6750263-1967_25_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Dritte im Bunde?

Werbung
Werbung
Werbung

Jeder kennt das: Man redet von Irgend etwas, hört zu, mischt sich in, aber die Gedanken sind ganz woanders. Unausgesprochenes steht zwischen den Gesprächspartnern, „liegt in der Luit“, drängt hinter den Geräuschkulissen einer vordergründigen Debatte zur Entscheidung.

Genau das exerzieren uns derzeit die Repräsentanten der Völker auf der Bühne des Welttheaters am East River vor: Sie reden vom Krieg im Nahen Osten, zerreden den Frieden zwischen Israelis und Arabern, doch die Gedanken sind woanders, schweifen unwillkürlich ab, kreisen um den Fernen Osten und den Donnerschlag, der dorther in den Glaspalast der UNO drang und den Theaterdonner überdröhnte, mit dem Moskau das Fiasko seiner Schutzbefohlenen im „Heiligen Krieg“ gegen Israel wettmachen will.

Denn zur selben Zeit, da in New York die Delegierten der Machthaber dieser Welt, der Mächtigen und der Ohnmächtigen, auf sowjetischen Wunsch zur Sondersitzung über den Nahostkonflikt zusammentraten, explodierte in Sinfciang die erste chinesische Wasserstoffbombe. Das sei, kommentierte Radio Peking, „ein schwerer Schlag für den amerikanischen Imperialismus und den sowjetischen Revisionismus“. Der Test war um einen Monat vorverlegt worden, um den „Triumph der Ideen Mao Tse-tungs“ im propagandistisch wirksamsten Zeitpunkt auszuspielen. Dieser Coup ist gelungen. Während sich die beiden Großen, die seit dem letzten Weltkrieg den Anspruch auf Hegemonie, Vorrechte und Bürden der Macht untereinander zu teilen gewohnt sind, die USA und die Sowjetunion, eben anschickten, hinter dem Vorhang von Redeschlachten in der Generalversammlung ein neues Arrangement auszuhandeln, meldete Peking un-überhörbar die Forderung an, im Bunde zumindest der Dritte zu sein.

Da reden sie nun über die Aggression auf Sinai und am Jordan, ihre Blicke aber sind gebannt vom Feuerpilz der Wasserstoffbombe Mao Tse-tungs. Das Gleichgewicht der Welt, gegründet auf ein Gleichgewicht des Schreckens, ist aus den Fugen. Wird es, nein: muß es nun zu einem New Deal der globalen Macht kommen? Zu einer Teilung in drei konkurrierende, einander zugleich abstoßende und anziehende Kräftefelder? Oder letzten Endes doch wieder zu einer — allerdings völlig neuen, wenn auch oft vorhergesagten — Polarisation, die Washington und Moskau als Partner dem China von morgen gegenüberstellt?

Der Szenenwechsel ist frappant. Und verwirrend dazu. Vor zwei Wochen noch glaubte man, es gehe darum, nach dem totalen Sieg Israels über seine feindseligen Nachbarn, die ihm großsprecherisch mit der Vernichtung, der Ausdöschung gedroht hatten, Grundlagen — oder Chancen wenigstens — eines dauerhaften Friedens zwischen Juden und Arabern zu suchen. Darum geht es auch nach wie vor. Sobald aber Moskau, eingedenk seiner hoffnungslosen Minderheit im Sicherheitsrat, die Auseinandersetzung in das Plenum der UNO getragen und Kossygin selbst nach New York entsandt hatte, gaben die Kommentatoren aus aller Herren Ländern und Gazetten postwendend vor, zu wissen, was da „eigentlich“ gespielt werde. Und ihre Kombinationen hatten viel für sich.

Für die Sowjetunion geht es zunächst darum, die Scharte auszuwetzen, die auch ihr jener Krieg der fünfeinhalb Tage — prestigemäßig — eingetragen hat. Auf diplomatischem Feld will sie zurückerobern, was die Araber auf dem Schlachtfeld verloren haben. Verloren nicht nur, wie es die Araber sehen, weil die Sowjets ihre Freunde in Kairo und Damaskus, in Bagdad und Amman im Stich gelassen hätten. Es gilt also für Moskau, den Jahre hindurch mit Waffenlieferungen und Milliarden von Rubeln erkauften Einfluß im arabischen Raum wieder zu stärken, nachdem man unter dem Eindruck der israelischen Siege dem Feuereinstellungsbefehl des Sicherheitsrates ohne Bedingungen zugestimmt hatte. Wobei der Kreml kaum ein Risiko eingeht: Verurteilt die Generalversammlung tatsächlich wider besseres Wissen und Gewissen Israel als „Aggressor“, weil es Moskau und die falsch verstandene Solidarität neusouveräner Staaten verlangen, hat die UNO keinerlei Exekutivgewalt, den Beschlüssen Geltung zu verschaffen, so daß auch die USA — notwendigerweise als Fürsprecher Israels und einer gerechten, womöglich zwischen den Beteiligten selbst ausgehandelten Frie-densordniung im Nahen Osten auftretend — nicht über Gebühr strapaziert würden. Hält aber die Mehrheit dem propagandistischen Trommelfeuer stand, kann Kossygin immerhin seine Hände in Unschuld waschen: Er hätte getan, was möglich war.

