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Die häßlichen Franzosen ...

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Obenauf in der amerikanischen Liste der Gegner steht momentan wieder Frankreich. Das emotionelle Verhältnis zwischen den beiden Nationen im Laufe der Geschichte wird durch einen Zyklus von Haß und Liebe gekennzeichnet. Im Zweiten Weltkrieg standen die Sympathien Amerikas eindeutig auf Seiten der französischen Demokratie, als eines Opfers deutscher Aggression, obgleich schon damals viel Spott auf die angebliche „Operettendemokratie“ gehäuft wurde. Dann kamen die Jahre des harten Wiederaufbaus in Europa, der für die nach größeren Lösungen suchenden Amerikaner schon immer mit dem Konzept eines vereinten Europas verbunden war. Schon damals wurden die von Men-des-France abgefeuerten Torpedos gegen die gemeinsame europäische Armee in Amerika sehr übel aufgenommen, doch genoß die französische Linke in der amerikanischen intellektuellen Presse immer die Narrenfreiheit eines ungewöhnlichen Experiments. Als die antieuropäische Rüstungspolitik der französischen Linken überdies mit einer Entspannungspolitik gegenüber dem Kreml zusammenfiel, und dies zu einem Zeitpunkt, da die USA noch mitten im Kalten Krieg standen, genoß sie die volle Unterstützung der amerikanischen Linken, die damals — ganz im Gegensatz zu heute — durchaus entspannungsfreudig war. Allerdings gab es damals noch keinen Nixon, der die Entspannung tatsächlich vorwärtsgebracht hätte und den man jetzt „impeachen“ will.

Unter de Gaulle nahm dann die französische Außenpolitik deutlich antiamerikanisches Profil an. Da de Gaulle weder von der amerikanischen Linken noch von der amerikanischen Regierung geschätzt wurde, ergoß sich zum ersten Male der volle Zorn der US-Öffentlichkeit auf Frankreich. Es wurde zum Boykott französischer Waren aufgerufen und jeder Tourist, der nach Paris fuhr, erhielt eine unpatriotische Zensur. Solch emotionelle Wellen halten jedoch in den USA nicht lange an. Das Aufblicken zu höheren kulturellen Werten und zum verfeinerten Lebensstil Frankreichs überwog schließlich die Empörung.

Es folgte der Abzug französischer Truppen aus dem NATO-Kader und die Ausweisung des NATO-Haupt-quartiers aus Paris. Wieder stieg der amerikanische Zorn auf Siedehitze, der französische Botschafterposten in Washington blieb längere Zeit unbesetzt. Dann eröffnete Präsident Nixon seine Präsidentschaft mit einer großen Geste in Form eines persönlichen Besuches im Elysee. Das entsprach seiner Auffassung von Realpolitik und überdies der etwas oberflächlichen Überlegung, daß man de Gaulies „Eitelkeit“ Tribut zollen müsse. De Gaulle verfolgte jedoch seine Angriffe vor allem gegen den Dollar. Kurz nach Nixons Amtsübernahme verließ er jedoch die politische Szene und Washington hoffte, mit Pompidou ein besseres Verhältnis entwickeln zu können. Vielleicht gab es auch weniger offene Affronts, weil Washingtons Außenpolitik jetzt darauf konzentriert war, den Abzug aus Südostasien diplomatisch vorzubereiten. Die Spannungen mit Frankreich hielten nur auf dem Währungs- und Außenhandelssektor an. Inzwischen war aber Frankreichs kremlfreundliche Außenpolitik durch die Nixon-Kissingersche Entspannungspolitik und die Brandtsche Ostpolitik zu einem diplomatischen Ladenhüter geworden. Auch in Peking war durch die US-Außenpolitik die Tür weit aufgestoßen, der einst von Frankreich geöffnete Spalt hingegen uninteressant geworden. Wie Westeuropa überhaupt, so war vor allem Frankreich durch die Nixon-Kissingersche Außenpolitik links überholt worden.

Das war das Szenarium bei Ausbruch des ägyptisch-israelischen Konflikts. Es folgte das arabische ölembargo, das die westliche Welt in eine unerwartete Krise stürzte. Frankreich, ohne jegliche ölreserven im eigenen Hoheitsgebiet und auch sonst auf dem Energiesektor hinter anderen westeuropäischen Nationen zurückgeblieben, befand und befindet sich in schwieriger wirtschaftlicher Lage. In solchen Momenten denkt Frankreich immer zuerst national und dann erst europäisch. Schließlich hatte de Gaulle Nordafrika aufgegeben und dafür freundliche und ertragreiche Beziehungen zur arabischen Welt eingeheimst. Warum sollte dies jetzt, in Notzeiten, nicht genützt werden?

In Paris hatte man jedoch die amerikanische Sensibilität in „Europafragen“ unterschätzt. Das Europajahr, von Nixon für 1973 geplant, ging im Watergateskandal unter. Es hätte die Krönung der Nixon-Kissin-gerschen Außenpolitik werden sollen. Kissinger war überdies von Watergate nicht betroffen und verfolgte daher sein Konzept einer neuen Atlantik-Charta mit der Inbrunst des Europäers, der seiner Mission in neuem Gewände dient. Daß Frankreichs Energie-Alleingang in diesem Konzept keinen Platz hat, mußte jedem klar sein. Weniger jedoch die leidenschaftliche Reaktion Kissingers. Für Washington war daher die Konferenz der Energiekonsumenten, die Nixon nach Washington einberufen hatte, nicht bloß ein Energieproblem, sondern ein atlantisches Anliegen. Hier sollten zwei Fliegen mit einem Schlag „behandelt“ werden: die europäische „Unbotmäßig -keit“, die jedoch infolge der inneren europäischen Zersplitterung nur mehr auf dem Papier und in der französischen Haltung ihren Niederschlag fand, und eine starke Geste an die Araber, die noch immer Macht und Entscheidungsfreudigkeit mehr achten als Bettelei und Liebedienerei. Wenn man beachtet, daß die Brüsseler Vorgespräche zwischen den Europäern bereits eine ziemlich profilierte antiamerikanische Haltung ankündigten, so muß das Ringen Kissingers um eine geschlossene Energiefront als überaus erfolgreich bezeichnet werden. Unter der klaren Drohung des Abzugs amerikanischer Truppen aus Westeuropa, das vor allem die Deutschen beeindruckte, ist es der amerikanischen Außenpolitik gelungen, eine gemeinsame Energiekonsumentenfront zu etablieren, von der sich bloß Frankreich fernhält. Es ist gelungen, eine permanente Konsultationsbasis zu gründen, womit den Arabern gezeigt wurde, daß sie nicht „teilen und herrschen“ können, selbst wenn dieser Konsultationskörper wenig Leben zu entwickeln verspricht. Im übrigen wird in den USA die französische Haltung bagatellisiert. Frankreich habe seine außenpolitische Position schon lange und seine wirtschaftliche jüngst im Gefolge des ölembargos und der astronomischen ölpreise verloren, wird erklärt. In der amerikanischen Öffentlichkeit hat die Haltung des französischen Außenministers Jobert in Washington jedoch viel stärkeren Anstoß erregt, und bei den Radiostationen, die sich aktuelle Anliegen von den Hörern telephonieren lassen, mehren sich die Stimmen des Publikums, die wieder einmal einen Boykott französischer Produkte und die Sperre des Reiseverkehrs nach Frankreich verlangen.

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