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Rubelkurs und Koexistenz

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Die Westmächte haben in Genf Außenminister Molotow eine lange Liste von Maßnahmen zur Verwirklichung einer echten Politik der Koexistenz überreicht. Sehr viele dieser Maßnahmen sind schon durchgeführt. Künstler und Theater besuchen einander immer häufiger. Gruppen verschiedener Berufe bereisen die Sowjetunion und, umgekehrt, die USA und die meisten Länder des Westens. Und doch ist es kein richtiger, alles andere als ein freier und flüssiger Verkehr. Denn ganz richtig hat das westliche Memorandum als größtes Hindernis für den gegenseitigen Verkehr den künstlichen Rubelkurs genannt. Solange dieser Rubelkurs besteht, ist überhaupt nur ein Reiseverkehr möglich, der meist zwischen Regierungen vereinbart wird, so daß die nach der Sowjetunion Reisenden entweder vom eigenen Staat finanziert oder aber von der Sowjetregierung eingeladen werden. Auch die Reisen der 750 französischen Touristen und kleinerer Gruppen von Schweden ist kein Gegenbeweis. Sie reisten mit dem Inturist und daher stand jedem unabhängigen Schritt abseits von der ganzen Gruppe die Barriere des teuren Rubels im Wege.

Die Geschichte dieses teuren Rubels ist ganz interessant. Bis zum Jahre 1936 lebten Ausländer in der Sowjetunion eigentlich sehr billig. Als offizieller R.ubelkurs galt zwar der alte Goldkurs, und zu diesem Kurs waren die Preise in der Sowjetunion astronomisch. Doch in Wirklichkeit gab es sehr, sehr wenige Ausländer, die zu diesem Kurs Rubel kauften. Alles lebte vom „schwarzen“ Rubel. Und die waren sehr billig. Ganz so schwarz waren diese Rubel auch nicht. Denn in Wirklichkeit war es der Sowjetstaat selbst, der in Helsinki, Warschau, vor allem aber in Paris Rubel zu „freiem“ Kurs verkaufte. Diese Rubel fanden dann über die diplomatische Kurierpost den Weg nach Moskau.

Die Sowjetbehörden tolerierten sehr offensichtlich diese Transaktionen.

Die Situation änderte sich gründlich 1937. Damals wurde die Grundlage des heutigen künstlichen hohen Kurses geschaffen. Uebrigens, jeder Rubelkurs ist künstlich. Es gibt keine natürliche Verbindung zwischen dem Rubel und den Währungen der übrigen Welt. Die Sowjets kaufen nur gegen Auslandsvaluta. Und verkaufen auch nur gegen Dollar. Rubel und Dollar kommen also überhaupt nicht in Berührung. Es gibt gar keine finanziellen Transaktionen zwischen der Sowjetunion und der übrigen Welt. Die Sowjetregierung kann einen beliebigen Rubelkurs festsetzen, ohne daß das den geringsten Einfluß auf die sowjetische Volkswirtschaft hat.

In der Zeit zwischen 1928 und 1934 wurde durch die Kollektivisierung der Landwirtschaft und die forcierte Industrialisierung die Tscher-wonez-Währung zerstört. In der Sowjetunion herrschte eine nicht einbekannte Inflation. Nach 1934 begann man die Wirtschaft in Ordnung zu bringen. Die Rationierung wurde abgeschafft. Die bisherigen drei verschiedenen Preise wurden auf einunddieselbe Ware vereinheitlicht. Diese Preise waren: der „Staatspreis“ für Privilegierte, den die Fiktion aufrechterhielt, der Rubel sei noch ein Goldrubel; der sogenannte „Kommerzpreis“, ein Mehrfaches höher als der Staatspreis, für den in den staatlichen Geschäften allgemein verkauft wurde; und endlich die Preise des freien, lies schwarzen Marktes, der jetzt im sogenannten Kolchosenmarkt legalisiert wurde, die wieder noch höher waren. Der neue Einheitspreis lag zwischen dem „Kommerzpreis“ und dem „freien“ Preis, war also sehr hoch. Damit war aber der Kurs des Rubels fixiert und seine Kaufkraft im Inneren einigermaßen stabilisiert, obwohl er im Vergleich etwa zum

Jahre 1927 um ein Vielfaches an Wert verloren hatte.