Doch Kossygin — so die Kombinationen — sei nicht nur dieses diplomatischen Alibis willen nach New York geflogen. Die Sondertagung der UNO habe vielmehr eine unverdächtige, wenig Aufsehen erregende Gelegenheit zu einer Begegnung mit Johnson geboten, einer Begegnung, die sich der sowjetische Ministerpräsident sonst mit Rücksicht auf den Vietnamkonflikt nicht leisten könnte. Während diese Zeilen in Druck gehen, ist es noch völlig ungewiß, db es zu dem ersten amerikanisch-sowjetischen Gipfelgespräch seit dem spektakulären Treffen zwischen Kennedy und Chruschtschow in Wien überhaupt kommen wird. Unbeschadet dessen steht aber fest, daß Moskau bereit und daran war, hinter den Kulissen der Propagandashow einen weltweiten Ausgleich mit Washington auszuhandeln, einen Ausgleich, in dessen Rahmen Vietnam und der Verzicht auf „perfekte“ Raketenabwehrsysteme, verbunden mit dem Atomsperrvertrag, somit die Zementierung des Gleichgewichtes des Schrek-kens und der Vormachtstellung beider Staaten in ihren Hemisphären, ungleich größere Bedeutung hätten als die Liquidierung des permanenten Kriegszustandes in Nahost.

In diese Situation hinein platzte nun buchstäblich die chinesische Wasserstoffbombe. Man hat sie erwartet, früher oder später. Und die amerikanischen Militärs werden schon recht haben, die „beruhigend“ meinen, es werde noch geraume Zeit vergehen, bis die Chinesen auch über interkontinentale Trägerraketen verfügten, um ihre Wasserstoff-

bomben „an den Mann zu bringen“. Dennoch steht — von der Absurdität solch makabren „Trostes“ ganz abgesehen — außer Zweifel, daß mit der Zündung dieser Testbomibe eine ähnlich entscheidende Wende in der machtpolitischen Entwicklung auf Erden eingetreten ist wie seinerzeit mit der ersten russischen H-Bombe.

Damit aber ist jener Krieg wieder ins Blickfeld gerückt, den man — je nach Standort — ob der Euphorie oder ob des Schocks über das israelische Exempel nur au gern verdrängt hatte: den Krieg in Vietnam, der auf Kosten eines gemarterten Volkes experimentellen Zwecken dient wie einst der Bürgerkrieg in Spanien, als Probe und Exerzierfeld eines dritten Weltkriegs gewissermaßen. Hält Peking auch im Besitz der Wasserstoffbombe das Wort von der Weltrevolution aufrecht? Wächst mit dem Machtpotential auch sein Verantwortungsbewußtsein? Will es sich mit all den starken Worten und Gesten als dritte Weltmacht etablieren — und ist Washington fähig, ist es einsichtig genug, darauf einzugehen, um des Friedens, um der Menschheit willen? Ist Moskau bereit, sich Washington zu nähern, also eine Kluft zu überbrücken, um dem Abgrund auf der anderen Seite zu entgehen? (Was auch vice versa gilt!) Wird hinter den Kulissen mit offenen Karten, ohne Theatralik und Pose gespielt?

Fragen, nichts als Fragen zunächst im Irrlicht der Mittsommernacht. Und dürfen wir auch annehmen, daß die Sonnenwende keine Zeitenwende einleiten wird, steht doch fest, daß in diesen Tagen eine Ära zu Ende gegangen ist, die vom amerikanischsowjetischen Dualismus bestimmt war, eines Dualismus, der sich seit Kennedy zögernd, auf vielen Umwegen, schwer behindert durch Vietnam und doch merkbar auf eine Partnerschaft hin entwickelte. Wird die nächste Ära, die schemenhaft heraufdämmert, im Zeichen dieser Partnerschaft zur Begründung eines neuen Gleichgewichts mit dem Gegenpol China stehen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung