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Pepsi-Cola im Kreml

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Allein während Breschnjews Washington-Besuch im vergangenen Juni kamen zwischen den USA und der UdSSR neun Abkommen zustande, darunter als wesentlichstes eines zur Verhütung eines Atomkrieges. Für eine Welt, die lang genug in Angst vor einem derartigen Konflikt hat leben müssen, konnte es kein willkommeneres Zeichen für den Anbruch einer besseren Zeit geben. Wie tief gehen aber die Veränderungen in den amerikanischsowjetischen Beziehungen wirklich? Sind sie lediglich das Ergebnis einer neuen Taktik oder leiten sie einen grundlegenden und dauerhaften Wandel ein? Was hat sich wirklich geändert, inwieweit bleibt alles beim alten?

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Allein während Breschnjews Washington-Besuch im vergangenen Juni kamen zwischen den USA und der UdSSR neun Abkommen zustande, darunter als wesentlichstes eines zur Verhütung eines Atomkrieges. Für eine Welt, die lang genug in Angst vor einem derartigen Konflikt hat leben müssen, konnte es kein willkommeneres Zeichen für den Anbruch einer besseren Zeit geben. Wie tief gehen aber die Veränderungen in den amerikanischsowjetischen Beziehungen wirklich? Sind sie lediglich das Ergebnis einer neuen Taktik oder leiten sie einen grundlegenden und dauerhaften Wandel ein? Was hat sich wirklich geändert, inwieweit bleibt alles beim alten?

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Noch vor einigen Jahren hätte niemand die Vorhersage gewagt, daß über die Errichtung von Pepsi-Cola-Abfüllanlagen und Hotels der „Holiday-Inns“-Kette in Moskau verhandelt werden würde. So ermutigend diese Entwicklung auch sein mag, darf man dennoch nicht die Gegensätze aus den Augen verlieren, die eine tiefe Kluft zwischen den beiden Ländern geschaffen hatten und die auch die Zukunft durchaus noch belasten könnten.

Vor allem handelt es sich hiebel um die im Namen der „Weltrevolu-tion“ verfolgte expansionistische Politik der Sowjetunion. Besonders in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Präsenz der Roten Armee und die subversive Tätigkeit der Kader der internationalen kommunistischen Bewegung es Stalin ermöglichten, Osteuropa unter seine Herrschaft zu bringen, trug dieser ideologische Antagonismus viel zum kalten Krieg bei. Die zwischen Großmächten ohnehin gegebene Rivalität und die Imponderabilien des nuklearen Wettrüstens verschärften das feindselige Klima weiter.

Im Februar 1970, als Präsident Nixon dem Kongreß seinen ersten außenpolitischen Jahresbericht vorlegte, trat er für systematische Verhandlungen mit der Sowjetunion ein, um eine friedliche Ära in die Wege zu leiten. Wie er damals sagte, sei es nicht Ziel der amerikanischen Politik, sich mit dem internen sowjetischen System zu befassen, „obwohl wir kein Hehl aus unserer Ablehnung vieler seiner Merkmale machen“. Viele Beobachter haben seither vermerkt, daß gerade Nixon sich eine solche Haltung leisten konnte, weil er, seinerzeit als glühender Antikommunist bekanntgeworden, kaum Gefahr lief, der Weichheit gegenüber dem Kommunismus beschuldigt zu werden.

Nixons Entscheidung, in den Beziehungen zur Sowjetunion ideologische Erwägungen nicht mehr zu betonen, ging Hand in Hand mit wesentlichen Veränderungen in der Weltpolitik. Beiderseitige Fortschritte auf dem Gebiet der nuklearen Waffen führten mehr und mehr zu einem Kräftegleichgewicht und verstärkten die Überzeugung in beiden Ländern, daß ein totaler Krieg selbstmörderisch wäre. Mit dem Heranwachsen Chinas zu einem ideologischen und militärischen Rivalen des Kremls lebte für die Russen das alte Schreckgespenst von einem möglichen Zweifrontenkrieg wieder auf. Die zunehmende Stärke und Unabhängigkeit anderer Zentren der Macht, vor allem Westeuropas und Japans, warf die alte bipolare Ordnung über den Haufen.

Ein weiterer Faktor spielt eine wichtige Rolle, nämlich der offensichtliche Bedarf der Sowjetunion an technischem Know-how, an Waren und Kapital aus Amerika und anderen westlichen Ländern. Die eigenen wirtschaftlichen Erfordernisse zwingen die Sowjetunion, ihre Beziehungen zum Westen und insbesondere zu den Vereinigten Staaten auf eine freundlichere Basis zu stellen.

Es ist daher nicht verwunderlich, daß in den Verhandlungen mit der

Sowjetunion verschiedenen Formen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der US-Kongreß hat zwar der Sowjetunion noch nicht die Meistbegünstigungsklausel zuerkannt, aber das Volumen der amerikanischen Ausfuhren ist bereits von 118 Millionen Dollar im Jahr 1970 auf fast 400 Millionen im Vorjahr gestiegen, wobei die Getreideverkäufe und die Lieferungen für die Lastwagenfabrik am Kama-Fluß nicht eingerechnet sind. Auf lange Sicht sind riesige und faszinierende Projekte, wie zum Beispiel die gemeinsame Erschließung der Erdgasvorkommen und anderer Rohstoffe in Sibirien, ins Auge gefaßt.

Während man sich früher in der Regel mit einem Austausch von Gedanken und Informationen begnügte, wird jetzt Zusammenarbeit forciert. Das gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für den Umweltschutz, die Medizin, die Kultur und die Erforschung des Weltraums. Wäre die am Ende des Moskauer Gipfels unterzeichnete und heuer bei Breschnjews Washington-Besuch bekräftigte gemeinsame Erklärung über die „Grundsätze der

Beziehungen“ nicht mit zahlreichen Leistungen verbunden, könnte man sie als einen salbungsvollen und wirklichkeitsfremden Erguß abtun. Diese Grundsätze sind aber nicht isoliert zu betrachten. Die Verpflichtung, militärische Konfrontationen zu vermeiden, sich zu mäßigen und sich nicht auf Kosten der anderen Seite Vorteile verschaffen zu wollen, verdient ernstgenommen zu werden, und sie wird es auch. Als Henry Kissinger nach Moskau kam, um bei der Vorbereitung von Breschnjews Washington-Reisemitzuhelfen, wurde die Entwicklung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen in dem Jahr seit Nixons Moskau-Besuch einer kritischen Überprüfung unterzogen, wobei man feststellen konnte, daß sich beide Seiten tatsächlich an die Grundsätze gehalten hatten.

Nicht einmal das erste SALT-Ab-kommen und die Hoffnung auf weitere Fortschritte bei diesen Verhandlungen über Begrenzungen der strategischen Rüstung sind jedoch eine Garantie für eine krisenfreie Zukunft. Die eingangs gestellte Frage nach dem wirklichen Wesen der Veränderungen ist nicht leicht zu beantworten.

Ist also der Wandel ein oberflächliches Geschehen oder geht er bis an die Wurzel? Nun, es scheint durchaus so zu sein, daß beide Seiten ohne gegenseitige Beschimpfungen und militärische Drohungen miteinander auskommen wollen.

Wird sich die Verbesserung als dauerhaft erweisen? Wenn man das Alter der sowjetischen Spitzenpolitiker bedenkt, muß man damit rechnen, daß noch in diesem Jahrzehnt andere Männer an ihre Stelle treten werden. Wer diese Nachfolger sein und welche Politik sie verfolgen werden, wissen wir nicht mit Sicherheit. Wir können jedoch annehmen, daß sie zumindest eine Zeitlang die gegenwärtige Entspannungspolitik fortsetzen werden, weil sie im Interesse der Sowjetunion liegt und, um es marxistisch auszudrücken, der „objektiven Wirklichkeit“ entspricht.

Bei all dem darf man nicht außer acht lassen, daß die Sowjets zwar ihre Außenpolitik revidiert haben, nicht aber ihre Innenpolitik. Näher besehen, hat sich eigentlich auch an der sowjetischen Außenpolitik nicht viel geändert, denn zur Außenpolitik gehört ja auch die Militärpolitik.

Die ständige Verstärkung der sowjetischen Streitkräfte in Osteuropa, die .forcierte Aufrüstung-der—•-Kriegsmarine lassen an der Aufrichtigkeit der Entspannungspolitik des Kremls gewisse Zweifel aufkommen. Solange diese Bedenken nicht ausgeräumt sind, werden die USA ihre eigene militärische Stärke nicht vernachlässigen und sich um die Aufreohterhaltung lebenswichtiger Bündnisse bemühen.

Zwischen der Entspannung und dem von Moskau fortgeführten „ideologischen Kampf“ besteht ein grundlegender Widerspruch. Wie eng können die Sowjets wirklich mit dem Rest der Welt zusammenarbeiten und in stärkere gegenseitige Abhängigkeit treten, wenn sie sich weiterhin von dem Grundsatz leiten lassen, daß es auf dem Gebiet der Ideologie keine Koexistenz geben könne?

Als er die Bundesrepublik kurz vor seiner Reise in die Vereinigten Staaten besuchte, erklärte Breschnjew: „Es ist nicht unser Bestreben, unser Land von der Außenwelt zu isolieren. Im Gegenteil, wir gehen von der Voraussetzung aus, daß es sich im Zeichen der /ameh-menden Zusammenarbeit mit der Außenwelt entwickeln wird.“

Wenn dem wirklich so ist, müßte die europäische Sicherheitskonferenz den Beweis dafür liefern. Als eines seiner Hauptanliegen hat der Westen den freien Austausch von Menschen und Informationen bezeichnet. Die Aussichten auf eine weitere Entspannung werden sich wesentlich bessern, wenn die Sowjets zu einem ernsthaften Gespräch über den Abbau der Überreste des Eisernen Vorhangs bereit sind, anstatt die Konferenz lediglich dazu benützen zu wollen, den Westen zu einer Bestätigung der Teilung Europas zu zwingen.

Obwohl die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen nun viel besser sind, besteht also noch immer kein Grund zu einer Euphorie. Man wird gut daran tun, an die Dinge so realistisch heranzugehen, wie es George Kennan empfahl: „Irgendwo zwischen der unerreichbaren Freundschaft und einem sinnlosen Krieg gibt es eine Mitte in Form einer friedlichen, wenn auch etwas distanzierten Koexistenz.“

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