„Frühe Lyrik - bohemienhafte Dekade", charakterisiert Erich Schirhuber seine Gedichtsammlung „Die Pfeife geputzt". Das Klischee stimmt: durchgesoffene Nächte, Liebe und studentische Zivilisationskritik.Das Bändchen wäre etwas langweilig, gäbe es nicht den interessanten und mit großer Ehrlichkeit durchgeführten flauptstrang, die Auseinandersetzung mit der Spannung: angepaßtes Verhalten und bürgerliches Lebensbild gegen Auflehnung und Revolte. Solidarisierung mit den „Werktätigen" reduziert sich auf die Fahrt in derselben Straßenbahn, ein Belesener zweifelt
Und den teuren Regulator schmiß unser teures Kind von der Donaubrücke in das Wasser... ,Weg mit dem Käfig'... haben wir gehört, und dann sahen wir etwas fliegen."Das Kind, das mit der Schriftstellerin Maria Georg Hofmann mehr als nur das Jahr und den Ort der Geburt - Györ, Ungarn, 1933 - gemeinsam hat, mag keinen Maulkorb. Es lehnt sich auf, kämpft gegen eine überwiegend negative Umwelt, die voll ist mit Antisemitismus, Antisozialismus und unterdrückten Frauen. Erlebt aus der Sicht des Kindes, erzählt aus heutiger Perspektive, schildert Hofmann die Geschichte einer Familie von
„Wenn Du etwas aus dem Evangelium verstanden hast und sei es noch so wenig, lebe es!" So oder ähnlich lautete ein Satz in einer katholischen Jugendzeitschrift, der mich bis heute geprägt hat. Ich weiß nicht mehr, wann ich genau begonnen habe, mich regelmäßig mit der Bibel zu befassen, aber von Anfang an war mir wichtig, es in meinem Leben auszuprobieren, wobei ich vieles erst durch die Umsetzung besser verstanden habe.Heute gehöre ich der Fokolare-Be-wegung an und versuche sehr konsequent, einen Bibelspruch pro Monat zu lesen und zu leben. Jetzt im Dezember sind das die Worte von
Ich wasche den Salat, da hüllen dunkle unheilverkündende Wolken mein Angesicht in Finsternis. Oh Gott, die Suppe! Ich mache einen gewaltigen Satz hinüber zum Herd, stelle mit der rechten Hand die Suppe weg, bearbeite mit der linken die Bratkartoffel.Schweiß steht auf meiner Stirn. „Nikolaus", sage ich mir, „jetzt nur nicht die Nerven wegwerfen. Zwei Platten sind doch erst der Anfang. Also los, die dritte!" Das Kotelett zischt im heißen Fet, der Kampf mit den Naturgewalten geht erbarmungslos weiter.Stammesfehden, Turniere, Eroberungszüge, pah! Lächerlich! Das hier ist der
Eine plausible, nicht anthropozentrische, sondern auf das Tier selbst bezogene Begründung von Tierschutz geht von der Leidensfähigkeit der Tiere und dem Vernunftprinzip aus, Interessen, die man für sich selbst als berechtigt ansieht, auch bei allen anderen Individuen als schutzwürdig anzuerkennen. Die Verantwortung des Menschen für das Tier nimmt daher mit dessen Leidensfähigkeit zu.In Österreich wurde erstmals 1974 ein Tierversuchsgesetz in Kraft gesetzt. Seit 1985 gibt es konkrete Überlegungen, dieses Tierversuchsgesetz 1974 zu novellieren oder ein neues Tierversuchsgesetz zu
,J)er Jude war eben wie geschaffen für einen Staat, welcher auf den Trümmern von hundert lebendigen Politien erbaut und mit einer gewissermaßen abstrakten und von vornherein ver-schliffenen Nationalität ausgestattet werden sollte. Auch in der alten Welt war das Judentum ein wirksames Ferment des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition.“Theodor Mommsen, der große Historiker des alten Rom, hat in diesen Sätzen ein gültiges Urteil über die ureigene Aufgabe des jüdischen Volkes in den Wechselfällen einer langen Geschichte ausgesprochen. Wir denken dabei freilich weniger an die
Sauerstofflöcher wurden erstmals im Jahre 1981 in der Nordsee erfaßt: Damals sank im Tiefenwasser der Deutschen Bucht die Sauerstoffkonzentration um 60 Prozent ab. Gleichzeitig wurden auch in anderen küstennahen Bereichen der Nord-und der Ostsee Fischsterben beobachtet, die auf Sauerstoffmangel zurückgingen. Ursache war eine außergewöhnlich starke „Algenblüte“.Der Meeresforscher Sebastian Gerlach von der Universität Kiel führte die Algenvermehrung damals darauf zurück, daß das Nährstoffangebot in der Nordsee enorm gestiegen war: Durch die einfließenden Stickstoff- und
Ein gut besuchtes Bregenzer Festspielhaus bei Premiere und zweiter Aufführung stellte vor kurzem den — auch — musisch interessierten Alemannen unter Beweis. Großer Applaus war als Wohlwollenserweis gegenüber dem Unternehmen „Vorarlberger Opernwerkstatt" zu werten und jenseits jeden Zweifels verdienter Dank an Sänger, Orchester und Dirigent. Es war ein Erfolg, ein Erfolg jedoch, der eine fragwürdige Darbietung belohnte.Offenkundige Absicht der Inszenierung war die Übertragung des Geschehens aus dem frühen 19. Jahrhundert in die Gegenwart: Heeresverpflegungsfahrzeug, Mode
Das Vertrauen in staatliche Institutionen sinkt, das Unbehagen am Stil der Politik wächst. Ein engmaschiges Netz von Gesetzen, die jährlich zahlreicher’ werden, regelt fast alle Lebensbereiche. Der wachsenden Unübersichtlichkeit sind auch Politiker nicht gewachsen.
Die FURCHE hat namhafte Persönlichkeiten eingeladen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob unsere Gesellschaft noch eine gemeinsame Basis von Wertvorstellungen besitzt. Als ersten Beitrag bringen wir die Stellungnahme des Ordinarius für politische Wissenschaften der Universität München.
„Aber wenn mich jemand fragen sollte, ob ich etwa der Meinung wäre, der Westen, wie er sich heute darbietet, könnte ein Modell Tür mein Land sein, dann müßte ich dies, offen gestanden, verneinen. Nein, ich könnte nicht Ihre Gesellschaft in ihrer jetzigen Verfassung als ein Vorbild für die Umgestaltung der unseren empfehlen ... Nach Jahrzehnten der Gewalt und Unterdrückung sehnt sich die menschliche Seele nach höheren, wärmeren und reineren Werten als jene, denen man in den heutigen Lebensgewohnheiten begegnet, die von Fernsehstarre und unerträglicher Musik geprägt werden
Die Bildungsfunktion der Familie erfüllt sich nicht darin, daß Eltern sich gegenüber ihren Kindern wie Lehrer einer Grundschule verhalten, sondern dadurch, daß ein Familienleben besteht. Genau das, worunter unsere Gesellschaft krankt, daß sie aus atomaren Pluralitäten besteht, die nur gelegentlich und meist im weniger Wesentlichen miteinander in Beziehung treten, ist in einer gesunden Familie - auch in der Kernfamilie - im vorhinein überwunden.
Der polnische Ex-Marxist und Philosoph Leszek Kolakowski, der vor wenigen Wochen den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, verneinte in einem Interview zwar die Frage, ob er ein Christ sei, fügte aber hinzu: „Ich sehe mich als Teilnehmer einer lebendigen, christlichen Kultur. Der Mensch ist gut und böse; das Böse ist lebendig. Ich glaube an die These von der Erbsünde.” Vor drei Jahren schrieb er einen Aufsatz, in welchem er auf die Bedeutung der christlichen Lehre hinwies, daß es nicht nur einen Teufel gebe, sondern dieser auch nicht erlöst werden könne. Kurz darauf
In meinem letzten Beitrag versuchte ich, dem Leser nahezulegen, daß der Christ gewichtige Gründe habe, der Fortschrittsgläubigkeit unseres Zeitalters skeptisch gegenüberzustehen. Wenige Wochen, nachdem ich diese Zeilen eingesandt hatte, begegnete ich in den „Geistlichen Übungen“ des Ignatius von Loyola einer Wendung, die mich stutzig machte: Ignatius schreibt da, wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie es um „unseren Fortschritt auf dem Weg zum Heil“ stehe. Gibt es also doch eine Art von Fortschritt, die dem Christen am Herzen liegen und zu der er sich bekennen muß?Dies ist
Sollte sich jemand finden, der bereit wäre, einen ebenso zeitgemäßen wie substantiellen Katechismus abzufassen, so könnte er heute wohl nicht umhin, auf die Frage einzugehen, wie der Christ es mit dem Fortschritt halten solle. Gewiß ist Fortschritt - oder was dafür gehalten wird - ein „weltlich Ding“; er hätte deswegen im Katechismus nicht mehr zu suchen als etwa philosophische Grundaussagen über die Natur oder den Menschen. Aber die Theologie und damit auch der sich artikulierende Glaube sind nie ohne dergleichen Begriffe und Aussagen ausgekommen; schließlich muß man auch über das Übernatürliche und erst recht über Aufgaben des Menschen in dieser Welt in Begriffen sprechen, die unserer Alltagserfahrung entspringen.
Das seit März für die deutschsprachigen Bistümer vorgeschriebene Römische Missale sowie die darauf beruhenden deutschen Ausgaben — wie Schott u. a. — haben längst Eingang'gefunden, nach anfänglichem Widerstand ist hier eine Periode der Ruhe eingetreten. Vielleicht hat dazu ebenfalls der Umstand beigetragen, daß der Papst in einem Handschreiben an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz anläßlich der Überreichung des deutschen Meßbuches lobend hervorhebt, „mit welcher Gründlichkeit, aber auch Sachkenntnis berufene Kräfte sich ihrer verantwortungsvollen Aufgabe
Den voraussichtlich letzten (zwölften) Band seiner Schriften zur Theologie hat Karl Rahner seiner Mutter zur Vollendung ihres 100. Lebensjahres gewidmet, damit gleichzeitig das einmalige Zeugnis seiner eigenen ungebrochenen Schaffenskraft ablegend. Von den Beiträgen stammen mindestens 25 aus den letzten Jahren (1972 bis 1974). Auf den ersten Blick scheinen die Beiträge recht unterschiedlichen Inhalts zu sein, dennoch bindet sie ein gemeinsamer Gesichtspunkt: die Frage nach dem Heiligen Geist und seinem Wirken in Kirche und Theologie. Mit vollstem Recht wird dieser Band daher als
Das Erscheinen dieses Bandes gibt Gelegenheit, des 70. Geburtstages von Karl Rahner zu gedenken und diesem Theologen für die vielseitigen und tiefen Einsichten zu danken, die er auch den zahlreichen Lesern dieser Wochenzeitung geschenkt hat. Neben ihm gibt es keinen katholischen Theologen, der so viel Grundlegendes veröffentlicht und das kirchliche und katholische Selbstverständnis von heute so entscheidend geprägt hätte. Mit diesem Band dürften Rahners „Schriften zur Theologie“ ihren Abschluß gefunden haben, wird doch ein Register zu diesen Bänden in Aussicht gestellt. Inzwischen
Mit dem Erscheinen des fünften Bandes hat PlöcWs großes Werls über üe Geschichte des katholischen Kirchenrechts von den Anfängen bis rur Erlassimg des neuen Kirdüichen Gesetzbudies (1917) erfreulicherweise seinen Abschluß gefunden. Mit diesem fünften Band ist zugleich auch die Darstellung der Kirchlichen Rechtsgeschichte der Neuzeit vollendet, der der dritte, vierte und fünfte Band gewidmet sind. Der hier anzuzeigende Abschlußband behandelt zunächst das Kirchliche Strafrecht, dessen Umfang sich mit dem zunehmenden Verlust des bracchium saecnilare und mit der Übernahme zahlreicher
MYSTERIUM SALUTIS. GrundriB heilsgeschichtlicher Dogmatik, herausgegeben von Johannes F einer und Magnus Lchrer, BAND I: DIE GRUNDLAGEN HEILSGESCHICHTLICHER DOGMATIK. Benzinger-Veriag, Einsiedeln-Zurich-Koln.
Jene Verlage sind keineswegs zu tadeln, die sich systematisch der Übersetzung und Veröffentlichung wertvoller ausländischer Werke widmen. Man sollte im Gegenteil solchen Verlagen eher dankbar sein, weil sie dadurch der theologischen Befruchtung dienen. — Besonders in den letzten Jahren hat dieses Bestreben zugenommen, und vor allem Laien haben sich auf diesem Gebiet große Verdienste erworben. Sie beherrschen nämlich nicht nur die Fremdsprachen (selbstverständlich auch die Muttersprache), sie sind zugleich theologisch gut bewandert.Unter den Verlagen, die auf dem Übersetzungssektor
Dieser Artikel erschien am 10. August 1957. Unheimliche Szene: Begegnungen unseres inzwischen verstorbenen und unersetzlich gebliebenen Rußlandbearbeiters Nikolaus Basseches mit dem Bourgeois-Revolutionär Tschi-tscherin, einem der vielen, die Stalins Ungnade einen einsamen Tod hat sterben lassen.Der verantwortliche Leiter der russischen Außenpolitik in der heroischen Zeit der bolschewistischen Revolution, Tschitscherin, war eine interessante Persönlichkeit. Er gehörte einem der ältesten und vornehmsten Adelsgeschlechter des Kaiserreiches an. So alt und so vornehm, daß sie die durch
„Arbeitnehmerpartei?“ ist der Titel einer Meinungsäußerung aus dem Bereich der Vereinigung österreichischer Industrieller („Die Furche“, Nr. 47 vom 20. XI. 1965), die zu einer Antwort, vor allem vom Standpunkt des ÖAAB aus, provoziert. In diesem Artikel heißt es: „Die österreichische Volkspartei ist als eine Partei der Sammlung gegründet worden, das war ihr großer Vorteil und ihre Stärke. Warum soll diese Grundidee fallengelassen werden?“ In der Antwort auf diese seine rhetorische Frage verweist der Verfasser des Artikels auf Kräfte innerhalb der Volkspartei, „die der
LEXIKON FtJR THEOLOGIE UND KIRCHE. Herausgegeben von Josef Hüter und Karl Rahner. 8. Band (Palermo bis Roloff); 9. Band (Rom bis Tetzel). Verlag Herder, Freiburg, 1983 und 19A4. Je etwa 640 Seiten. Fr eis je Band 88 DM.
,,0 Gott, meine Seele braucht ein führend Licht“, so beginnt ein ^Gedicht von Alfons Petzold, dem großen Wiener Arbeiterdichter. Als Kind ganz armer Leute, die frühzeitig erkrankten und dahinsiechten, wurde er 1882 geboren, und so fällt seine Kindheit gerade in jene Zeit, in der zum erstenmal die Feier des 1. Mai vorbereitet und durchgeführt wurde. Sein Leben ist symbolisch für die Nöte und Sehnsüchte und auch für den Aufstieg der arbeitenden Menschen in Österreich.Von zartester .Jugend an ..mußte Alfons Petzold von Tür zu Tür um Arbeit anklopfen. Er verdingte sich als
Der innerrussischen Entwicklung, der raschen Veränderung des russischen Lebens wird im Ausland viel zuwenig Beachtung geschenkt. Wir laufen Gefahr, in einigen Jahren einem neuen, uns gänzlich unbekannten Rußland gegenüberzustehen, dessen inneres Kräftespiel schon heute für uns ein Geheimnis ist. Es ist erklärlich, daß alles, was in der russisch- orthodoxen Kirche vor sich geht — innere Kämpfe und Spannungen —, gar nicht oder nur gelegentlich und nur bruchstückweise an die Oberfläche gelangt. Dabei ist der Weg, den die russisch-orthodoxe Kirche bis heute gegangen ist, auch gerade
Daß man in Moskau die neue US-Präsidentschaft Kennedys als ein Ereignis allererster Ordnung betrachtet, beweist schon die Tatsache, daß bald nach der Wahl das erstemal seit Jahrzehnten die Vertreter aller kommunistischen Parteien wieder im Kreml versammelt waren. Natürlich nach außen hin waren weder die USA noch die neue Präsidentschaftsära als Grund dieser Zusammenkunft genannt worden. Vorwand der Zusammenkunft war vielmehr der sowjetische Nationalfeiertag. Viele Anzeichen sprechen eben dafür, daß Moskau von der Regierung des Präsidenten Kennedy eine neue Politik erwartet, vor allem
Es wäre völlig falsch, anzunehmen, daß das populäre Programm Chruschtschows, größere Freiheit und Steigerung des Lebensstandards, bei den Volksmassen Rußlands einhellige Begeisterung hervorruft. Das ist das Eigenartige an der russischen Mentalität, daß der Freiheitsdurst eines großen Teils der Russen gar nicht so groß ist, wie man sich das im Ausland vorstellt. Es besteht im russischen Volkscharakter so etwas wie eine Angst vor der Freiheit. Dazu kommt noch, daß am Zustand der Unfreiheit eine relativ breite Schicht profitiert oder zu profitieren glaubt. Es sind bald hundert Jahre
Zukünftige Historiker werden voraussichtlich vom 1. Mai 1960 an, also vom Luftzwischenfall über Swerdlowsk datierend, mit einer neuen Periode der Weltpolitik beginnen. Von da an verschärfen sich nämlich dank dem Vorgehen Moskaus die Beziehungen zwischen Ost und West, wobei heute die Tiefe und Länge dieser Periode noch nicht abgeschätzt werden kann. Wir wollen jedoch genauer sein: nicht der Luftzwischenfall als solcher hat zur Veränderung der sowjetischen Außenpolitik geführt, sondern die Behandlung dieses Zwischenfalls auf beiden Seiten. Solcherart Zwischenfälle kennt die
Die Asienreise Chruschtschows im April gewinnt im fahlen Licht der Pariser Ereignisse neue Perspektiven. Daß er dabei die beiden kommunistischen Staaten Nordkorea und Vietminh nicht besucht und keinen der dortigen Staatsmänner gesprochen hat, ist nicht weiter verwunderlich. Solche Kontaktaufnahmen würden nicht nur unzählige gefährliche Gerüchte gebären, sondern direkt auch die Beziehungen Peking-Moskau gefährden. Denn im Vertrag von 1950, den Mao Tse-tung in zähen Verhandlungsmonaten Stalin abgerungen hat, ist ausdrücklich ausgemacht worden, daß die kommunistischen Bewegungen in
Der Autor dieses Artikels, Nikolaus Har-noncourt, ist der Gründer und Leiter des CONCENTUS MUSICUS, eines Ensembles, das größtenteils aus Mitgliedern der Wiener Symphoniker besteht und das sich seit acht Jahren ausschließlich der Interpretation alter Musik (vom Beginn der Mehrstimmigkeit bis etwa 1S00) widmet.
III. NUR IM TODE SEITE AN SEITE MIT STALINLenin war nicht von großer Statur. Stammig, mit etwas geknickten Knien stehend, mit charakteristischem Kopf, fiel er trotzdem immer wieder auf. Niemand hat das russische Volk mit solcher Schärfe und Unbarmherzigkeit kritisiert wie Lenin. Niemand hat jede Art von Nationalismus, selbst nur eine Andeutung, auch des russischen, so gehaßt wie Lenin. Und trotzdem — Lenin selbst wirkte urrussisch, eben aus seiner russischen Selbstsicherheit heraus konnte er so scharf urteilen. Dem Juden Trotzky und dem Georgier Stalin fehlte gerade diese
II. EIN GESCHLECHT STIRBT AUSLenins Bruder, der Student der Kasaner Universität, Alexander U1 j a n o w, kam schon frühzeitig zur aktiven revolutionären Bewegung. Zu jener Bewegung, die sich zuerst „Volkswille“ nannte, später, nach mehreren Namenswechseln, „Boden und Freiheit“ genannt wurde. Es war eine Partei, die vor allem durch den Sturz des Zarismus die Massen der russischen Bauern von ihrer Rechtslosigkeit und ihrem Hunger befreien wollte. Diese Partei ging sehr bald dazu über, durch eine „Propaganda der Tat“, durch Attentate gegen dieZaren, Minister und hohe
I. Im „Adelsnest“Auf dem steilen rechten Hochufer der Wolga steht die Stadt, die einst Simbirsk hieß und heute Uljanowsk, nach dem eigentlichen Geschlechtsnamen Lenins, genannt wird.Die Stadt, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts gegründet worden ist, rund ein Jahrhundert, nachdem Moskau die Wolga erobert hatte, unterschied sich in vielem von den übrigen Städten an dem großen Strom. Denn die StädteDER DREIJÄHRIGE LENIN an der Wolga, jeweils als Festungen gegründet, entwickelten sich rasch zu Handelsstädten. Zu verlockend war die große Handelsstraße des Stromes, der Handel mit
So großartig der Abschuß der Mondrakete als technisch-wissenschaftliches Phänomen auch ist, auf das russische Leben selbst, auf den russischen Alltag hat dies keinerlei Einfluß. Das russische Dorf scheint in der westlichen Berichterstattung so gut wie gar nicht auf. Zwar ist es wohl richtig, daß durch die Sowjets Rußland aus einem reinen Agrarstaat zu einem großen Industrie- und Agrarstaat gemacht worden ist. Auch statistisch bildet die in der Landwirtschaft beschäftigte Bevölkerung immer noch etwas mehr als die Hälfte der Sowjetbürger. So ist die Bedeutung der ländlichen
Der Abbau der bewaffneten Kräfte der Sowjetunion um 1,2 Millionen Mann hat vielfache, nicht nur außenpolitische, sondern auch rein militärische, und vor allem innenpolitische Aspekte, die für den im Umbau begriffenen Sowjetstaat charakteristisch sind. Nach der Entlassung von 1,2 Millionen Mann werden die bewaffneten Kräfte der Sowjetunion noch 2,423 Millionen Mann zählen. Diese Zahl ist in doppelter Hinsicht interessant. Zunächst einmal sahen die seit 1952 oft wiederholten sowjetischen Vorschläge für eine Rüstungsbeschränkung als Höchstgrenze für die beiden Weltmächte, der
Die letzte Tagung des Obersten Sowjets der Sowjetunion und die darauffolgenden zahlreichen Publikationen über die sowjetische Volkswirtschaft aus offiziellen Quellen geben vorhandene Gelegenheit, die Entwicklung der Sowjetwirtschaft näher zu beleuchten.Grundsätzlich ist festzustellen, daß die Bevorzugung der Schwerindustrie vor der Konsumindustrie weiter zunimmt. Darüber gibt das Staatsbudget 1960 klare Auskunft. Die Gesamtinvestitionen 1960 belaufen sich auf 297,1 Milliarden Rubel. Für die Landwirtschaft, die beinahe noch die Hälfte der Sowjetbevölkerung beschäftigt, sind nur 50,6
Es sieht ganz so aus, als ob das Tauwetter in den west-östlichen Beziehungen anhält und die Entwicklung tatsächlich nach der Richtung einer sogenannten Koexistenz sich hinbewegt. Das ist auch zu erwarten gewesen. Es ist für jeden klar denkenden Menschen offensichtlich, daß niemand einen Krieg riskieren kann. Nicht nur allein, weil die neuen Waffen mit allgemeiner Vernichtung drohen, sondern auch ganz einfach darum, weil die Menschen doch nicht gerne sterben. Der Farmer in Kansas oder der Kolchosbauer an der Wolga werden es nie einsehen, warum sie ihr Leben lassen sollen, um eine ihnen
Die sowjetische Presse kritisiert in vielen Artikeln gewisse Erscheinungen in der seit dem Tode Stalins dezentralisierten sowjetischen Industrieverwaltung. Dabei wird immer wieder das bei allen Völkern gebräuchliche Sprichwort vom Hemd, das dem Menschen näher ist als der Rock, zitiert, indem diese Binsenwahrheit, auf die sich der Russe besonders gern beruft, bekämpft wird. Nebenbei gesagt, wird dieser Kampf immer wieder periodisch seit vierzig Jahren geführt, immer wieder auf einem anderen Gebiet. Es zeigt sich jedoch, daß der Versuch, die Menschen davon zu überzeugen, daß der Rock und
Die Entsendung des etwa 50jährigen Ersten Steilvertreters des sowjetischen Ministerpräsidenten, Frol Koslows, nach den Vereinigten Staaten bat die Weltöffentlichkeit auf diese relativ neue Gestalt auf dem Parkett der Sowjetpolitik aufmerksam gemacht und zu verschiedenen Spekulationen geführt. Man sieht in Koslow teilweise bereits einen Kronprinzen, den zukünftigen Nachfolger Chruschtschows. Solche Spekulationen sind natürlich zumindest verfrüht. Es bleibt jedoch die interessante Tatsache, daß aus dem dichten Dschungel des sowjetischen Staats- und Parteiapparats neue Menschen in der
Die bevorstehenden Treffen Chruschtschows mit Eisenhower stehen im Mittelpunkt des Weltinteresses. Obwohl es nicht an Stimmen fehlt, die vor einer Ueberschätzung dieser Gespräche warnen, herrscht doch das unbestimmte Gefühl vor, daß sich hier eine historische Wende vorbereitet. Wenn wir im Auge behalten, daß seit langem die Sowjetdiplomatie bilaterale Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten offen anstrebte und Chruschtschow persönlich derjenige war, der diese Zusammenkünfte anregte, dann müssen wir feststellen/ daß der heute leitende Mann der Sowjetunion eigentlich ohne ein deutlich
Ausländische Firmen hatten schon in früheren Jahren versucht, Modevorführungen in der Sowjetunion zu organisieren Jetzt aber war es das erstemal, daß der berühmte Pariser Modeschöpfer Dior eine großangelegte Schau in Moskau über den Laufsteg gehen ließ. Die Franzosen hatten sich wenigstens einen „moralischen“ Erfolg von einer solchen Vorführung westlichen Geschmacks versprochen und waren daher sehr enttäuscht, als die Vorführungen nicht gerade enthusiastisch aufgenommen wurden. Die Bilder, die man von diesen Veranstaltungen zu sehen bekam, zeigen auch deutlich, daß die
Während die Sowjetunion an ihrer europäischen Front außenpolitisch hoch aktiv ist, hört man von ihren asiatischen Grenzen kaum etwas. Die russisch-chinesischen Beziehungen entwickeln sich beinahe unter jedem Ausschluß der Oeffentlichkeit. Trotzdem steht es fest, daß die innerchinesische Entwicklung und damit auch die russisch-chinesischen Beziehungen für künftige Jahrhunderte das Schicksal der gesamten Menschheit beeinflussen Werden. Ddt'ScKä't-"ten des riesig großen Reiches der Mitte mit seinen über 6O0 Millionen Einwohnern‘ fördert geradezu zu politischen und
Die Freigabe der jüdischen Auswanderung nach Israel durch die kommunistischen Satellitenstaaten hat sofort das größte Aufsehen in der arabischen Welt hervorgerufen. Dabei handelt es sich in allen osteuropäischen Staaten außer der Sowjetunion nur um einige Hunderttausend, von denen nur ein Bruchteil im mili- tärdienst- und arbeitsfähigen Alter steht. Die Sowjetunion selbst hat ihren Juden die Auswanderung bisher nicht freigegeben. Formal steht dem die heutige sowjetische Gesetzgebung entgegen. Denn nach der sowjetischen Verfassung ist jeder Sowjetbürger verpflichtet, bis zum
Die Form, in der das Plenum des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei Für den 21. Juni einberufen wurde, ist in jeder Hinsicht neu. Bisher war es immer so gewesen, daß ein solches Plenum nicht öffentlich angezeigt wurde, sondern erst einige Zeit nach Abschluß der Tagung einzelne Teile der gefaßten Resolutionen veröffentlicht wurden. Diesmal aber wurde die Einberufung schon Wochen zuvor verlautbart. Damit" erschöpft sich 'die Bedeutung dieses Novums noch nicht. Denn zum ersten Male wurde gleichzeitig auch die Tagesordnung veröffentlicht. Tagesordnung: In den vierzig Jahren bisher
Die Genfer Konferenz der Außenminister wirft die Frage über die Außenpolitik der Sowjetunion und ihre Ziele auf.Selbstredend wird die Außenpolitik der Sowjetunion, was ihr Programm und ihre Ziele betrifft, nicht allein vom Chef der Partei und Regierung festgelegt. Zweifellos aber besitzt Nikita Chruschtschow ungemein weitgehende persönliche Vollmachten. So drückt seine Persönlichkeit dieser Außenpolitik weitgehend ihren Stil und Charakter auf. Es ist ein weitverbreiteter Irrtum, daß sich Partei und Bevölkerung in der Sowjetunion besonders rege für außenpolitische Belange
Den Gymnasiasten Lebedjew lernte ich in der Osternacht 1925 kennen, das heißt, näher kennen, denn gesehen habe ich ihn auch schon vorher öfter. Seine Mutter war damals die Aufwartefrau der österreichischen Gesandtschaft in Moskau. In der damaligen Zeit ging es auch auf den ausländischen diplomatischen Vertretungen in der Sowjethauptstadt noch sehr einfach und bescheiden zu. Die österreichische Gesandtschaft befand sich inmitten eines Parkes in einem alten Adelshause an der Sodowaja Kodrinskaja. Frau Lebedjewa war eigentlich nicht nur Aufwartefrau, sondern auch eine Art von Faktotum.
Eine der wichtigsten Reformen im derzeitigen Umbau des Sowjetstaates ist die sehr weit gehende Schulreform.Das einstige zaristische Schulsystem beruhte ganz auf dem Normalschulsystem Kaiser Josefs II. von Oesterreich. Da die Sowjets vor etwa 25 Jahren in vielem zur zaristischen Schulmethode zurückgekehrt sind, ist dieses System auch heute weitgehend gültig.Alle Schulen in der Sowjetunion gehörten bis jetzt den drei Kategorien der niederen, mittleren und der Hochschule an. Entsprechend der Vergangenheit war dabei die Mittelschule in zwei Stufen geteilt, ähnlich den Progymnasien und
Im Zentrum des 21. bolschewistischen Parteikongresses der Sowjetunion stand amtlich und offiziell die Bestätigung des großen wirtschaftlichen Siebenjahrplanes, dem der Westen, aber nicht der Osten den Namen Chruschtschows gibt. Chruschtschow hat sich keineswegs wie einst zu Stalins Zeiten als alleiniger Urheber dieses Wirtschaftsplanes vorgestellt, wohl aber als jener politische Führer, der für diesen Plan und seine Durchführung als verantwortlich zeichnet.Der Verlauf des Kongresses zeigte, daß die politische Autorität Chruschtschows zwar gewachsen ist, daß jedoch gar keine Rede davon
Im weiteren Sinne des Wortes wird Wodka jedes irgendwie gebrannte Wasser genannt, also jeder scharfe Alkohol. Im Yolksmund jedoch heißt „Wodka“ der auf besondere Art destillierte Kartoffelschnaps. Bevor die Kartoffel auch nach Rußland eingeführt wurde, war es ein Getreideschnaps. Und so kennen wir heute vier Arten von eigentlichem Wodka. Zwei Sorten des gewöhnlichen Wodkas, genannt „weißer“ und „roter“ Kopf nach der Farbe des Siegellacks, mit dem einst die Flaschen geschlossen wurden. Dann gibt es den bedeutend teureren Weizenschnaps und schließlich sogenannten kaukasischen
