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Wodka

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Im weiteren Sinne des Wortes wird Wodka jedes irgendwie gebrannte Wasser genannt, also jeder scharfe Alkohol. Im Yolksmund jedoch heißt „Wodka“ der auf besondere Art destillierte Kartoffelschnaps. Bevor die Kartoffel auch nach Rußland eingeführt wurde, war es ein Getreideschnaps. Und so kennen wir heute vier Arten von eigentlichem Wodka. Zwei Sorten des gewöhnlichen Wodkas, genannt „weißer“ und „roter“ Kopf nach der Farbe des Siegellacks, mit dem einst die Flaschen geschlossen wurden. Dann gibt es den bedeutend teureren Weizenschnaps und schließlich sogenannten kaukasischen Schnaps, der jedoch in Rußland und in der Ukraine selten getrunken wird. Der kaukasische Schnaps wird aus Rosinen hergestellt.

Aus dem Kartoffelschnaps hat sich eine ganze Industrie der Verfeinerung gebildet. Der Wodka liefert den Grundstoff für zahlreiche Verfeinerungen. Es handelt sich dabei um die Raffinierung durch Früchte und Gewürze. Auf eine besondere Art, die aus der Ukraine stammt, werden auch süße Liköre aus Wodka angefertigt. Sie werden heute alle industriell hergestellt — nicht, wie früher im Haushalt, „individuell“ und mit Liebe.

In Rußland gibt es auch Wein: im Kaukasus und auf der Krim. Das russische Volk, vor allem die Männer, die Bauern und Arbeiter, tranken früher nie Wein. Für sie war Wein Limonade. Wodka war das einzige Getränk, das sie als stark genug anerkannten.

Für ganze Gebiete und einzelne Gouvernements wurde das Branntweinregal an Unternehmer verpachtet. Der Staat und die Polizei schützen diesen Unternehmer vor jeder Konkurrenz, denn er hatte das Verkaufs- und Ausschankrecht dem Staate „abgekauft“. Das galt allerdings nur für den Kartoffelschnaps, den die Russen so bevorzugen, nicht aber für die Verfeinerungen.

Der berühmte russische Finanzminister Witte räumte mit diesem System zu Beginn unseres Jahrhunderts auf. Er mußte die zerrütteten Finanzen wieder ordnen, und das gelang ihm auch vorzüglich. Es wurde das direkte Wodkamonopol des Staates eingeführt. Ueberall in den Städten und größeren Dörfern wurden staatliche Schnapsläden eröffnet. Sinnigerweise natürlich auch in der Nähe von Fabriken, Märkten und sonstigen Orten der Ansammlung großer Volksmengen. Raffinierterweise konnte man Wodka für jedes Geld haben. Man konnte ihn eimerweise haben, und man konnte ihn auch für die noch letzten Kopeken kaufen. Die kleinste russische Münze im normalen Zahlungsverkehr war die Kopeke. Nur für den Wodkaverkauf aber prägte man noch halbe Kopeken, im Volksmund Groschen genannt.

Dank der Trunksucht seiner Untertanen zog Witte mit diesem System wie mit einem Staubsauger die letzte halbe Kopeke aus den Taschen der Russen. Um die öffentliche Meinung zu beruhigen, verordnete das neue Gesetz, daß eine bestimmte Summe der Einnahmen aus dem Wodkamonopol zur Bekämpfung der Trunksucht verwendet würde. Däs aber mißlang vollkommen. Bei dem scharfen Mißtrauen der zaristischen Regierung gegen jede Art von Verein wurde zwar dem Namen nach eine große Gesellschaft für den Kampf gegen den Alkoholismus gegründet, in Wirklichkeit aber war es ein staatliches Unternehmen, an dem noch die Orthodoxe Kirche beteiligt war. Diese Gesellschaften gründeten sogenannte „Häuser der Nüchternheit“. War es schon in diesen Klubs ohne Alkohol nüchtern genug, so war das dort dargebotene Programm noch nüchterner und langweiliger. Noch schlimmer war, daß findige Beamte auf die Idee kamen, diese Klubs, wenn sie schon existierten, zur zaristischen politischen Propaganda auszuwerten. Das diskreditierte die Institution in den Augen des Volkes vollends!

Eine ungeheure Welle von Alkohol ging über Rußland. Vor den amtlichen Schnapsverkaufsstellen lagen immer einige Vollbetrunkene herum. Am Samstag oder an Zahltagen waren es jeweils geradezu Schnapsleichenfelder.

Die liberale Presse beschuldigte Graf Witte, daß er ganz Rußland alkoholisiere. Der kaiserliche Minister hatte dagegen jedoch nur die nüchterne Antwort: „Ohne Wodka kann man Rußland unmöglich regieren!“

In Rußland gilt als Trinker nur, wer den Wodka „nackt“ trinkt, das heißt, ohne dazu zu essen. Es gehört sich und erhöht den Genuß, wenn man nach jedem Schluck Wodka etwas Pikantes, möglichst Scharfes, „nachbeißt“, sei es ein Stück Hering, eine saure Gurke oder wenigstens ein Stück Schwarzbrot, stark mit Salz bestreut. Aus dieser Sitte hat sich eine ganze kulinarische Kultur entwickelt. Sie gleicht in vielem der Hors-d’oeuvre-Kultur der Skandinavier, die ja auch starke Schnapstrinker sind.

In der guten, alten Zeit war die Theke jedes guten Restaurants mit Hors d’oeuvres gespickt. Das gleiche Bild bot sich in Privathäusern bei festlichen Gelegenheiten. Erst nach Schnaps und Hors d’oeuvres setzte man sich an den eigentlichen Eßtisch. Auf dem großen Staatsbankett 1925, das der damalige Staatspräsident Kalinin anläßlich der 200-Jahr-Feier der Akademie der Wissenschaften gab, war im russischen Museum in Leningrad ein riesiger Saal aus rotem Marmor für Wodka und Sakuska eingerichtet worden. Eine Unzahl langer Tische war mit Leckerbissen bedeckt. Stehend trank und aß man. Neugierige amerikanische Journalisten zählten die verschiedenen Arten von Hors d’oeuvres, die sich da präsentierten. Sie kamen jedoch nicht zu Ende. Denn als sie bei der 3241. Art waren, riefen die Fanfaren die Gäste zum eigentlichen Staatsbankett. Uebrigens, das damalige Bankett wurde von der ehemaligen noch intakten Hofverwaltung des Zaren nach den alten Vorschriften organisiert und hatte dementsprechend 14 Gänge, jeden mit einem halben Dutzend von Beilagen; Früchte, Bonbons, Gebäck, Kaffee und Liköre nicht mitgerechnet.

Beim Aushruch des ersten Weltkrieges wurde in ganz Rußland jeder Alkoholverkauf verboten. Das Land wurde trockengelegt. Ueber- raschend entwickelte sich daraus nicht eine Welle von Kriminalität, wie später in den Vereinigten Staaten Amerikas, wohl aber ein großer Schwarz- und' Schleichhandel. Doch die Wodka- vorräte,' da vom Staat nicht weiterfäbriziert wurde, erschöpften sich bald. Für den Schleichhandel blieben die großen Vorräte an Kognak und teuren Schnäpsen. Sie waren nur einer dünnen Oberschichte zugänglich. Die breite Bevölkerung suchte nach einem Ersatz für Alkohol. Alles, was irgendwie nach Alkohol roch, wurde genossen. Die Möbelpolitur, Kölnischwasser, Petroleum, Benzin und alles, was irgendwie die Kehle reizte. Bei parkenden Autos wurde der Benzintank angezapft. Natürlich begann man auch Fusel schwarz zu brennen.

