6599326-1953_27_03.jpg
Digital In Arbeit

Taktik der Moskauer Diplomatie

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ministerium des Aeußern der Sowjetunion hat wohl das größte Gebäude zur Verfügung, das je ein Außenministerium in der Welt besaß. Das neue Gebäude des sowjetischen Außenministeriums, an einem der Moskauer Boulevards gelegen, ist ein gewaltiger Wolkenkratzer. In diesem riesigen Bürogebäude wird seit dem Tode Stalins intensiv gearbeitet. Aeußerlich verläuft alles ruhig. Es ist noch keine auffällige diplomatische Geschäftigkeit zu vermerken. Der Außenminister Molotow und seine Stellvertreter empfangen nicht öfter ausländische Diplomaten als sonst. Die emsige Tätigkeit des Außenministeriums spielt sich ganz intern ab. Akten und Gutachten werden gesichtet, sortiert und vorbereitet. Berichte werden an-

gefordert. Mit einem Wort, der diplomatische Apparat der Sowjetunion bereitet sich auf entscheidende Verhandlungen vor.

Am eifrigsten arbeiten die Stellen, deren Aufgabe es ist, den Kontakt mit den in Moskau akkreditierten ausländischen Diplomaten zu pflegen und die bisher eher das Gegenteil getan haben, nämlich alles, um die

ausländischen Diplomaten in Moskau zu isolieren.

Die Protokollabteilung schmiedet eifrig Pläne. Was soll veranstaltet werden, um die Kontakte zwischen ausländischen Diplomaten und Russen zu verstärken? Tennisturniere wie schon einst vor etwa 20 Jahren im Park des Palais des Außenministeriums? Gemeinsame Ausflüge? Reisen? Oder gar ein diplomatischer Klub, in dem sich Ausländer und Russen treffen sollen?

Eine weitgehende Umstellung nimmt auch das „Bürobin“ vor. Der volle Name dieses Büros lautet etwa: „Büro zur Bedienung der Ausländer.“ Dieses Büro ist offiziell dem Außenministerium angegliedert. Ihm gehören die vielen Gebäude, die an die ausländischen Missionen verpachtet werden. Auch die Instandhaltung dieser Gebäude obliegt ihm. Wenn eine ausländische Mission bauen will, so kann sie es nur über dieses Büro. Bürobin entsendet die Handwerker, welche die ausländischen Botschafter gelegentlich brauchen. Durch dieses Büro müssen die größeren Einkäufe besorgt werden. Auch die ärztliche Betreuung der ausländischen Dip'lomaten erfolgt durch dieses Büro.

So bescheiden es sich gibt, es ist die Stelle, von der in Moskau das Wohlergehen der ausländischen Diplomaten abhängt. Wie gesagt, offiziell ist das Bürobin ein Teil des Außenministeriums. Doch gleichzeitig ein autonomes Wirtschaftsunternehmen, das Gewinn abwerfen muß. In Wirklichkeit war es bis jetzt jedoch weitgehend von der politischen Geheimpolizei abhängig. Von Anfang an hatte es die politische Geheimpolizei verstanden, dieses Büro ganz in die Hand zu bekommen. Unter dem Vorwand, daß die

Geheimpolizei einerseits den Sowjetstaat vor Spionage, anderseits das Leben der ausländischen Diplomaten schützen muß, ernannte die Geheimpolizei von Anfang an das Personal für dieses Büro. Es ist Tradition der Kaste der Geheimpolizisten, daß sie die ausländischen Diplomaten direkt haßt. So war auch die Tätigkeit des Bürobin immer eine merkwürdige komplizierte Mischung von Entgegenkommen und Schikane. Es war unter anderem auch die Geheimpolizei, welche plötzlich auf die Idee kam, den Amerikanern und Engländern ihre Botschaftsgebäude zu kündigen. Die britische Botschaft und das Kanzleigebäude der Amerikaner befinden sich beide nämlich in nächster Nähe vom Kreml.

Jetzt ist der Einfluß der Geheimpolizei, wie auf den sowjetischen diplomatischen Dienst im allgemeinen, so auf das Bürobin im besonderen, weitgehend eingedämmt worden und das Bürobin bereitet sich auf neue Arbeitsmethoden vor. Engländer und Amerikaner können jetzt in ihren Botschaftsgebäuden bleiben. Nicht nur die Sowjetdiplomaten, auch alle anderen Beamten und vor allem jene, die dienstlich — vor allem im Ausland — mit Ausländern in Berührung kommen, haben ganz neue Weisungen erhalten.

Alle Staaten haben so ziemlich die gleiche diplomatische Technik. Alle Außenämter kennen einen Vorgang, der fachtechnisch Regelung der Sprache“ genannt wird. Das Außenamt gibt seinen Diplomaten Richtlinien, wie sie bestimmte Themen in offi-

ziellen und privaten Gesprächen zu behandeln haben. Bei den Russen hat man diese Technik sehr weit ausgebaut. Nidit nur die „Sprache“ wird reguliert, sondern das ganze Verhalten, beinahe jede Gebärde wird vorgeschrieben. Jetzt heißt die Parole: sich unter die Ausländer mischen, Kontakte herstellen, zugänglicher sein, frei diskutieren. Die englischen Krönungsfeiern gaben die erste große Gelegenheit, die neuen Direktiven anzuwenden. •

Nun gibt es natürlich viele Beobachter, die gerade in der Teilnahme der Russen an britischen Feiern etwas Verdächtiges finden. Schon der bekannte „Prawda“-Artikel schien verdächtig zu sein: der Versuch, einen Keil zwischen Großbritannien und die Vereinigten Staaten zu treiben. Man erinnerte sich der Aeußerungen Stalins vor seinem Tode, daß die Gefahr eines Krieges zwischen den westlichen Großmächten, wie etwa Großbritannien und den USA, viel größer sei als die Wahrscheinlichkeit eines Krieges zwischen der Sowjetunion und dem Westen.