Boris Leonidowitsch Pasternak, heute 68jährig, ist ein alter Moskauer. Das Alter ist wichtig und auch, daß er in Moskau geboren und erzogen wurde. Er war im Moskau der Zarenzeit Gymnasiast und Student. Er ist heute einer der wenigen in der Sowjetunion, die das alte Rußland als erwachsene Menschen erlebt haben, und unter den alten Schriftstellern wohl heute der allerletzte, der das alte Moskau genau kennt. Moskau, die geistig-intellektuelle Hauptstadt, mit der Moskauer „Intelligenzia“, die maßgebend für ganz Rußland war. Eine „Intelligenzia“, die mehr als anderswo in Rußland sich
Es sind etwas mehr als hundert Jahre her, seitdem der sogenannte Krimkrieg, auch Orientkrieg genannt, mit dem Fall der Festung Sebastopol beendet wurde. Dieser Krieg war ausgebrochen, weil im Nahen Orient, vor allem in der sogenannten Levante (Palästina, Syrien und Libanon), der „weiße Zar“ in St. Petersburg die ausschlaggebende Großmacht sein wollte. Instrument und Vorwand zur Kriegserklärung war für die damaligen Westmäehte der russische Anspruch auf die Ausübung der Schutzherrschaft über alle orthodoxen und armenischen Christen in diesem Gebiet. Der Konflikt begann ja auch mit
Obwohl in Genf die Atomexperten über die technischen Möglichkeiten der Kontrolle von Atomexplosionen verhandeln, obwohl der Kreml seine nicht abreißenwollende Korrespondenz über die Gipfelkonferenz fortsetzt, ist es doch deutlich spürbar, daß seit einiger Zeit die sowjetische Außenpolitik nicht mehr so selbstbewußt sicher und folgerichtig agiert. Man weiß auch genau, seit wann ein leises Schwanken in den Aktionen der Sowjetdiplomatie bemerkbar ist. Seit jenem berühmten Artikel in der „Volkszeitung“ von Peking, mit welchem der Streit des Ostblockes mit Jugoslawien von neuem
Die Krise in Frankreich wird in weltpolitischer Hinsicht überschattet von der großen Frage, wie sich das französisch-sowjetische Verhältnis nach einer Machtergreifung durch de Gaulle entwickeln wird. Die Kommentare in Washington und London interessieren sich weniger um die innenpolitischen Folgen einer Regierung de Gaulles als vielmehr für die Frage, ob nun de Gaulle sein 1946 mit Moskau geschlossenes Bündnis nunmehr wieder aktivieren und, darauf basierend, eine gegen die angelsächsischen Mächte gerichtete Politik betreiben wird, um so, auf die Sowjetunion gestützt, eine neue
Nikita Chruschtschow ist jetzt nach außen hin der einzige Mann, der die Verantwortung für die Innen- wie auch die Außenpolitik der Sowjetunion trägt. Man ist daher leicht geneigt, jede politische Aeußerung in der Sowjetunion als die persönliche Politik Chruschtschows zu bezeichnen. Die Vergleiche mit der . Machtstellung Stalins“ wollen nicht abreißen. Es ist daher einmal interessant, zu untersuchen, wie die oberste Spitze des sowjetischen Machtapparates überhaupt arbeitet.Es ist allgemein bekannt, daß in Wirklichkeit die Partei und ihr Apparat es sind, welche die eigentliche
Ist die russisch-orthodoxe Kirche dem Sowjetstaat gegenüber stärker oder schwächer geworden? Nur ein neuer Konflikt mit der Sowjetregierung, also ein sogenannter Ernstfall, könnte diese Frage verläßlich beantworten.Die russisch-orthodoxe Kirche muß heute, ohne reiche Staatssubventionen, nur aus den freiwilligen Spenden der Gläubigen leben. Niemand kann einen Sowjetbürger zu regelmäßigen Beiträgen an seine Kirche zwingen, niemand zwingt ihn, für individuelle kirchliche Dienste eine Gebühr zu bezahlen. Und doch existiert die orthodoxe Kirche. Es existieren Tausende von
Charakteristisch für die wirklichen Beziehungen zwischen Sowjetstaat und russisch-orthodoxer Kirche ist das tragische Schicksal der unierten Kirche in den 1939 annektierten ehemals polnischen Gebieten. Nach dem zweiten Weltkrieg beschloß Stalin aus politischen Gründen die Liquidierung dieser auf Rom ausgerichteten Kirche. Bekanntlich war diese Kirche slawischen d. h. ursprünglich griechischen Ritus und hatte sich Ende des 16. Jahrhunderts wiederum dem Papste in Rom unterstellt. Im alten Oesterreich nannte *man sie darum griechisch-katholische Kirche. Sie war einst in der ganzen Ukraine, in
Mit dem Eintritt der Sowjetunion in den Krieg 1941, der ja vom Sowjetregime als vaterländischer Krieg und nicht als einer für die Weltrevolution hingestellt wurde, war es für die Sowjetregierung wichtig, durch intensive russisch-nationalistische Propaganda die Widerstandskraft und den Kampfesgeist der Bevölkerung zu stärken. Dazu konnte die russischorthodoxe Kirche einen wesentlichen Beitrag leisten. Sie übernahm nicht ungern die ihr übertragene Rolle. Die Popen predigten nicht nur den Patriotismus und die Pflicht der Vaterlandsverteidigung, sondern sie führten auch Aktionen wie
Im Jahre 1935 schien es, als habe die Sowjetregierung selbst auf die gewaltsame Liquidation der Kirchen verzichtet und diese den militanten Gottlosenverbänden, die ihre antireligiöse und antikirchliche Propaganda mit wilder Vehemenz fortsetzten, überlassen. Niemand erwartete darum eine krasse Veränderung im Verhältnis von Kirche und Staat, selbst dann nicht, als Stalin begann, die moderne Kunst zu verbieten und in allen Lebensäußerungen in der Sowjetunion konservative Grundsätze durchzusetzen. Selbst die Eingeweihtesten ahnten nicht das Kommende.So geschah es denn, daß der damals
Um sich die tragische Lage der Kirchen in Rußland in noch jüngster Vergangenheit vorzustellen, gleichzeitig aber damit auch den Wandel in der Anschauung der Sowjetregierung über die Religionsgemeinschaften zu verdeutlichen, erinnern wir uns daran, daß die Geistlichkeit und überhaupt alle kirchlichen Funktionäre bis zum Jahre 1936 zu den sogenannten „Lyschenzy“ gehörten. Die alte Sowjetverfassung sah nämlich vor, daß ehemalige Mitglieder der zaristischen Polizei, alle Händler und Unternehmer, die Großbauern, d. h. die sogenannten Kulaken, die fremde Arbeitskräfte in ihrem
I. Der erste StreichWenn'auch der bekannten Ansprache Außenministers Gromyko an eine moskaufreundliche Delegation aus Italien mehrere sowjetische Versuche der Kontaktnahme mit dem Vatikan vorausgegangen sind, so ist doch der direkt und öffentlich ausgedrückte Wunsch eines führenden russischen Politikers nach Aufnahme von Beziehungen mit dem Vatikan ein erstmaliges historisches Ereignis. Nie in der Vergangenheit ist je von einem russischen Zaren oder russischen Minister öffentlich ein derartiges Begehren ausgesprochen worden. Chruschtschow hat denn auch diesen Wunsch damit begründet, daß
Die Reorganisation der Volkswirtschaft in der Sowjetunion ist in ein entscheidendes Stadium getreten. Nachdem die oberste Verwaltung der Industrie umgestaltet worden ist, ist jetzt die Landwirtschaft an der Reihe. Von welch einschneidender Bedeutung die Auflösung der staatlichen Maschinen- und Traktorenstationen (MTS) und der Verkauf ihres Inventars an die bäuerlichen Kolchosen sind, zeigt schon die Tatsache, daß der Vorgang selbst anders verläuft als bei der Reorganisation der Industrie. Damals wurde die Auflösung der zentralen Industrieministerien einfachhin von oben angeordnet,
