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Verbündete als Konkurrenten

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Deutschlands Bundeskanzler spricht mit Amerikas Präsidenten: ein Gespräch von Kontinent zu Kontinent, ein. Gespräch eines Sozialdemokraten mit einem amerikanischen „Konservativen“, ein Gespräch unter Verbündeten, die auch Konkurrenten sind.

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Deutschlands Bundeskanzler spricht mit Amerikas Präsidenten: ein Gespräch von Kontinent zu Kontinent, ein. Gespräch eines Sozialdemokraten mit einem amerikanischen „Konservativen“, ein Gespräch unter Verbündeten, die auch Konkurrenten sind.

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Das Verhältnis zwischen Westeuropa und den USA ist nicht ganz störungsfrei, zieht man die letzten Monate in Betracht. War es noch unter Präsident Johnson Frankreichs General-Präsident de Gaulle, der sich der atlantischen Entente aus nationaleuropäischen Motiven entgegenstellte und auch das persönliche Ressentiment bemühte, so ist nunmehr unter neuen Gesprächspartnern allerdings eine bessere Gesprächsatmosphäre vorhanden. De-Gaulle-Nachfolger Pompidou hat anläßlich seiner ersten großen Auslandsreise nach Washington unterstrichen, daß er keine Störfaktoren zwischen den USA und seinem Land wirken lassen will. Etwas ganz Ähnliches hat nun Brandt erklärt.

Und dennoch: die Spannungen sind nicht hinwegzudispütieren. Kein noch so freundliches „Shakehands“, kein noch so joviales Augenzwinkern kann verkennen lassen, daß die USA und Westeuropa eben nicht nur Partner, sondern auch Gegner sein können.

Die EWG ist Im Begriff, die „amerikanische Herausforderung“ anzunehmen und die USA von wichtigen Weltmarktpositionen zu vertreiben. Dazu kommt, daß auch die EFTA erstaunliche Anteilziffern am Welthandel aufweist und alles dafür spricht, daß die europäischen Handelsblöcke ihre Offensive nicht abstoppen werden. Von 1964 bis 1969 erhöhte sich der Anteil der EWG am Welthandel um 2,6 Prozent, der Anteil der USA sank um 2,3 Prozent. EWG und EFTA beherrschen nunmehr zusammen 45,8 Prozent des Weltmarktes, die USA liegen nur bei 15,2 Prozent. So ist eine starke Lobby im US-

Senat und Repräsentantenhaus tätig, um der Administration von Richard Nixon eine härtere Gangart gegen die Europäer nahezulegen. Und so wundert es nicht, daß der Republikaner Nixon dem deutschen Sozialdemokraten eben eine höhere Beteiligung der Deutschen an den Rüstungskosten in Europa nahelegt. Denn während in den sechziger Jahren Europa wirtschaftlich erstarkte, schrumpften die europäischen Einsätze in der NATO-Verteidigung. Der deutsche Verteidigungsminister Schmidt beklagte, daß heute 30 Sowjetdivisionen nur noch fünf amerikanische gegenüberstehen. Die als „zweite Säule“ im Atlantikpakt beschworene Präsenz der Europäer ist heute einfach nicht vorhanden. Dazu kommt, daß weder die Franzosen noch die Engländer bereit sind, ihr Atomarsenal zusammenzulegen oder im Bereich dieser überaus kostspieligen Armierung Nachbarschaftshilfe zu leisten.

Dafür kann Brandt das Verständnis für seine Ostpolitik aus Washington mitnehmen. Zwar war Washington bereits bisher auch im Detail über alle Initiativen Bonns in Moskau, Warschau und Erfurt informiert, doch scheinen jetzt auch die letzten Zweifel Nixons an der Lauterkeit der deutschen Bemühungen zerstreut. Wenngleich allerdings das State Department nicht allzu optimistisch über die (früher ja oft geforderte) „Selbsthilfe“ der Deutschen denkt. Bleibt das Thema Berlin; denn was immer unter den angestrebten menschlichen „Erleichterungen“ zu verstehen ist, um die es Brandt im Gespräch mit den Ostdeutschen geht — „Erleichterungen“ braucht vor allem das geplagte und jeder Erpressung ausgesetzte West-Berlin. Wenn ein Kompromiß am Ende der Gipfelgespräche zwischen Brandt und Stoph herauskommen soll, dann nur in. einer ostdeutschen Garantie gegenüber dem Status von West-Berlin und konkreten Verbesserungen für die abgenabelte Stadt. Schließlich sind auch die Viermächtegespräche über Berlin, die in der Osterwoche begonnen haben, eine Ausgangsbasis. Die Franzosen etwa sind an ihrer Weiterführung interessiert, geben sie Frankreich doch eine weitere konkrete Mitsprache an einem internationalen heißen Eisen. Das US State Department führt die Berliner Viermächtekonferenz mit drei Vorschlägen zur „Erleichterung“: Menschen und Güter sollen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik wieder freier verkehren können, die Post- und Telephonverbindungen zwischen den beiden Stadtteilen sollen wiederhergestellt und der Handel soll ermöglicht werden. 25 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ist es auch allerhöchste Zeit, daß sich die Großmächte und insbesondere Washington ihrer Verpflichtung bewußt werden. Wie sehr sich der Osten in der Frage Berlin beweglich zeigt, ist nicht zuletzt ein Beweis der Glaubwürdigkeit, mit der er seine Westkontakte auf verschiedenen Ebenen führt. Der amerikanische Atlantikrat hat kürzlich eine Studie von Prof. Timothy Stanley veröffentlicht, in der dieser vor einem Standpunkt des „Immobilismus“ in der Berlin-Frage warnt. So dürfte Berlin für den Westen zum Testfall werden, ob es bald zu einer europäischen Sicherheitskonferenz kommt

Immerhin: Brandt darf die Versicherung zurück nach Bonn nehmen, daß Washington zwar nicht in allem mit der Bundesrepublik übereinstimmt, aber doch der verläßlichste Pfeiler ist, auf dem die Bundesrepublik ihr außenpolitisches Haus erbaut hat.

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