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Der Eiertanz um den Internationalen Strafgerichtshof ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ungestüm sich die USAauf internationalem Parkett gebärden. Doch Europa beschäftigt sich weiter mit sich selbst.

Europa braucht keinen Vormund. Noch nie war die amerikanische Außenpolitik so imperial wie heute.

Kein eingefleischter Antiamerikaner, sondern Helmut Schmidt schlug vor kurzem in der Zeit derartige Töne an. Was der deutsche Altbundeskanzler in aller USA-Freundschaft da zu Papier brachte, spricht europaweit vielen aus der Seele: Das (verbale) Berserkertum, dessen sich die USA in ihrer internationalen Politik befleißigen, ist beunruhigend. Ob George W. Bushs Rede von der "Achse des Bösen" oder die Drohungen gegen den Irak: Europaweit grassiert Befremden über diese Art von Weltpolitik.

Europa ist besonders betroffen über die Dreistigkeit, mit der die Bush-Administration den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) torpediert: Im Juli hatte Washington im UN-Sicherheitsrat durchgedrückt, dass US-Soldaten eine begrenzte Immunität vor Verfolgung durch den IStGH zugestanden wird. Danach begannen die USA, vielen Staaten bilaterale Abkommen "vorzuschlagen", denen zufolge US-Bürger ohne Zustimmung Washingtons nicht an den IStGH ausgeliefert werden dürfen.

Israel hat solch ein Abkommen mit den USA unterzeichnet, das EU-Beitrittsland Rumänien ebenfalls. In Berlin, Oslo, Bern, Kopenhagen trafen entsprechende Ansinnen der USA ein, die dort allerdings unisono abgelehnt wurden; nur die Regierung Berlusconi soll, italienischen Zeitungsberichten zufolge, einem solchen Abkommen nicht abgeneigt sein.

Und weiter: Selbst in Jugoslawien, Bosnien-Herzegowina oder Kroatien klopfte Washington an. Für den Balkan, dessen Kriege die Errichtung des IStGH erst in Gang gebracht haben, muss es wie Hohn erscheinen, dass man selbst bereit ist, mit dem Tribunal in Den Haag zu kooperieren, gleichzeitig aber die Amerikaner davon ausgenommen sein sollen. Jugoslawiens Präsident KoÇstunica lehnte das amerikanische Ansinnen denn auch klar ab. Aus der EU ist mittlerweile fast täglich der "Rat" an die Beitrittsländer zu hören, dem US-Drängen keinesfalls nachzugeben.

Washington verschärfte noch die Gangart und drohte einer Reihe von Staaten vor allem der Dritten Welt mit dem Entzug der Militärhilfe, sollten sie nicht oben skizzierte Abkommen mit den USA abschließen. Das Argument für all diese Aktivitäten: Man wolle politisch motivierte Prozesse gegen US-Bürger verhindern.

US- gegen Euro-Egoismus

* Bei erster Betrachtung scheint klar: Dem forschen Agieren der USA wäre entschlossen entgegenzutreten. Denn im Zeitalter der Globalisierung ist auch auf globaler Ebene das System von Checks und Balances, das unter anderem für das Erfolgsmodell der US-amerikanischen Demokratie so wichtig ist, dringend nötig. Der Internationale Strafgerichtshof sollte ein Mosaikstein dazu sein.

* Doch ein zweiter Blick offenbart: Auf Weltebene gibt es dieses demokratische System des Interessenausgleichs nicht - zumindest solange es außer den USA keinen machtpolitischen Global Player gibt. Wer sollte diesen zur Zeit auch abgeben? Europa??

Helmut Schmidt konstatiert in seiner Zeit-Analyse, dass Europas Regierungschefs "ziemlich würdelos" auf den derzeitigen "amerikanischen Unilateralismus" reagieren: "Sie haben sich darüber beklagt; sie reden immer wieder von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ..., welche es in Wahrheit nicht gibt; sie geben Erklärungen ab, die nichts bewirken; sie reisen einzeln nach Washington." Dem ist nichts hinzuzufügen, auch nicht der Einschätzung Schmidts, dass der derzeitige Hang Amerikas zum Alleingang eine Tatsache ist, der sich Europa dennoch nicht unterwerfen muss.

Keine Frage: Es wäre sinnvoll, an einer Europäischen Union zu bauen, die nicht nur ökonomisch stark ist, sondern sich auch als geopolitischer Player, der zu konstruktivem Wettstreit mit den USA im Stande ist, etabliert. Zur Zeit gilt aber (siehe IStGH): Europas Weg dorthin ist weit, sehr weit.

Die europäische Einigung stagniert insofern, als die EU immer noch auf dem Stand eines Konglomerats kleiner bis mittelgroßer Staaten, die eifersüchtig auf eigene Pfründe bedacht sind, verharrt. Erst vor wenigen Wochen lieferte die EU dazu die Probe aufs Exempel, als sie nicht einmal im Mini-Konflikt um die von Marokko besetzte Petersilieninsel mit einer Stimme sprach, sondern auch hier den USA das Handeln überließ.

Über das Kleinstaatlerische oder über längst vergangene eigene Größe hinwegzudenken und an einer kontinentalen Perspektive mit einer europäischen Identität zu arbeiten, die den nationalen Partikularismen zumindest gleichwertig ist,wagt derzeit keine politisch relevante Bewegung in Europa. Die Zeit scheint vielmehr den Provinz-Napoleons zu gehören, als die sich Rechtspopulisten aller Schattierungen europaweit gerieren.

Dennoch und gerade gegen diesen Zeitgeist: Europa wird als Player in einer Weltordnung benötigt.

* Ein dritter Blick zeigt noch eines: Der globale Egoismus von George W. Bush & Co ist zu kritisieren - auch und gerade von Europa. Doch die Splitter im eigenen Auge dürfen ebenfalls nicht übersehen werden: Österreichs Regierung - beispielsweise - hat doch vor kurzem einen österreichischen UN-Polizisten aus dem Kosovo evakuiert, weil ihm ein Verfahren vor einer UN-Behörde wegen Misshandlung eines Gefangenen drohte ...

Solange auch in Europa - gegen die eigenen Ideale - "realpolitisch", das heißt hier: national-egoistisch gehandelt wird, kann man über die USA und ihren Eiertanz um den IStGH kaum den Stab brechen.

otto.friedrich@furche.at

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