IV. Die oberste Schichte*Seit 1934 ist die Verteilung des Sozialproduktes in der Sowjetunion so geregelt, daß die Intelligenz als Ganzes den Löwenanteil erhält. Das geldliche Einkommen, die Güter und Genüsse, welche die Sowjetunion überhaupt zu bieten hat, werden einem Schema gemäß verteilt, nach dem die akademischen Berufe am meisten erhalten. Dabei herrscht auch unter der Intelligenz ein hierarchisch abgestufter Verteilungsmodus. In einem früheren Artikel erwähnten wir bereits die Art und Weise der Verteilung der Honorare in der Filmproduktion. Aehnlich ist, es etwa in der
III. Die neue HierarchieDie Versöhnung des Sowjetstaates mit der russischen Intelligenz wurde vor allem erzwungen durch die Forderungen des ersten Fünfjahresplanes. Wollte man die Industrialisierung Rußlands weitertreiben, so mußte die Intelligenz im allgemeinen und die technische Intelligenz im besonderen ganz anders als bisher behandelt werden. Die Erfahrungen des ersten Fünfjahresplanes hatten mit aller Klarheit gezeigt, daß der Versuch, in kürzester Zeit aus Arbeitern und Bauern Akademiker zu machen, vollkommen versagt hatte. Von den Absolventen der Arbeiterfakultäten war nur ein
II. Entfremdung und Versöhnung*Es bleibt ein schwer erklärliches Phänomen geschichtlicher Entwicklung, wie die noch aus der Zarenzeit stammende russische Intelligenzia die anderthalb ersten Jahrzehnte des Sowjetstaates nicht nur überdauert, sondern darüber hinaus noch der neuen sowjetischen Intelligenzia weitgehend das ihr eigentümliche Gepräge gegeben hat. Denn die Schicht der Gebildeten im zaristischen Rußland war außerordentlich dünn. Es wäre darum für die neuen Machthaber etwas Leichtes gewesen, sie ganz auszurotten. Daß sie jedoch die schweren Jahre überdauert hat, kann man
I. Die zaristische TraditionDer Abschuß eines Erdsatelliten durch die Sowjetunion war ein Ereignis. Es ist den Russen damit gelungen, sich gewissermaßen ein bleibendes Denkmal in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit zu setzen, indem sie als erste eine Aufgabe lösten, die in künftigen Jahrhunderten als Anbeginn einer neuen wissenschaftlichen Epoche gelten wird. Selbstverständlich, da ja nicht allein die Russen an diesen Problemen arbeiten, ist es eigentlich für die Zukunft der Menschheit gleichgültig, wer die ersten Grundprobleme gelöst hat und ob der Erdsatellit ein Jahr früher
Am 7. November dieses Jahres jährt sich zum 40. Male der Tag, an dem der Führer der Bolschewiken, Wladimir Uljanow — in die Geschichte unter seinem publizistischen Pseudonym Lenin eingegangen —, seinen Aufstand im damaligen Petrograd lancierte. Nicht alle seiner Parteigenossen waren mit ihm einverstanden. Viele, unter ihnen seine nächsten Mitkämpfer Z i n o w j e w und Kamenew, die 1938 durch Henkershand starben, sahen die Niederlage kommen. Auch Stalin war damals nicht so „stählern", wie er später, nach seinem ebenfalls angenommenen Namen, von seinen Bewunderern genannt wurde.
Unser Rußlandmitarbeiter Nikolaus Basseehes, Schaffhausen, ist zur Zeit mit der Abfassung seiner Memoiren beschäftigt. Sie behandeln seine Erlebnisse und Begegnungen, die er in den 15 Jahren seiner Korrespondententätigkeit in Moskau hatte. Wir veröffentlichen heute erstmals ein Kapitel aus dem Manuskript: Die nächtliche Begegnung mit dem Vorgänger Litwinows und Molotows, dem Volkskommissar für Aeußeres, Georgij Wassiljewitsch Tschitscherin, im Jahre 1923. Die RedaktionDer verantwortliche Leiter der russischen Außenpolitik in der heroischen Zeit der bolschewistischen Revolution,
Ausgelöst durch das Unbehagen, ja den zeitweisen Alpdruck ob der Leistung des weit-’ revolutionären Sowjetstaates, hegt die westliche Welt seit Jahrzehnten den eigenartigen Wunschtraum: die russische Armee, geführt von ihren Generälen, ergreift eines Tages die Macht, und die dadurch verwirklichte Militärdiktatur verwandelt schlagartig den revolutionären Sowjetstaat wiederum in ein friedliebendes Rußland, mit dem wieder vernünftig zu reden sein wird. Insbesondere nachdem sich der große gemeinsame Sieg über den deutschen .Nationalsozialismus in den gegenseitigen kalten Krieg
Der Abgang von Wjatscheslaw Molotow und Lazar Kaganowitsch aus der aktiven sowjetischen Politik kommt nicht unerwartet. Schon seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, erwartete man, daß die beiden nach Woroschilow ältesten Mitglieder der sowjetischen Parteileitung aus der aktiven Politik ausscheiden. Es hieß immer, daß insbesondere Molotow nur darum noch aktiv blieb, weil sein Name und die damit verbundene Autorität in den Parteimassen nach dem Tode Stalins noch notwendig war. Er ist nun einer der letzten Mohikaner, der bereits in der zaristischen Zeit in der illegalen Partei tätig war.
Dimitrij Schepilow war der kurzlebigste Außenminister in der sowjetischen Geschichte. Es sind noch keine neun Monate vergangen, seit er auf diesen Posten berufen wurde, und schon ist er wieder geschieden. Nun, von wirklich weittragender Bedeutung für die sowjetische Außenpolitik ist der Wechsel auf dem Außenministerposten nicht. Als Schepilow ernannt wurde, war es von vornherein bekannt, daß es keine Schepilowsche Außenpolitik geben würde, sondern nur ein Mann gesucht war, der als Leiter eines diplomatischen technischen Apparates die außenpolitischen Direktiven des Parteipräsidiums
Der Schwerpunkt der Krise im Nahen Osten hat sich in den letzten Tagen immer mehr vom Suezkanal nach Syrien verlagert. Die pausenlosen Waffenlieferungen der Sowjetunion nach Damaskus beunruhigen nicht nur die Westmächte, sondern auch die unmittelbaren Anrainer Syriens, vor allem die Türkei und den Irak. Immer dringlicher wird die Frage laut: Will, kann, wird Rußland in die Konflikte des Nahen Ostens direkt eingreifen?
Darüber, daß es eine geistige Krise in der europäischen kommunistischen Welt gibt, ist schon seit langem kein Zweifel mehr. Die Versuche, aus dieser Krise herauszukommen, datieren nicht erst seit heute und werden noch einen lange andauernden Prozeß benötigen. Der überlebensgroße Schatten des toten Diktators lastet noch zu stark über Rußland, als daß sich die Sowjetpolitik schöpferisch und schnell genug umstellen könnte.Groß, übergroß ist auch das Erbe, das Imperium Stalins. Und seine Nachfolger, selbst von russischen nationalistischen Instinkten angekränkelt, sind nicht ohne
Auf der goldenen Spitze des ehemals kaiserlichen Kremlpalastes, die einstmals nur der Kaiserstandarte vorbehalten blieb, weht die rote Staatsflagge. Der Palast ist ein großer imposanter Bau, er ragt hoch über die Kremlmauern hinaus. Er ist nur etwas über 100 Jahre alt, dieser Palast, erbaut unter dem Kaiser Nikolaus I. Eigentlich passen seine quadratischen, massigen Konturen gar nicht in diesen alten Kreml mit seinen Zwiebeltürmen, seinen bizarren, verschlungenen Linien. Dieses zu Stein gewordene Symbol des weitausholenden russischen Imperialismus soll jetzt die sichtbare und prächtige
In Samarkand oder auch draußen auf dem Flugfeld vor der heiligen Stadt Buchara besteigen Gestalten wie aus alten orientalischen Märchen das modernste Verkehrsmittel.In weißen, kunstvoll gewundenen Turbanen aus duftigem Musselin, in buntgestreiften Chalaten, den langen Röcken ohne Knöpfe, die am Gürtel mit einem bunten Schal zusammengehalten werden, in hohen, weichen Stiefeln aus buntem Leder, das kunstvoll in Blumen und Ornamenten zusammengefügt ist.Und der stolze, schimmernde Vogel erhebt sich in die Lüfte. Seine Insassen sind hohe mohammedanische Geistliche, die nach Mekka fliegen.
