht dagegen im Einklang mit dem zweiten Teil der Clinton-Doktrin: Madeleine Albright, UNO-Botschafterin der USA, erklärte dem Weltsicherheitsrat am Sonntag, daß der Attentatsversuch auf Präsident George Bush während seines Privatbesuchs in Kuweit im April „ein Angriff auf die Vereinigten Staaten” gewesen sei. Die USA haben sich daher in Ubereinstimmung mit Artikel 51 der UNO-Charta mit der Zerstörung der Geheimdienstzentrale des Irak „selbst verteidigt”, da jeder Staat ein Attentat auf seinen Präsidenten als Bedrohung interpretieren müsse (siehe Kommentar unten).

Wie sehr das Muskelspiel von Bagdad dem alten Machtverständnis der USA entspricht, so sehr beeilen sich die ehemaligen Strategen des Kalten Krieges den neuen „Multilateralismus” der amerikanischen Regierung als freiwillige Kapitulation der einzig verbleibenden Supermacht zu denunzieren: Henry Kissinger interpretiert die Balkanpolitik der USA als Zeichen der Schwäche: Die US-Regierung habe den westlichen Bündnispartnern, wie das auch bisher üblich gewesen sei, ohne großes Wenn und Aber klare Vorgaben zu machen. Ein machtgewohnter Kissinger kann sich nicht damit abfinden, daß der US-Außenminister vor einigen Wochen in Europa in einer Mission des Zuhörens und der Meinungssondierung unterwegs war. Für George Shultz, Außenminister unter Ronald Reagan, ist Krieg als Mittel der amerikanischen Außenpolitik vorstellbar; diplomatische Gewalt-losigkeit könne sich die USA angesichts der Aggression von wildgewordenen Serben und finsteren Despoten nicht leisten. Und Jeane Kirkpatrick, Amerikas eiserne Lady und ehemalige UNO-Botschafterin, rückt das Konzept des „Multilateralismus” nahe an Hochverrat an den Machtinteressen der USA.

Außenminister Warren Christopher verweist diese Kritik der Clinton-Doktrin in ihr verflossenes Reich der Sandkastenspiele einer bipolaren Welt des Kalten Krieges: Das Schema der US-Außenpolitik könne nicht mehr vom einstmaligen Konflikt mit der UdSSR bestimmt sein. Dieser erfreuliche Umstand habe grundlegende Konsequenzen für die weltpolitische Führungsrolle der USA, da unter dem Wegfall der alten Rivalitäten sich das Interesse Amerikas von Fall zu Fall neu definieren ließe, wie an der Bosnien-Krise und am Golfkonflikt demonstriert werden kann.

Abschied vom Weltgendarmen

Wie sehr dieses Konzept auch Stückwerk sein mag, so läßt sich zumindest sagen, daß die USA ihre Führungsrolle zukünftig als integrierter Teil internationaler Mechanismen wahrnehmen werden. Die US-Regierung verfuge, betonen Präsident Clinton und Außenminister Christopher immer wieder, weder über die finanziellen Mittel noch über die innenpolitische Rechtfertigung, die Rolle des Weltgendarmen zu übernehmen. Washington habe sich auf die vitalen Interessen der USA zu konzentrieren: „Wir müssen unsere Macht für jene Situationen bewahren, in denen unsere nationalen Interessen bedroht sind... Nur wenn wir wirklich von jemandem bedroht werden - wenn irgendjemand zum Beispiel eine Invasion vorbereitet - werden wir alleine handeln”, erklärt Christopher. Präsident Clinton verlangt von den „reichen” westlichen Bündnispartnern einen vermehrten Anteil an multilateralen Problemlösungen für lokale Konflikte und Krisen, in denen die

USA nicht unmittelbar Partei sind.

Clinton hat bereits im Wahlkampf kein Hehl aus seiner Absicht gemacht, Außenpolitik als Teil der Innenpolitik zu betreiben: Geldwert, Handels- und Wirtschaftspolitik stehen im Zentrum der internationalen Interessen der USA, wie der geänderte Ton bei den Verhandlungen über verschiedene Freihandels- und Wirtschaftsabkommen zeigt. Als Wächter über eine freie Marktwirtschaft wird Washington seine Stärke zur Öffnung der internationalen Märkte vermehrt ausspielen. Die Handelskonflikte mit Japan und der EG, sowie die aufsteigenden Wirtschaftsmächte an den Rändern des Pazifiks stehen ganz oben auf der außenpolitischen Sorgenliste - und nicht die politischen Krisen in Bosnien oder Haiti.

Diejenigen, die am Beispiel der Bosnien-Krise um die Machtposition Amerikas fürchten, mahnt Warren Christopher zum Sinn für Realismus: In einer Welt der multilateralen Diplomatie und Politik würden sich die USA nicht immer durchsetzen können. Die USA hätten sowohl die Aufhebung des Waffenembargos gegen die Regierung in Sarajewo als auch gezielte Luftangriffe auf serbische Stellungen in Bosnien empfohlen; die (europäischen) Verbündeten im Weltsicherheitsrat seien aber dagegen gewesen. Und nachdem in Bosnien keine „vitalen Interessen” der USA berührt würden, sei ein Alleingang der USA ausgeschlossen.

Innenpolitisch wird sich weisen, ob die Großmachtspsyche des konservativen Teils der amerikanischen Wähler mit diesen zurückhaltenden Tönen zufrieden ist. Das patriotische Hochgefühl der Reagan-Ära, in der Welt stark und mächtig zu sein, sitzt in den USA tief unter der Haut und labt sich an der Machtdemonstration von Bagdad. Die Clinton-Doktrin könnte sich aber als vernünftige Alternative vom Stellenwert der politischen Macht der USA erweisen. Denn die Führungsstärke Amerikas liegt nicht im militärischen Muskelspiel, sondern im System der politischen Freiheiten und der Tatsache, die größte Wirtschaftsmacht der Welt zu sein.

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