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Der Machtwechsel Konsequenzen für

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Die Sowjetunion hat mit Michail Gorbatschow einen neuen Mann an der Spitze, der es freilich mit den alten, auch von seinen Vorgängern ungelösten Problemen zu tun haben wird. Was für Konsequenzen ergeben sich daraus für die westliche Politik gegenüber der UdSSR? Hat der Westen überhaupt die Möglichkeit zur Einflußnahme auf die sowjetische Politik? Wir lassen dazu vier amerikanische Sowjet-Experten zu Wort kommen.

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Die Sowjetunion hat mit Michail Gorbatschow einen neuen Mann an der Spitze, der es freilich mit den alten, auch von seinen Vorgängern ungelösten Problemen zu tun haben wird. Was für Konsequenzen ergeben sich daraus für die westliche Politik gegenüber der UdSSR? Hat der Westen überhaupt die Möglichkeit zur Einflußnahme auf die sowjetische Politik? Wir lassen dazu vier amerikanische Sowjet-Experten zu Wort kommen.

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Sowjetexperten aus der akademischen Welt haben dieser Tage Hochsaison. Bestürmt von den Medien, geben sie in den Zeitungen, in Rundfunk und Fernsehen ihre Kommentare zur Wachablöse im Kreml ab, ebenso wie ihre Einschätzungen des neuen sowjetischen Führers.

Bei der spärlichen Faktenlage, mit der Kremlforscher konfrontiert sind, ist das allemal ein schwieriges Unterfangen. Und bei einem Politiker wie Michail Gorbatschow, der innerhalb von wenigen Jahren von einem unbekannten Provinzpolitiker zum ersten Mann in der UdSSR aufgestiegen ist, wird das Problem einer trefflichen Einschätzung nur noch größer.

Amerikanische Sowjetologen wagen sich hier wahrscheinlich weiter vor als ihre europäischen Kollegen, vermutlich auch darum, weil der Druck zu öffentlichen Stellungnahmen, ausgeübt von der dortigen Medienwelt, weitaus stärker ist als in unseren Breitengraden.

Wie dem auch sei: Auch die FURCHE veröffentlicht hier Stellungnahmen von vier zu den absolut bekanntesten amerikanischen Sowjetforschern zählenden Kreml-Experten; im übrigen haben alle vier einen polnischen Hintergrund.

Alle vier haben gewichtige Arbeiten zur sowjetischen Geschichte und Politik veröffentlicht, alle vier werden von amerikanischen Regierungen immer wieder zu Beraterzwecken herangezogen, ja dienten auch in Regierungen: Ho-relick unter der Carter-Administration, Pipes im US-Sicherheitsrat in den ersten zwei Jahren der Reagan-Regierung, wo er ganz entscheidend an der damals ausgeübten Politik der Stärke gegenüber der Sowjetunion mitformuliert haben soll.

Was die Analyse der Sowjetwirklichkeit anlangt, gibt es unter amerikanischen Experten keine allzu gravierenden Unterschiede. Das muß nicht verwundern. Denn was für einen anderen Schluß kann man etwa aus den zugänglichen Wirtschaftsdaten ziehen, als den, daß die Wirtschaft der UdSSR stagniert.

Unterschiedliche Auffassungen treten aber schon dort zutage, wo es um das Ausmaß, die Folgen und die Bedeutung der sowjetischen Krise geht. Während etwa Professor Pipes den Verfall des sowjetischen Systems näherkommen sieht und dafür plädiert, diesem Auflösungsprozeß durch wirtschaftlichen Druck — sprich: Vorenthaltung jeglicher westlicher Hilfe — zusätzlich nachzuhelfen, sehen seine Kollegen Bialer und Horelick die Stabilität des sowjetischen Systems auch in dieser Zeit der wirtschaftlichen, politischen, ideologischen und kulturellen Krise durchaus noch gewährleistet.

Professor Bialer formuliert das so: „Das sowjetische System steckt in keiner Uberlebenskrise, sondern in einer Krise der Effektivität.”

Daß die Möglichkeit zur Einflußnahme auf die sowjetische Politik von außen her gering ist, darin stimmen die meisten amerikanischen Sowjetologen überein. Unterschiedlich sind aber ihre Rezepte für eine realistische westliche Politik gegenüber Moskau.

FURCHE: Herr Professor Pipes, Sie rechnen zwar mit keiner Revolution in der Sowjetunion. Sie glauben aber doch an die Notwendigkeit, daß die erstarrten Positionen zwischen der Nomenklatura und der Bevölkerung in der UdSSR überwunden werden müßten. Dabei nennen Sie drei Alternativen:

# die Rückkehr zum Stalinismus;

# verstärkte Aggression nach außen;

# interne Reformen.

Wenn Sie die gegenwärtige Machtkonstellation in Moskau betrachten: Zu welcher dieser drei Alternativen tendiert Ihrer Meinung nach die gegenwärtige Führung?