Am „stillen Don“, über den so viele.russische und kosakische Lieder singen, ist im Jahre 1905 Dimitri Schepilow geboren. Im Lande der Donkosaken also. Diese Donkosaken sind ein eigenartiger Menschenschlag. Bekanntlich flohen frühzeitig aus dem Moskauer Rußland hierher, an den Rand der Welt, in ein Gebiet, das Niemandsland war und keiner Staatsmacht unterstand, vor Herren- und Fürstenwillkür, alle, die sich unterdrückt fühlten. So bildete sich am Don die freie Kosakengemeinschaft. Nur sehr starken und rücksichtslosen und in gewissem Sinne auch intelligenten Menschen gelang unter den
Die Reise des Chefs der sowjetischen Geheimpolizei, General Iwan S j e r o w. nach London hat zwar.viel Staub aufgewirbelt, die eigentliche Sensation aber ist der Weltöffentlichkeit entgangen. Es war nämlich das erste Mal in der Geschichte, daß der Chef der roten Geheimpolizei sich ganz offiziell ins Ausland begab und mit ausländischen Kollegen Kontakt nahm. Vor noch nicht allzu langer Zeit wäre so etwas noch ganz undenkbar gewesen, so sehr widerspricht es aller Tradition der sowjetischen Tschekisten-Kaste. Schon das zeigt die auf jeden Fall beachtenswerte Veränderung, die in tier
Die Zertrümmerung des geschichtlichen Bildes Stalins beginnt nun auch zu Personalveränderungen zu führen.Das erste Opfer ist Molotow, der am 1. Juni als Außenminister zurückgetreten ist. Hier haben wir ein klassisches Beispiel, wie ein Staatsmann im Reiche der Sowjets politisch „verbraucht“ wird. Dabei muß man feststellen, daß Molotow viele Jahre gerade bei der Parteimasse eine merkwürdig große Autorität genoß. Es ist sogar fraglich, ob Stalin in den ersten Jahren seiner Diktatur sich hätte durchsetzen können, wenn ihm Molotows Autorität nicht zur Seite gestanden hätte. Das
Die Welt hat eigentlich erwartet, daß nach der posthumen Kritik an Stalin, nach seiner „Entgöttlichung“, endlich auch jene geheimnisvollen Vorgänge und menschlichen Tragödien eine sachliche Darstellung erfahren, die sich jähre- und jahrzehntelang im Schatten der innerparteilichen Kämpfe abgespielt haben. Bis jetzt ist jedoch kein Wort davon gefallen. Eine Reihe von Persönlichkeiten, Viele davon längst verstorben, die in den Jahren 1936 bis 1939 verschwanden, sind jetzt rehabilitiert “worden. Doch ist keine einzige darunter, die in den großen Prozessen der Jahre 1936 und 1937
Der Sturm gegen Stalins Gespenst, ausgelöst durch den nun historisch gewordenen Vortrag des ersten Parteisekretärs, Nikita Chruschtschew, legt sich allmählich. Man kann heute schon eine Art Bilanz ziehen und übersieht bereits die politischen Hintergründe. Denn in den Nachrichten der letzten Wochen hat die Flut der Informationen über wirkliche oder tatsächliche Verbrechen Stalins, dieser sensationellen, wenn auch heute schon nur historisch zu bewertenden Nachrichten, die ernsten politischen Vorgänge gewissermaßen überdeckt.Bei allen diesen Nachrichten fällt auf: Beinahe alle diese
Die geheimnisvollen Vorgänge in Moskau, die im ersten Augenblick den Anschein erweckten, als sollte das Bild Stalins radikal ausradiert werden, beginnen sich nach und nach abzuklären. Zur genaueren Präzisierung kann zunächst gesagt werden, daß an der denkwürdigen Geheimsitzung zum Schlüsse des 20. Kongresses der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Chruschtschew zunächst nur eine Art von Rundschreiben verlas, welches auf Beschluß des Zentralkomitees an alle lokalen Parteiorganisationen versandt und hier eingehend diskutiert werden sollte. Dieses Schriftstück, das einen Umfang von
Die Sowjets verstehen es, mit ihrem Pfunde zu wuchern, viel besser als einst die zaristischen Regierungen. Auch damals war Rußland von vielen Völkern bewohnt, die sich zu verschiedenen Religionen bekannten. Doch der Zarismus verstand es nicht, sich daraus einen Nutzen zu sichern. Die verschiedenen Möglichkeiten lagen brach. Außer der russisch-orthodoxen Kirche waren alle anderen Konfessionen, ebenso wie alle nichtrussischen Völker des weiten Reiches, entweder offen unterdrückt oder im besten Falle bloß geduldet. Die orthodoxe Kirche jedoch war so offenkundig an den Staat gebunden, daß
Moskau, 29. Dezember. Parteisekretär Chruschtschew verurteilte Israel schärfstem und betonte, die Sowjetunion sympathisiere mit dem Wunsch der arabischen Bevölkerung, ihre Unabhängigkeit zu erlangen und zu erhalten ... Hinter Israel stünden die Imperialisten, die versuchten, diesen Staat als Instrument gegen die Araber zu ihrem eigenen Vorteil auszunützen ...
Die Westmächte haben in Genf Außenminister Molotow eine lange Liste von Maßnahmen zur Verwirklichung einer echten Politik der Koexistenz überreicht. Sehr viele dieser Maßnahmen sind schon durchgeführt. Künstler und Theater besuchen einander immer häufiger. Gruppen verschiedener Berufe bereisen die Sowjetunion und, umgekehrt, die USA und die meisten Länder des Westens. Und doch ist es kein richtiger, alles andere als ein freier und flüssiger Verkehr. Denn ganz richtig hat das westliche Memorandum als größtes Hindernis für den gegenseitigen Verkehr den künstlichen Rubelkurs
Den Donauraum mit sinr vielfälligen Vermischung von Völkarn und Volkssplillern In Nationalstaaten aufgliedern zu wollen, ist so unmöglich wie dl Quadratur das Zirkels. Je mehr ich über diese Frag nachgedacht hob, um so klarer ist es mir geworden, dafj Frieden und Wohlstand aller dieser Völker zwischen Tirol und der Bukowina, zwischen dem Banat und dem Sudelenland nur In einer Wiederzusammenfassung der alten historischen Einheil gewährleistet sein kann. Man braucht mir nicht zu sogen, daß niemand zweimal in den gleichen Fluß steigt; Ich weif), daß es nicht genügt, einfach das Alle
Das Gebiet von Charkow und Bjelgorod, aus dem Sowjetrußlands Parteichef, Nikita Sergejwitsch Chruschtschow, stammt, gehört ethnographisch zum ukrainischen Siedlungsgebiet. Politisch war es jedoch bis 1917 nie ein Teil der Ukraine, sondern seit vielen Jahrhunderten russischer Besitz, lange bevor 1654 die Großukraine zu Moskau kam. In diesem Gebiet fällt es schwer, zu sagen, was der einzelne eigentlich ist: Ukrainer oder Russe. Zu diesem Typus gehört auch Nikita Chruschtschow. Er kann genau so als russifizierter Ukrainer wie als des Ukrainischen kundiger Russe angesehen werden. Oder aber
Der Kreml treibt jetzt ausgesprochen Weltpolitik; seine gegenwärtig sehr aktive europäische Politik ist nur im Rahmen seiner Weltpolitik richtig zu verstehen.Der Grund des „neuen Kurses“ ist nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und nicht in Schwäche zu suchen. In den letzten Jahren hat sich bei den Massen in Rußland, weil das Leben leichter geworden ist, ein weitgehender Mentalitätsumschwung vollzogen, dem jede Regierung im Kreml Rechnung tragen muß.Doch wenn auch die Sowjetunion den Frieden, vor allem mit den USA, sucht, so bedeutet das nicht, daß man nicht an einen neuen
Fern der Heimat, manchem der älteren Generation als eigenwilliger, scharfer Denker und gesinnungsstarker Politiker gelegentlich in unbequemer Erinnerung, feiert am 1. September in seinem freiwillig gewählten Exil, für das er den geforderten Zoll bis zur letzten Münze bezahlt hat, ein Mann, dem Oesterreich mehr ist als bloß das Land seiner Vorfahren und seiner besten Mannesjahre, den sechzigsten Geburtstag: Ernst Karl Winter, von 1934 bis 1937 Dritter Bürgermeister von Wien.Seine philosophisch-soziologischen, historisch-politischen und religionshistorisch-theologischen Schriften, die er
Gibt es eine neue „Bourgeoisie“ in der Sowjetunion?Die heutige soziale Struktur der Sowjetunion ist von Stalin geschaffen worden. Bis zum Jahre 1936 teilte das Sowjetgesetz die Bevölkerung in zwei ungleiche Teile. In Staatsbürger und in Personen, die kein Wahlrecht, weder aktives noch passives, besaßen, also vollkommen rechtlos waren. Die Intelligenz, also die Wissenschafter, Techniker, Lehrer, die ganze gebildete Schicht hatte wohl als „Werktätige“ die staatsbürgerlichen Rechte, mußte dem Sowjetstaate dienen, wurde jedoch moralisch und materiell diffamiert. Diese Intelligenz
Ingenieure sind in Rußland immer schon ein selbstbewußtes. Korps gewesen. Das macht schon ihre Geschichte. Technisches Wissen wurde dort immer sehr geschätzt. Daher nimmt es nicht wunder, daß am Anfang des vorigen Jahrhunderts die ersten technischen Hochschulen sofort zu den vornehmsten Lehranstalten des Landes zählten. Die beiden Hochschulen für Verkehrsingenieure und für Bergwerksingenieure wurden als militärische Anstalten gegründet, obwohl sie ja für eine friedliche Tätigkeit bestimmt waren. Die geistige Elite des Adels besuchte diese Hochschulen. Die Kaiser Alexander I. und
Nach der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages und der Wiederannäherung zwischen Sowjetrußland und Jugoslawien steht die europäische Oeffentlichkeit unter dem Eindruck, daß sich dadurch Perspektiven auf eine hoffnungsfrohere Zukunft der Kulturvölker eröffnen. Diesmal dürfte es keine allzu verfehlte Schlußfolgerung sein. Denn bei den neuesten weltgeschichtlichen Entwicklungen handelt es sich zweifellos um den Ausdruck eines entscheidenden geistigen Wandlungsprozesses, der sich durch greifbare politische Ereignisse ankündet. Allerdings begegnet jeder Versuch, die
Wenn ein neu angekommener ausländischer Botschafter oder Gesandter dem Staatsoberhaupt der Sowjetunion sein Beglaubigungsschreiben überreicht, dann tritt er im großen Kremlpalast einem Manne gegenüber, der äußerlich viel besser in den prunkvollen Rahme i paßt als seine drei Vorgänger. Die fremden Diplomaten schreiten durch das weite Portal des großen Zarenpalastes die hohe Paradetreppe hinauf. Alles ist wie einst zu den Zeiten des Zaren. Selbst das Bild, auf dem der Kaiser Alexander III. die Dorfältesten empfängt, hängt hoch oben. Früher trat der ausländische Diplomat, in
Der Ministerpräsident der Sowjetunion, Marschall Nikolaj Alexandrowitsch Bulganin, stammt von den Ufern der Wolga. Er ist der dritte Regierungschef der russischen Revolution, der von dort kommt. Der erste war Alexander Kerenski, der Führer der großen Sozialrevolutionären Partei, der nach dem Sturze des letzten Zaren eine Art von demokratischer Diktatur ausübte und von einem andern Mann von der Wolga gestürzt wurde, von Wladimir Iljitsch Uljanow, der in die Weltgeschichte unter seinem literarisch-politischen Pseudonym Lenin einging. Nach ihm heißt jetzt auch die stille Stadt Simbirsk an
Kürzlich hat der erste Sekretär der Kommuni-itischen Partei der Sowjetunion Nikita Chru-chtschew vor einer großen Versammlung russischer Jungkommunisten eine Rede gehalten, in der er die Jugend der Sowjetunion zur Rückkehr zur Landwirtschaft überreden wollte. Es handelt sich im wesentlichen um eine Liebersiedlung nach Sibirien. Etwa 35 Millionen Hektar jungfräulichen Bodens sollen urbar gedacht werden, um die Ernährung der Sowjetunion zu sichern. Dieser neue Getreideboden soll in Kasachstan am Altai und im übrigen Sibirien landwirtschaftlich besiedelt werden. Bei Kasachstan handelt es
Die sowjetische Volkswirtschaft leidet an Gleichgewichtsstörungen, einer wirtschaftlichen Krankheitserscheinung, der vorwiegend eine Planwirtschaft unterworfen ist. Zuerst trat die landwirtschaftliche Krise in Erscheinung. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Verteilung der Investitionen, Maschinen und Konsumgüter zwischen Industrie und Landwirtschaft nicht richtig gehandhabt worden war. Eiligst versucht nun die Sowjetregierung, durch Urbarmachung von 35 Millionen Hektar jungfräulichen Bodens die Ernährung des Landes in der Zukunft zu sichern. Das bedeutet nicht nur eine Neuverteilung
Nach der Darstellung der wichtigen sozialpolitischen Hintergründe der gegenwärtigen Entwicklungen in der Sowjetunion behandelt der bekannte Rußlandfachmann nun eine- der charakteristischesten Gestalten des Regimes.Nikolai Bulganin ist 1895 in N i s c h n i j Nowgorod geboren. In der Stadt an der Wolga, dem Schicksalsstrom Rußlands, die selbst oft russisches Schicksal war. Diese Gouvernementshauptstadt schlief in tiefem Schnee den Winterschlaf und war dann einfach eine träge russische Provinzhauptstadt. Kaum aber taute der mächtige Strom auf, erwachte auch sie zu geräuschvollem Leben.
Der nachstehende Aufsatz wurde kurz vor den Umbesetzungen im Kreml und vor den letzten Allianzerklärungen Moskaus an die Adresse Pekings von dem bekannten Asien- und Rußlandfachmann geschrieben. Er ist, vielleicht eben deshalb, besonders geeignet, Hintergründe aufzuzeigen, die im Westen oft wenig beachtet werden: sowohl die sowjetische wie die chinesische Revolution verdanken ihre eigentümliche Wucht einer Erhebung des Landvolkes, des unbetreuten Bauern in den riesigen Weiten und Ebenen der östlichen Länder; diese bäuerlichen Massen wurden oftmals betrogen, ja geopfert von städtischen Führern der Revolution, wurden nicht verstanden und nicht genügend gewürdigt von den intellektuellen Spitzenreitern der Revolution; diese Massen erheben aber heute in allen unentwickelten Völkern ihr Haupt: auf sie müssen die Führer des 200- und de 600-Millionen-Reiches Rücksicht nehmen, weil in ihnen die stärkste Volkskraft ihrer Länder gebunden ist, und weil Millionen von hörigen und abhängigen Bauern in Asien, Afrika, Südamerika, im Fernen und Nahen- Osten auf sie blicken. Hinter der Bolschewisierung. Mechanisierung, Industrialisierung und Bürokratisierung des Ostens steht, stärkstem Druck ausgesetzt und stärksten Druck ausübend, die Lebensnot und Lebensmacht der agrarischen Massen; die Erhebung der Bauern beginnt, in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase der östlichen Revolutionen, diese zu unterwandern und von unten her immer entscheidender zu beeinflussen. Die eigentümliche Härte, Schwere, dai Unerbittliche, Stete der weltgeschichtlichen Umwälzungen des Ostens und Asiens stammen von diesam agrarischen Untergrund her, der wichtiger, schicksalsmächtiger als viele Einzelaktionen and singulare Ereignisse in den Führungsgruppen der östlichen Regimes ist. Die „Fufche“
Vor einigen Monaten gab die „Prawda“, und damit die Parteizentrale selbst, durch einen Leitartikel das Signal zu einem neuen antireligiösen Propagandafeldzug. Dieser Artikel der „Prawda“ war an sich interessant genug. Außer der Feststellung, daß die Kommunistische Partei weiterhin atheistisch und religionsfeindlich bleibe, wird in dem Artikel Klage darüber geführt, daß die religiösen Organisationen erhebliche Erfolge nicht nur unter der Bevölkerung im allgemeinen, sondern sogar unter den eingeschriebenen Mitgliedern der Kommunistischen Partei zu verzeichnen haben. Wenn auch