Die Reyolution behielt das allgemeine Alkoholverbot bei. Nach dem Bürgerkrieg, in der Zeit des Nöp, nahm jedoch das Schwarzbrennen ungeahnte Dimensionen an, vor allem in den Dörfern. Man hatte ja jetzt Kartoffeln and Getreide genug und konnte einen Lieberschuß von Branntwein immer in die Stadt verkaufen. Eine Spezialpolizei, welche die Schwarzbrenner verfolgen sollte, versagte kläglich. Das wäre noch nicht einmal so katastrophal gewesen, wenn nicht dieser Selbstgebrannte Fusel einen großen Prozentsatz Methylalkohol enthalten hätte. In die Hunderttausende gingen die Vergiftungen durch Methylalkohol, vor allem die Erblindungen. Die Sowjetregierung hob darum das Alkoholverbot auf und begann wieder selbst Schnaps zu brennen.

Wie in vielem schienen in dieser Hinsicht die alten russischen Verhältnisse in der Sowjetunion wiederhergestellt zu sein. Allerdings ging die Bekämpfung der Trunksucht unter dem harten Sowjetregime viel energischer vor sich. Das Strafgesetzbuch des Sowjetregimes unterscheidet sich von anderen Strafgesetzbüchern dadurch, daß- Trunkenheit keinen Milderungsgrund darstellt, sondern strafverschärfend wirkt. Systematische Trunkenheit, die zu Arbeitsunfähigkeit führt, ist an sich strafbar und kann zur Deportation auf administrativem Wege führen.

Trotz dieser drakonischen Maßnahmen blieben die Schnapsleichen am Rande der Straßen und Plätze in den Städten und Dörfern. Sie wurden genau so eingesammelt wie zur Zeit des Zaren. Die Sowjets sind jedoch nicht so großzügig wie der Zar. Hatte der Trunkene jetzt ausgeschlafen, so wurde ihm von der Polizei ein Bußzettel überreicht. Bezahlte er nicht, so mußte er die Buße unter Polizeiaufsicht abarbeiten. Auch diese Maßnahme versagte. So kam man, wie man glaubte, auf eine besonders raffinierte Idee. Die Betrunkenen kamen nicht mehr auf die Polizei, sondern die Rettungswagen der Sanität wurden alarmiert. Im Krankenhaus wurde dem

Patienten vor allen Dingen der Kopf kahl rasiert. Dann steckte man ihn in eine Badewanne und wusch ihn. In einem reinen Krankenbett konnte er sich dann ausschlafen. Am andern Tag kam das dicke Ende: er erhielt eine Rechnung, in welcher Sanitätswagen, Kopfrasieren, das Baden und das Schlafen mit der Polizeibuße fein säuberlich angeführt' waren. Konnte er die Rechnung nicht bezahlen, so war die Summe groß genug, ihn auf zwei bis drei Monate in ein Straflager einzuliefern.

Aber auch diese Maßnahmen halfen nicht. Jetzt, nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere in den letzten Jahren, seitdem der Lebensstandard sich wesentlich gehoben hat, geht wieder eine Welle von Alkoholismus über die Sowjetunion. Auch jetzt versucht die Regierung alles mögliche — bisher ohne Erfolg. Man hat den Wodkapreis erhöht. Wird der Wodka aber zu teuer, so wird das Fuselbrennen wieder rentabel. Man hat dann nicht nur die Betrunkenen, sondern auch noch die Vergifteten auf dem Hals und muß zusätzlich noch die Schwarzbrennereien verfolgen. Deshalb hat die Erhöhung des Wodkapreises versagt. Jetzt ist Nikita Chruschtschow auf eine neue Idee gekommen. In den Restaurants und Gastwirtschaften darf einem Gast nur zum Essen ein Deziliter Wodka verabreicht werden. Die Idee ist nicht in Rußland geboren worden. Sie ist vielmehr der schwedischen Gesetzgebung nachgeahmt. Für russische Verhältnisse bedeutet das aber bereits eine Kapitulation der Sowjetregierung vor dem Alkohol. Die Mehrzahl der Trinker, die sich zu Hause oder in Gesellschaft betrinken, wird davon nicht berührt. Chruschtschow ist also froh, wenn sich die Leute zu Hause betrinken und so keine Schnapsleichen öffentlich herumliegen. Der eigentliche Kampf gegen den Wodka ist aufgegeben worden. Rußland kann eben ohne Wodka nicht regiert werden.

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