1937 ging man nun daran, einen neuen Kurs zwischen Rubel und Auslandsvaluta festzulegen. Ursprünglich bestand das Projekt einer ganz neuen Währung. An Stelle des Rubels oder richtiger des Tscherwonez, also zehn Rubel, sollte eine ganz neue Einheit des „Len“ kommen, abgeleitet von Lenin. Eine ganze Anzahl von Rubel sollte aus neuen Len konvertiert werden. Der neue Len sollte damit effektiven Goldgehalt erhalten. Denn die Autoren dieses Planes standen auf dem Standpunkt: „Geld ist Gold.“ Darüber hinaus behaupteten sie, daß damit der zaristische Rubel durch eine Währung mit revolutionärem Namen abgelöst worden wäre. Hätte man diese Währungsreform durchgeführt, so wäre der neue Len auch im Vergleich zu Auslandswährungen sehr billig geworden. Die Sowjetunion wäre heute das billigste Land der Welt. Doch im Kreml entschied man anders. Man begann damals den Eisernen Vorhang herunterzulassen. Man setzte einen willkürlich hohen Rubelkurs fest. Schwarze, billige Rubel waren plötzlich auch nicht mehr da. Die Sowjets hörten einfach auf, solche Rubel auf den ausländischen Märkten zu verkaufen. Wer also Rubel brauchte, war nun gezwungen, sie zum offiziellen Kurs bei der sowjetischen Staatsbank zu kaufen. Das Leben für Ausländer wurde in Moskau so unerträglich teuer, daß die meisten Vertreter der ausländischen Firmen ihre Koffer packten. Eine erhebliche Anzahl von Auslandskorrespondenten folgte. Die Diplomatie mußte sich sehr einschränken. Der Besuch eines sowjetischen Lokals kostete jetzt so viel, daß man solche Vergnügungen einschränken mußte. Eine Anzahl von russischen Angestellten der fremden Missionen mußte auch entlassen werden. Die Ausländer, die also nach dem großen Auszug blieben, mußten ihre Kontakte mit der russischen Welt wesentlich einschränken. Natürlich erhob die Diplomatie Vorstellungen. Da kam man ihr und dem Rest der Auslandskorrespondenten weit entgegen. Alle durften alles, was sie brauchten, zollfrei aus dem Auslande beziehen. Man errichtete sogar einen Spezialdienst, der für die Diplomaten täglich frisches Fleisch und Gemüse von der polnischen Grenzstation brachte.

Der Kreml erreichte damit, daß die Ausländer auch nicht mehr in die Geschäfte und auf den Markt gingen und so noch mehr vom russischen Leben isoliert wurden.

Aus dem damaligen Rubelkurs entwickelte sich der heutige. Er weicht nur um weniges ab von damals. Ein Rubel ist'etwas mehr als ein Schweizer Franken und so ziemlich gleich einem holländischen Gulden. Es ist der Rubelkurs des Eisernen Vorhanges und nicht der Rubelkurs der Koexistenz und des gegenseitigen Verkehrs.

Den ausländischen Reisenden stehen heute in Moskau zwei Hotels zur Verfügung, „Metropol“ und „National“. Es sind gute Hotels, jedoch nicht mehr die besten. Wer nach Moskau selbständig, ohne das offizielle Reisebüro Inturist, reisen will, muß, abgesehen von Flug- und Bahnkarten, mit folgenden Kosten rechnen: Zimmer 50 Rubel, Morgenfrühstück 20 Rubel, Mittag- und Abendessen mit Bier und Kaffee mindestens 50 Rubel. Alles in allem also 170 Rubel pro Tag, ohne Nachmittagskaffee, ohne Trinkgelder, Theater, Zigaretten. Auch bei bescheidenem Leben kostet also ein Tag in Moskau mindestens 200 Schweizer Franken. Und dann hat man eigentlich nur die Straßen Moskaus und sein Hotel gesehen. Das weiß man natürlich an zuständiger Stelle in Moskau. Daher verkauft das staatliche Reisebüro Inturist den Tagesaufenthalt in Moskau von 60 bis 120 Rubel, je nach der Kategorie. Darin sind Wohnung, Verpflegung und einige Besichtigungen enthalten. In welchem Verhältnis die Preise zum Rubelkurs stehen? In gar keinem natürlich. Der Inturist hat nicht kalkuliert, sondern einfach New-Yorker Preise genommen. Doch auch diese Preise sind zu hoch, wenn der Reisende etwas von Moskau haben will. Für Einheimische sind die Preise in dem wunderbaren Kulturpark mit seinem Vergnügungsviertel, seinen Restaurants und Cafes eigentlich billig. Für Ausländer beinahe unerschwinglich. Vom Moskauer Nachtleben schon gar nicht zu reden. Im Hotel Metropol gibt es ein großes Restaurant, ein Kaufhaus und eine Bar. Hier kann wohl am Galaabend der Ausländer, von der Bar aus, den Galaabend am Wochenende noch mitmachen. Mit 30 bis 40 Rubel kommt er an der Bar aus. Doch solche Lokale, wie das elegante Restaurant des Hotels „Sowjetskaja“, der berühmte kaukasische Keller in der Gorkijstraße und vor allem auch das berühmte Restaurant „Nowy Jahr“, sind ihm, wenn er nicht unverhältnismäßig viel Geld ausgeben will, verschlossen.

Es ist in Rußland nicht üblich, in einem Restaurant bei einer Flasche Wein oder Bier zu sitzen. Wenn der Russe ausgeht, dann will er vor allem gut und ausgiebig essen. Und sich natürlich amüsieren. Er bestellt eine Karaffe eisgekühlten Wodka, sucht sich dann aus der langen Speisenkarte genußreich eine „Zaküska“, dazu scharfe Speisen, um dann über ein opulentes Mahl zur „Maschinka“, gemeint ist eine Kaffeemaschine, in welcher der Mokka serviert wird, und zu Likör und Früchten überzugehen. Es ist ein zusätzlicher propagandistischer Gewinn, wenn er sieht, wie schäbig der Ausländer sein muß.

Zwei Restaurants sind besonders interessant. Der kaukasische Keller in der Gorkijstraße, be-

legt mit kostbaren Teppichen, mit kaukasischer Musik und denselben Tanzvorführungen, bietet ausgesuchte kaukasische Delikatessen. Der Keller hat auch historischen Reiz. In einer der Nischen trafen sich einst die Verschwörer gegen Stalin. Und während des Prozesses gegen diese Verschwörer, vor allem Radek und Sokolnikow, lud der damalige Pressechef 1937 die deutschen Pressevertreter in dieselbe Nische ein, ein Abend, an dem die ersten Fäden gesponnen wurden, die dann zum Molotow-Ribbentrop-Pakt führten.

„Nowy Jahr“ erinnert an das alte Rußland. Es war einst das große Lokal der millionenschweren russischen Lebewelt. Im großen Napoleon-Saal oder im Wintergarten amüsierte sich die gebildete Welt. Auf der Estrade sangen und tanzten Zigeuner, traten Tänzerinnen und Sängerinnen auf. In den Separees ging es aber toll zu. Wenn so ein millionenschwerer Moskauer Kaufmann in Pluderhosen, Schaftstiefeln und langschössigem Rock vor dem Restaurant vorfuhr, dann wußte der Portier gleich, daß ein Separee gewünscht wird. Der Kaufmann bestellte sich gewöhnlichen Wodka und den schärfsten, also billigsten Kaviar. Ließ gleichzeitig jedoch die Flaschen französischen Champagner zu Dutzenden aufführen. Zuerst bestellte er die Zigeuner, ließ sich vorsingen. Traktierte die Zigeuner mit Champagner und Goldstücken. Dann begann er sich zu „amüsieren“. Warf die hohen venezianischen Spiegel mit Champagnerflaschen ein oder ließ ein Dutzend tatarische Kellner antreten und verwandelte sie in „Mohren“, indem er ihnen das Gesicht mit Senf einschmierte. Jeder bekam dann 20 Rubel Schmerzensgeld. Normalerweise weinte er zum Schluß und bemitleidete sich selbst. Endlich bettete ihn der Pförtner in seinen Schlitten. Der Portier hatte zu Beginn des ersten Weltkrieges bereits mehrere große Zinshäuser in Moskau.

Heute ist es das Restaurant des gehobenen sowjetischen Mittelstandes. Ein Abend dort kommt bei bescheidenen Ansprüchen auf mindestens 150 Rubel. Woher dieser Mittelstand das Geld hat? Nun, ein Akademiker in mittlerer Stellung verdient in Moskau 2000 bis 3000 Rubel monatlich. Seine Frau verdient auch. Das ist nicht sehr viel. Doch man kann bei der sowjetischen Mangelwirtschaft doch nicht alles ausgeben. Bei den geringen Möglichkeiten, das

Geld normal auszugeben, bleibt immer noch ein Ueberschuß für Vergnügungen. Die schönen Restaurants haben vom Standpunkte des Regimes zweierlei Begründung. Der sowjetischen Intelligenz soll für ihre Arbeitsleistung das geboten werden, was sie verlangt. Darunter auch das Amüsement der einstigen Großbourgeoisie. Anderseits dienen diese Restaurants der Regulierung des Geldumlaufes. Es werden mehr Löhne und Gehälter ausgezahlt, als Waren angeboten werden können. Der Ueberschuß des Geldes soll hier abfließen ...

Wie man sieht, ist der Rubelkurs das größte Hindernis für den gegenseitigen Verkehr. Nur sehr reiche Leute dürfen Rußland kennenlernen. Natürlich, umgekehrt, ist eigentlich für jeden Russen, dank dem künstlichen Rubelkurs, eine Auslandsreise spottbillig. Wenn die Sowjetregierung jedem ihrer Untertanen, der reisen will, die Genehmigung dazu gibt, dann muß sie gewaltige Devisenbestände opfern. Um so mehr, als ja jeder Lohn eines Sowjetbürgers eigentlich ein Geschenk der Regierung ist. Denn die Rubel, die der Sowjetbürger seinem Staat für die Auslandsdevisen zahlt, sind ja eigentlich kein Geld, sondern Warenbezugsscheine. Die Auslandsdevisen sind für die Sowjetregierung etwas Reelles, die Rubel in der Staatskasse für die Regierung von keinem Wert. Daher bekommen, wie bei den ersten Reisen ins Ausland, nur solche Sowjetbürger die Genehmigung, die aus beruflichen Gründen an einer Auslandsreise interessiert sind, was wieder dem Sowjetstaate zugute kommt, oder aber Auslandsreisen werden als besonders hohe Prämie für hervorragende Leistung verschenkt.

In der umgekehrten Richtung ist der künstliche hohe Rubelkurs ein Hindernis. Auch wenn in absehbarer Zeit die Sowjetregierung eine Milderung des Rubelkurses des Eisernen Vorhanges vornehmen und einen Kurs der Koexistenz einführen sollte, dann müßte sie andere Beschränkungen des ausländischen Reiseverkehrs einführen. Nicht aus politischen Gründen, sondern wegen der sowjetischen Mangelwirtschaft. Denn in der Sowjetunion herrscht ein drückender Mangel an Hotelbetten, ja selbst an Plätzen in den Restaurants. Schon ein paar hundert ausländischer Touristen in der Achtmillionenstadt Moskau behindern empfindlich den Verkehr der vielen nach Moskau geschäftlich reisenden Funktionäre.

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