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Entspannung ohne Vorleistung?

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Es war der Grundfehler der USA, in den letzten dreißig Jahren den Kommunismus nur geographisch und nicht politisch bekämpft zu haben. Amerika nahm den Kommunismus dort als gegeben hin, wo er schon an der Macht war, und widersetzte sich nur seiner weiteren Ausdehnung. Dagegen verstanden die Amerikaner nicht, daß der Kommunismus durch inneren Widerstand im kommunistisch beherrschten Land am besten überwunden werden kann.

Wir stehen heute an der Schwelle dramatischer Ereignisse in Polen. In der Sowjetunion scheint mir die Lage alles andere als stabil zu sein. Die demokratische Opposition ist hier zwar noch schwach, aber wichtig als Quelle einer politischen Alternative. Trotz der Verhaftungen und Ausweisungen hat die Menschenrechtsbewegung bereits mehr als ein Jahrzehnt überdauert. Sie bewirkt nicht nur eine langsame Revolution in den Köpfen sowjetischer Menschen, sondern dient auch der Welt als Gradmesser für das Verhalten der schweigenden Mehrheit in der Sowjetunion.

Ich kann verstehen, daß es dem Westen schwerfällt, zwischen dem Widerstand gegen den Kommunismus und dem Einvernehmen mit den Ostblockregierungen den richtigen Weg zu finden. Ich bin aber nicht der Auffassung, der Westen stünde vor der Alternative, entweder das Wettrüsten zu verlangsamen oder für die Demokratisierung der Sowjetunion einzutreten. Man kann - im Gegenteil

- die Kriegsgefahr durch Umwandlung des Sowjetsystems in eine offene Gesellschaft am besten zu bannen versuchen. Bis dahin wird sich der Westen aber stets - auch bei einer gegenseitigen Verringerung des Rüstungstempos - der Gefahr eines Überraschungsangriffs ausgesetzt sehen.

Nur eine offene Gesellschaft ermöglicht wirksame Rüstungskontrolle und verhindert einen unprovo-zierten Angriff. Alle geschichtlichen Erfahrungen besagen, daß es eine direkte Beziehung zwischen dem Tota-litarismus und der Aggression gibt. Daher ist die Beschränkung innerstaatlicher Macht in der Sowjetunion auch die beste Versicherung gegen

„Nur eine offene Gesellschaft ermöglicht wirksame Rüstungskontrolle und verhindert einen unprovozierten Angriff einen Uberfall auf andere Länder. Die Unterstützung einer Demokratisierung liegt daher auch im Interesse des Westens und dessen Sicherheit.

Ich kann hingegen nicht sehen, wieso eine Abrüstung kriegsverhütend sein sollte. Die westlichen Befürworter der Entspannungspolitik wollen gute Beziehungen zur Sowjetunion . im Interesse einer stabilen Weltordnung, wegen der Verhütung eines Atomk/ieges und der Verringerung der Rüstungslast. Sie fördern die sowjetische Wirtschaft - in der Hoffnung auf außenpolitische Mäßigung der Sowjetunion. Gleichzeitig sind sie davon überzeugt, daß jeder Versuch, auf die Sowjetunion Druck auszuüben, die sowjetische Innen-wie Außenpolitik nur verhärten kann.

Das will mir jedoch nicht verständlich erschienen. Die Vorstellung, man könne die Sowjetunion - durch Entspannung im allgemeinen oder durch Wirtschaftshilfe im besonderen - bestechen, führt nur zur Erpressung, wenn die Sowjetunion immer mehr für „Wohlverhalten“ zu verlangen beginnt, Die Geschichte kennt viele Beispiele dafür, wie sich „Han-dels“-staaten von „Kriegs“-staaten loszukaufen suchten und dadurch nur deren Appetit vergrößerten. Ich fürchte, der amerikanische Weizen wird letztlich nicht ausreichen, um fehlende Willensstärke zu ersetzen.

Der Westen sollte sich immer vor Augen halten, daß nicht nur er, sondern auch die Sowjetunion an Entspannung interessiert ist. Die Scheu, auf die Sowjetunion Druck auszuüben, findet ihre Rechtfertigung einzig in der Furcht vor dem damit verbundenen Risiko. Es ist gefährlich, Druck auszuüben; aber noch gefährlicher wäre es, keinen Druck auszuüben. Denn der Westen würde dann völlig dem sowjetischen Druck ausgesetzt und dessen Opfer sein.

Das fehlende Verständnis für das Denken der sowjetischen Funktionäre - und die daher rührende überstürzte Entspannung - könnte zu noch kläglicheren Ergebnissen führen. Das Argument, man müsse die Sowjetunion dafür „bezahlen“, daß sie die Unordnung in der Welt nicht vergrößere, macht einen wahrhaft niederschmetternden Eindruck.

Es geht in Wahrheit darum, daß jede Konzession des Westens an dessen zuvor gezeigter Beharrlichkeit gemessen wird. Eine stufenweise Entspannung zwischen der-Sowjetunion und dem Westen muß, wenn sie nicht illusorisch sein soll, begleitet sein von einer stufenweisen Milderung des inneren Regimes der Sowjetunion. Wie in jede „Bloody Mary“ eine Prise Tomatensaft gemixt wird, so müßte jede Entspannung als Grundbedingung eine Prise Liberalisierung des Sowjetsystems enthalten.

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