Mit einem Wort, sehr viele sehen in den sowjetischen Friedensgebärden nichts anderes als den Versuch, Uneinigkeit im Westen zu stiften, die europäische Verteidigung zu verhindern und womöglich sogar den Nordatlantik-Pakt aufzulockern.

Nun, diese Aeußerung Stalins ist nichts Neues. Es ist ein fester Glaubenssatz aller Kommunisten, daß die „Gegensätze in der kapitalistischen Welt“ unüberbrückbar sind. Und Lenin hat bereits empfohlen, immer diese Gegensätze für die Politik der Sowjets politisch und diplomatisch auszunützen. In der diplomatischen Geschichte ist das auch nicht neu. Die Verhinderung oder Zerstö-

rung einer als gegnerisch betrachteten Koalition ist eigentlich die ständige Tätigkeit aller Diplomaten beinahe aller Großmächte gewesen. England nannte diese Politik „Gleichgewicht der Kräfte“ und hat sie einige Jahrhunderte angewandt. Noch klassischer war die Politik Bismarcks, der Jahre hindurch durch den berühmten Rückversicherungsver-trag eine russisch-französische Annäherung verhindert hat und auch die englisch-russischen Gegensätze geschickt ausspielte. Die Geschichte- lehrt aber auch, daß die britische Politik nur darum so lange erfolgreich war, weil England eigentlich auf dem Kontinent niemand bedrohte. Die Bismarcksche Politik erlitt jedoch nach seinem Abgang Schiffbruch. Denn alle Gegensätze treten schließlich in den Hintergrund, wenn alle meinen, von einem Starken bedroht zu sein.

Das weiß man heute auch im Kreml. Man weiß dort sehr gut, daß jedes Bestreben, die westlichen Mächte wirklich auseinander zu bringen, absolut irreal ist. Der Zusammenschluß der Westmächte ist durch die Verhältnisse gegeben und nicht durch den einen oder anderen Pakt oder Vertrag. Moskau leitet heute einen Block, wie er der Ausdehnung und seiner Bewohnerzahl nach noch nie in der Geschichte bestanden hat. Das allein ist schon eine Bedrohung der übrigen Welt. Dazu kommt noch, daß dieser Block durch eine gemeinsame Ideologie zusammengeschweißt ist und dieser zur Herrschaft auf dem ganzen Erdball verhelfen will.

Unter diesen Umständen ist diese Politik einer Spaltung der westlichen Welt gar nicht verwirklichbar. Nicht nur eine Aggression seitens der kommunistischen Welt, auch nur eine drohende Gebärde stellt die westliche Einheit wieder her. Schließlich sitzen auch in den westlichen Staatskanzleien keine kleinen Kinder. Treibt etwa der Kreml seine Politik der Spaltung zu weit, dann kann es zu einem sehr bösen Rückschlag für die sowjetische Außenpolitik kommen. Daher ist die Moskauer Politik viel realistischer. Sie will nur für die kommenden Verhandlungen die Einheitsfront des Westens etwas auflockern; vor allem aber jenen Partner des Westens, der den russischen Ansichten am nächsten kommt, diplomatisch stärken. Das ist heute vor allem Großbritannien. Denn in vielem sind die britisch-russischen Interessen einander nahe.

Auch in der chinesischen Frage steh- vorläufig Großbritannien den russischen Interessen bedeutend näher als die anderen Mächte der westlichen Welt.

So sind auch die russischen Ausfälle gegen die Konferenz auf Bermuda zu verstehen. Sie sind eher eine Warnung, als ein Versuch zur Verhinderung der Konferenz. Denn auch Moskau wünscht, daß die westliche Welt zu den Viermächtebesprechungen mit einer festen Grundlage kommt. Die russischen Ausfälle gegen Bermuda hatten ja auch insoweit ein für Moskau positives Ergebnis, als Churchill, der inzwischen unpäßlich wurde, dem Botschafter Malik nicht nur beruhigende Versicherungen abgab, sondern, wenn auch nur im allgemeinen, die britische Haltung auf dieser Konferenz mitteilte.

Aus alledem ist sehr deutlich, daß der Kreml eine Entspannung heute wirklich wünscht. Und es ist auch kein Geheimnis, wie die Sowjetunion die Verhandlungen führen will. Die russischen Maßnahmen der letzten Zeit zeigen deutlich, daß der Kreml erstens eingesehen hat, daß er die amerikanischen Forderung, zuerst durch Taten den Friedenswillen zu beweisen, erfüllen muß, damit seine Politik Erfolg haben kann. Zweitens ist. ganz deutlich, daß die Sowjetunion bei der Viermächtebesprechung im Grunde genommen nur einen Punkt auf der Tagesordnung haben tzill, und das ist Deutschland. Denn es sieht ganz so aus, als ob Moskau stillschweigend die amerikanische Auffassung teilen würde, daß. Korea und Oesterreich den Prüfstein für den guten Willen des Kremls abgeben sollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung