6822691-1973_46_06.jpg
Digital In Arbeit

Kissingers Flüche

Werbung
Werbung
Werbung

Der Konflikt im Nahen Osten bedroht nicht nur die in Moskau und Washington sorgsam gepflegte Ent-spannungspplitik,>/.ynter der Spannung divergierender Interessen beginnt auch die. Bündnispolitik des Westens in allen Nähten zu platzen.

Äußerlich zeigen sich diese Risse in einer offiziellen Erklärung des Sprechers des amerikanischen State Departments, in einer etwas milderen Wiederholung dieser Erklärung durch den Präsidenten und in Flüchen, die Außenminister Kissinger zugeschrieben werden: „Ihr Europäer habt uns in einer schweren Stunde im Stich gelassen. So geht das mit dem Bündnis nicht weiter.“

Ganz gegen die diplomatischen Usancen werden vor allem Deutschland und Großbritannien als „Dissidenten“ herausgehoben, während man ja von Frankreich keine freundlichere Einstellung erwartet hatte.

Aber auch Spanien und Griechenland, die von der Nixon-Regierung oft gegen die amerikanischen „Patentdemokraten“ der Linken im Kongreß in Schutz genommen wurden, seien „umgefallen“. Bloß Portugal und die Niederlande hätten sich bewährt. Die österreichische Haltung wird in diesem Zusammenhang als die eines Neutralen nicht erwähnt; die Empörung über Schönau scheint nachgelassen zu haben, obwohl gerade jene Kreise, deren Interessen damals verletzt wurden, ein langes Gedächtnis haben.

Die deutsche Bundesrepublik hatte zuerst grollend zugesehen, wie ihr Hoheitsgebiet überflogen und in ihren Häfen Schiffe beladen wurden. Später erhob Brandt offiziell Protest. Großbritannien ließ es erst gar nicht soweit kommen und erklärte sich gleich eingangs neutral. „Everybody run for Cover“, wie es hier in der Presse hieß — jeder versteckte sich, um ja nicht den Zorn der arabischen öllief eranten auf sich zu ziehen.

Diese bedrohliche Entwicklung zeigt zweierlei an: daß sich der Zug zur bilateralen Politik USA-Sowjetunion verstärken wird, und daß die westliche Allianz kein echter außenpolitischer Faktor mehr ist. Wen hätte man denn in Europa auch konsultieren sollen, fragt ein USA-Journalist, nachdem der Chefredakteur der italienischen „Stampa“ im News-Week-Magazine berichtete, es hätten nicht zwei europäische Regierungen die gleiche Einstellung gezeigt.

Zugegeben, der Ausbruch des Konfliktes kam unerwartet. Aber in einer Möglichkeitsplanung müßte doch auch dieser Fall vorgesehen gewesen sein. Das Schauspiel der „vom „Erfrierungstod bedrohten Hühner, die in alle Windrichtungen laufen“ — ein anderer Vergleich, der in den USA verwendet wurde —, hat jedenfalls den schlechtesten Eindruck hinterlassen. Er wird noch erhöht durch die Ablehnung Englands und Frankreichs, den am schwersten betroffenen Holländern Hilfe zu leisten.

Dieser Eindruck besteht nun nicht nur bei den durch Watergate schwer angeschlagenen Regierungskreisen. Es waren ja gerade Nixons Gegner, die einen Abbau der amerikanischen Truppenpositionen in Europa anstrebten und es waren gerade logistische Überlegungen, mit denen die Regierung Nixon die Aufrechterhaltung dieser Präsenz motivierte. Nun ist auch dieses Argument entschärft, es bleibt nur noch die taktische Überlegung, sich nicht selbst zu schwächen, während man mit dem Gegner über Truppenreduzierung verhandelt. Dies ist jedoch eine ganz kurzfristige Überlegung.

Daß es auch nicht möglich war, im Sicherheitsrat eine gemeinsame westliche Linie zu finden, verärgert die Amerikaner zusätzlich. Während Washington bereits in der ersten Woche des Nahostkonfliktes nach einer Waffenstillstandsformel strebte, erschien den Engländern „der Moment hiefür noch nicht reif“. Niemand hat offiziell behauptet, daß durch diese Haltung den Arabern, die damals noch siegten, geholfen werden sollte. Aber in der Praxis kam diese Einstellung einer solchen Unterstützung sehr nahe. Daß ein amerikanischer Vorschlag beim NATO-Rat in Brüssel, die Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion temporär etwas abzukühlen, fast einstimmig abgelehnt wurde, kann nach alledem nicht verwundern. Spott zum Schaden: Gerade in diesem Augenblick machte Außenminister Scheel den Sowjets Konzessionen in der Berlinfrage.

Kissingers Ruf nach einer Neufassung des Atlantischen Bündnisses gewinnt in diesem Licht neues Gewicht und wird sicherlich verstärkt werden, wenn die aktuelleren Probleme in den Hintergrund treten.

Und nun noch zur ölpolitik! Es ist nicht so, daß man in den USA Westeuropas und Japans Abhängigkeit

vom arabischen öl nicht sieht. Präsident Nixon hat diesem Thema auf seiner letzten Pressekonferenz breiten Raum gewidmet. Aber was man in Amerika bedauert, ist, daß Europa offenbar nicht begriffen hat, daß man nur in gemeinsamer Front bei den Arabern etwas ausrichten kann und nicht, wenn man sich um eine Reihung als „gute und bessere Schüler“ bemüht. Schließlich müssen sich die USA mit den Arabern ja ebenfalls in der ölfrage auseinandersetzen, weil nur die USA auf Israel einen gewissen Einfluß ausüben können.

Es hat den Anschein, daß die amerikanische Außenpolitik diesmal Kanzler Brandt besonders kritisch behandelt hat. In der Vergangenheit wurde ihm schon wiederholt amerikanisches Mißfallen wegen Einzelheiten seiner Ostpolitik ausgedrückt, aber immer — wie üblich — auf diplomatischem Wege und nicht offiziell. Brandt konnte daher in der deutschen Innenpolitik stets auf sein ungetrübtes Verhältnis zu den USA

Friedensengel...

Karikatur: Haitzinger

verweisen. Das deutsche Publikum wurde dabei irregeführt. Diesmal hat die amerikanische Regierung laut und vernehmlich gesprochen und die deutsche Öffentlichkeit kann sich ein Bild machen.

Schließlich wird hier von Kritikern Nixons das Argument verwendet, es sei den Sowjets im Nahen Osten nicht bloß gelungen, ihren alten Einfluß bei den Arabern wiederherzustellen, sondern auch die westliche Allianz gefährlich zu lockern. Kissinger hat diese Analyse ebenfalls angestellt. Aber es schien ihm für die gemeinsame Zukunft günstiger, die Dinge beim Namen zu nennen, als sie wieder einmal unter diplomatischen Noten und Demarchen zu begraben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung