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Entspannung stockt

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Diplomaten wie Militärs sind nach der Sommerpause wieder an ihre Verhandlungstische in Genf und Wien zurückgekehrt, aber keineswegs voll der Hoffnung auf ein nahes und erfolgreiches Ende ihrer Bemühungen. Wohl stehen die äußeren Zeichen noch immer auf-XfrsgJeich und Annäherung, aber in die Entspän- nungsmaschine ist Sand geraten. Noch blockiert das Räderwerk nicht, die Reibungsverluste sind aber nicht mehr zu übersehen. Ungeachtet der. Gespräche über eine Begrenzüng der strategischen Rüstung fahren beide Supermächte fort, neue und noch gewaltigere Vernichtungssysteme zu entwickeln.

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Diplomaten wie Militärs sind nach der Sommerpause wieder an ihre Verhandlungstische in Genf und Wien zurückgekehrt, aber keineswegs voll der Hoffnung auf ein nahes und erfolgreiches Ende ihrer Bemühungen. Wohl stehen die äußeren Zeichen noch immer auf-XfrsgJeich und Annäherung, aber in die Entspän- nungsmaschine ist Sand geraten. Noch blockiert das Räderwerk nicht, die Reibungsverluste sind aber nicht mehr zu übersehen. Ungeachtet der. Gespräche über eine Begrenzüng der strategischen Rüstung fahren beide Supermächte fort, neue und noch gewaltigere Vernichtungssysteme zu entwickeln.

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Das Tempo des Wettrüstens im nuklearen wie im konventionellen Bereich bleibt ungebremst — diesen ernüchternden Schluß zieht das an- gesehne Londoner Institut für Strategische Studien in seinem jüngst erschienenen Jahresbericht über die internationalen Kräfteverhältnisse. Noch wagt niemand das Eingeständnis, SAL-Verhandlungen, Europäische Sicherheitskonferenz .und Truip- penabbaugespräche seien festgefahren. Von Fortschritten will allerdings auch niemand mehr sprechen. Schon sucht man nach Möglichkeiten, sich mit raschem Griff aus dem Sumpf des Konferenzalltages zu befreien. Nach der ernüchternden Tatsache, daß auch Gipfeltreffen ihren Glanz verloren haben, was augenfällig im Juni beim Moskauer Rendezvous zwischen Nixon und Breschnjew demonstriert wurde, wird man allmählich um einen Ausweg verlegen.

Die westliche Öffentlichkeit ist vielfach noch auf jene Phase der Weltpolitik eingestimmt, in der sich die amerikanische Führung durch die Annäherung an Peking das Manövrierfeld erweitert hat, wodurch ein Rückgang der Spannung zwischen den Mach’tzentren eintrat. Amerikas Staatskrise, Europas fortdauernde Zerissenheit, die Inflation als Symptom der Handlungsschwäche westlicher Demokratien, sind aber auf der Gegenseite nicht ohne Wirkung geblieben. Jene Kräfte im Kreml, denen Breschnjews Kurs des big bargain von Anfang an suspekt war — in erster Linie die Militärs —, scheinen nun den langsamen Gang der Entspannungsuhren zu bestimmen.

Als Exerzierfeld einer sowjetischen Hegemonialpolitik, deren Konturen ln der Entspannungsphase für den oberflächlichen Betrachter zurücktraten, erweist sich einmal mehr der Balkan. Dort tritt die Reaktion auf die Schwächung der westlichen Verteidigungsallianz im Gefolge der Zy- pemkrise durch eine verstärkte so wjetische Präsenz deutlich zutage. Dabei genießen Ungarn und Rumänien als verläßliche Bundesgenossen den zweifelhaften Vorzug sowjetischer Truppenverstärkungen. Die Stoßrichtung ist eine doppelte: einerseits Druckausübung auf die Außenseiter im Ostblock, Rumänien und Jugoslawien, anderseits Steigerung des Einflusses auf die nördlichen Randstaaten des Mittelmeeres. Jugoslawische Kreise hatten bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, daß ein Fixieren der Lage in Mitteleuropa einen Druckausgleich auf dem Balkan finden könnte.

Sie sehen in den Ostverträgen und in der Absicherung des Status quo durch die Sicherheitskonferenz eine Umlenkrolle des sowjetischen Drucks auf die Flanken. Ungarn kommt dabei die Funktion der Drehscheibe zu. Ein Faktum, das von Kritikern der Truppenabbaugespräche seit langem aufgezeigt wird. Die Sowjetunion scheint jedenfalls die Früchte ihrer konstanten Weigerung einzuheimsen, Ungarn in die Wiener Reduktionsverhandlungen einzubeziehen.

Die jüngsten Ereignisse in Portugal lenken die Aufmerksamkeit auf eine europäisch-atlantische Nahtstelle, die das Interesse des Kremls bereits am Höhepunkt des Yom-Kip- pur-Krieges gefunden hat. Damals hatten die Kap-Verdischen-Inseln, im Besitz Lissabons, ihren amerikanischen Basen die Plattform für den militärischen Nachschub abgegeben. Eine Linksregierung in Portugal könnte ähnliche Forderungen erheben wie einst das Kabinett in Island. Nur würde eine Aufgabe der- Azoren einen ungleich härteren Schlag bedeuten als eine Räumung des vorgeschobenen U-Boot-Horchpostens Keflavik. (Eine Maßnahme, die durch den Regierungswechsel in Reykjavik vorläufig hinfällig geworden ist.)

Die Gefahr eines sowjetischen Flankendrucks besteht, wie man sieht, auch ohne eine Truppenverdünnung in Mitteleuropa. Eine Reduktion in Zentraleuropa war vielfach als auslösendes Moment für eine Verlagerung des politischen und militärischen Drucks auf die europäischen Flanken angesehen worden. Die konstante, ja fast provozierende Verstärkung des sowjetischen Rüstungspotentials in den Satellitenstaaten wird auch von den Londoner Strategen als Indiz für ein sinkendes Interesse des Kreml an Truppenreduktionen in Europa gewertet.

Die sowjetischen Militärs, durch die Mitgliedschaft Gretschkos im Politbüro noch mehr in der Entscheidungshierarchie präsent, denken offenbar nicht daran, ihre Positionen zu räumen. Was unter hartem Konsumverzicht an Rüstungsgütem produziert wurde, kann aus der Sicht der Marschälle nicht am Verhandlungstisch geopfert werden. Selbst unter dem Aspekt nicht, daß die Schwächung im Westen ja noch größer wäre. Aus dieser Sicht ist das westliche Angebot einer Truppenverdünnung nur das Kaschieren von Tatsachen. Ein solches Tauschgeschäft ist den sowjetischen Militärs zutiefst zuwider. Darum üben sie auch Druck auf die Politiker aus, die in Genf auf dem Gebiet des freien Meinungsaustausches gemachten Konzessionen rückgängig zu machen.

Doch selbst ein so düsteres Bild sollte niemanden dazu bewegen, die Konferenzpolitik über Bord zu werfen. Denn solange man verhandelt, ist die Gefahr einer Konfrontation ungleich geringer.

In Portugal ist geschehen, was der mit Schimpf und Schande verjagte Professor Caetano dem in Glorien zur (Schein-)Macht gelangten General Spinola einst prophezeit hatte. In den Überseeterritorien entstand nicht, wie der gutgläubige Offizier glaubte, nach Volksabstimmungen ein freies Commonwealth der gleichberechtigten Schwarzen, Mischlinge, Asiaten und Europäer, sondern die linken Dogmatiker in Lissabon lieferten ein Gebiet nach dem anderen den von Supermächten und dem Weltkirchenrat finanzierten Terrorgruppen ans Messer. Im Mutterland entfaltete sich nicht die Demokratie nach angelsächsisch- westlichem Muster, sondern die Alleinherrschaft der Straße. Als die „schweigende Mehrheit’ zu Gunsten Spinolas reden wollte, wurde ihr der Mund verboten. Und Spinola trat zurück. Und sagte, was er längst hätte sagen müssen, wenn er willens war, sich dem Marsch seines Landes in die Volksdemokratie entgegenzuwerfen.

Man müßte blind wie Spinola sein, wollte man die weltpolitischen Zusammenhänge nicht erkennen. Sie lassen sich nämlich mit Händen greifen: Die Sowjetunion braucht den durch ein volksdemokratisches Portugal gesicherten Ausgang zum Atlantik — wie sie den durch ein demnächst volksdemokratisches Äthiopien gesicherten Ausgang aus dem Roten Meer nach der Öffnung des Suezkanals brauchen wird. Alles andere ist Geschwätz.

Portugals letzter Rettungsanker sind freie Wahlen. Man wird sie (wahrscheinlich) zu verhindern wissen.

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