PROFESSOR RICHARD PIPES: Zunächst: Ich schließe eine Revolution nicht aus, aber ich halte ein solches Ereignis für unwahrscheinlich — ganz einfach, weil gegenwärtig niemand eine solche Revolution will — im Gegensatz zur Periode vor 1917.

Die wahrscheinlichste Entwicklung muß meiner Meinung nach in Richtung Reform gehen — ähnlich wie in China. Denn eine Rückkehr zum Stalinismus ist kaum möglich, und ein Krieg ist zu riskant. Deshalb eröffnet eine von oben gesteuerte Reform die besten Möglichkeiten für die Nomenklatura, um die Macht beizubehalten und gleichzeitig die Lage unter Kontrolle zu halten.

FURCHE: Halten Sie Michail Gorbatschow für den geeigneten Mann, der eine solche Reform von oben durchsetzen könnte?

PIPES: Es ist anzunehmen, aber man muß vorsichtig sein. Wir haben es schon mehrfach erlebt, daß Leute, die in der Sowjetunion an die Spitze kommen, dort einen ganz anderen Kurs verfolgen als vor ihrem Machtantritt. Im großen und ganzen scheint Gorbatschow aber doch der Mann zu sein, der die sowjetischen Probleme und ihre Ursachen kennt.

FURCHE: Wer sind nun Ihrer Meinung nach in der sowjetischen Gesellschaft die Kräfte, die für Reformen sind und wer blok-kiert sie?

PIPES: Ganz allgemein: Die Kräfte, die Reformen befürworten, sind jene Leute, die es mit den Problemen zu tun haben, also insbesondere die Wirtschaftsmanager. Gegen Reformen sind natürlich jene Gruppen, die durch Veränderungen am meisten zu verlieren hätten: die Parteibonzen, der Geheimdienst und die Sicherheitsorgane sowie das Militär. Generell gesehen handelt es sich also um einen Konflikt zwischen dem Produktions- und dem

Sicherheitssektor der sowjetischen Gesellschaft.

FURCHE: Was kann nun der Westen tun, um die reformfreudigen Kräfte in der Sowjetunion — in welcher Form immer—zu unterstützen?

PIPES: Das wichtigste ist, daß wir der Sowjetunion wirtschaftliche Hilfe vorenthalten. Denn das Hauptproblem für die Sowjets ist und bleibt die Wirtschaft. Je schlechter ihre wirtschaftliche Situation wird — und sie ist ohnedies schon schlecht genug —, desto eher sind Reformen wahrscheinlich.

Die Situation erinnert an China. Was China dazu zwang, sowohl seinen innen- wie außenpolitischen Kurs zu ändern, war die hoffnungslose wirtschaftliche Situation. Und in dem Moment, als die Volksrepublik mit gründlichen Reformen begann, verbesserte sich ihre wirtschaftliche Lage.

FURCHE: In Ihrem letzten Buch schreiben Sie, daß der Westen die Situation nicht destabilisieren könne, gleichzeitig rufen Sie zu einer Unterstützung jener Kräfte auf, die für Veränderungen im Sowjetsystem eintreten. Liegt da nicht ein Widerspruch?

PIPES: Die Kräfte der Veränderung sind bodenständig. Wenn Sie von Destabilisierung sprechen, meinen Sie etwas anderes — etwa das, was die Kommunisten derzeit in El Salvador versuchen oder was sie vor ein paar Jahren in der Türkei versucht haben, wo direkt in die inneren Angelegenheiten eines Landes interveniert wurde. Das kann der Westen nicht, selbst wenn er es wollte.

Aber es gibt innerhalb der Sowjetunion Leute, die Veränderungen anstreben und diese Kräfte haben nicht wir geschaffen.

Ich rufe nicht zur Destabilisierung des Kommunismus in der Sowjetunion auf, ich meine: man soll den Kommunismus sich selbst destabilisieren lassen.

FURCHE: Was für eine westliche Politik gegenüber der Sowjetunion schlagen Sie also vor?

PIPES: Das wichtigste ist und bleibt die Erkenntnis, daß man es mit einem System zu tun hat, das von seinem innersten Kern her aggressiv ist. Deshalb sollte man der Sowjetunion so lange jegliche Hilfe vorenthalten, bis sich das System von selbst verändert, bis es nicht mehr aggressiv ist. Nicht politische Reformen sind notwendig, sondern Veränderungen im System.

Aus einem Interview, das Burkhard Bischof mit dem Harvard-Historiker und Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA von 1981 bis 1982, Richard Pipes, in Cambridge führte.

Die gegenwärtige amerikanische Regierung hat zwar eine klare Einstellung zum Supermachtgegner Sowjetunion, aber sie hat kein klares politisches Konzept für eine Politik gegenüber der UdSSR. Und ebenso unklar sind die Ziele der amerikanischen Politik gegenüber Moskau:

Sollen die USA versuchen mitzuhelfen, das sowjetische System zu verändern? Sollen die USA — wie einige Leute vorschlugen — so viel Druck auf die Sowjetunion ausüben, daß sie sich allmählich auflöst? Soll man die UdSSR dazu bringen, daß sie ihr internationales Verhalten ändert und sich völlig ihren internen Problemen zuwendet?

Ich meine: Man kann das sowjetische Verhalten in der internationalen Arena nicht verändern, weil die Gründe für den sowjetischen Expansionismus mit der inneren Situation des Systems zusammenhängen. Ebenso unrealistisch ist es, zu vermeinen, die Sowjetunion durch positive Anreize von außen verändern zu können — wie das etwa gewisse linksliberale Kreise in den USA vorschlagen. Ein großes Land wie die Sowjetunion mit seiner eigenen Geschichte und Tradition läßt sich ganz einfach nicht von außerhalb verändern.

Die Unterstützung für eine antisowjetische Politik in der amerikanischen Öffentlichkeit in den letzten Jahren ist gewiß gewachsen, ebenso wie für verstärkte Rüstungsanstrengungen. Aufgrund dieser „atmosphärischen” Veränderungen wird die Idee, die Sowjets wirtschaftlich und politisch an die Wand drücken zu können, auch weiter in der Öffentlichkeit und in der Politik einen gewissen Rückhalt finden.

Dennoch sollte wenigstens der Versuch gemacht werden, eine Politik gegenüber der Sowjetunion zu entwickeln und zu verfolgen, die auf Kontinuität und Konsistenz beruht. Gleichwohl bin ich in diesem Punkt sehr skeptisch.

Aber nicht nur den Amerikanern fehlt das Konzept einer klaren Politik gegenüber Moskau. Auch den Sowjets fehlt ein Konzept einer klaren Amerika-Politik. Sicher würden sie gerne auf der Grundlage der Entspannung ihren politischen Kurs gegenüber dem Westen weiterverfolgen. Aber dafür ist der Westen, sind vor allem die USA nicht mehr zu haben. Und bis jetzt hat Moskau noch keinen Ersatz gefunden.

Während die siebziger Jahre eine Periode der versäumten Gelegenheiten beider Supermächte waren, sind nun also die achtziger Jahre eine Periode der fehlenden

Chancen.

Welche Politik gegenüber der Sowjetunion halte ich für die richtige: Entspannung, eine Politik der Eindämmung oder eine Politik der Konfrontation? Ich glaube, das richtige wäre eine Politik, die sich aus allen diesen drei Elementen zusammensetzt:

# In Zusammenhang mit militärischen Fragen brauchen wir ganz einfach die Entspannung, weil sich sonst der Konflikt und die damit zusammenhängenden Gefahren nur noch steigern.

# In Zusammenhang mit dem sowjetischen Expansionismus bedarf es einer Politik der Eindämmung, um für Moskau das Risiko seines weltpolitischen Abenteurertums zu erhöhen und damit von diesen Bestrebungen zu entmutigen.

# In Bereichen wiederum, in denen unsere Hauptinteressen liegen, sollten wir uns bei den Sowjets das Image schaffen, daß wir notfalls absolut zur Konfrontation bereit sind, wenn diese Interessen angetastet werden.

Die USA und die Sowjetunion tun sich deshalb so schwer miteinander, weil beide im höchsten Maße ideologisch gesinnte Supermächte sind, weil sie geopoli-tisch unterschiedliche Ausgangslagen und unterschiedliche Quellen ihrer außenpolitischen Aktivitäten haben (bei den Sowjets etwa ausschließlich ihre militärische Macht), weil sie entscheidende Assymetrien in ihrer militärischen Stärke aufweisen (was die Kompromißfindung bei Rüstungskontroll-Verhandlungen so schwierig macht) und weil sie verschiedene Sicherheitskonzepte haben.

Auf sowjetischer Seite ist es das Streben nach totaler Sicherheit, auf dem das Konzept beruht. Auf amerikanischer Seite wiederum verursachte die von den Sowjets erlangte nukleare Parität eine Art sicherheitspolitisches Trauma, weil zum ersten Mal in der Geschichte der USA das Schicksal der Nation in den Händen einer anderen Macht liegt.

Das Problem ist: Sowohl in den USA wie in der Sowjetunion hat sich das Sicherheitskonzept von der nuklearen Realität losgelöst. Und erst dann, wenn beide Supermächte erkannt haben werden, daß ihre jeweiligen Sicherheitskonzepte unrealistisch sind, kann es meiner Meinung nach Fortschritte in den gegenseitigen Beziehungen geben.

Auszüge aus einem Vortrag, den der Politikwissenschafter Seweryn Bialer, Leiter des „Institutes für internationale Veränderungen” an der Columbia-Universität, bei der Fachtagung „Europäisch-amerikanische Beziehungen mit der UdSSR” im „Salzburg Seminar hielt. Nichtautorisierte Ubersetzung und Bearbeitung: B. Bischof

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