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Mit Kopfgeld fing es an

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Im Frühjahr 1948, drei Jahre nach Kriegsende, kündigte Prof. Ludwig Erhard, der damalige Direktor des Frankfurter Wirtschaftsrats für die drei westlichen Besatzungszonen, eine Währungsreform an. Die Russen hatten wie immer „njet“ gesagt, wenn Amerikaner, Engländer und Franzosen mit ihnen darüber verhandelt hatten, wie das besetzte Land, das zusammengebrochene und hoffnungslose Volk zu neuem Leben und Mut erweckt werden konnten. Die drei Westmächte sahen die sich ausbreitende Lethargie und die damit verbundenen Gefahren, besonders für die heranwachsende Jugend, mit Bedenken. Sie gaben deshalb Professor Erhard grünes Licht. In gewissem Sinne war das Resignation: die Hoffnung, bei der Wiederherstellung eines gesunden und leistungsfähigen Europas mit den Russen Zusammenarbeiten zu können, wurde aufgegeben.

Der Tag, an dem die Währungsreform in Kraft treten sollte, wurde geheimgehalten. Es gab Geschäftsleute, die nun auch das wenige, was sie noch zu verkaufen hatten, Uniterm Ladentisch verschwinden ließen, um später „gutes Geld“ dafür zu nehmen, und es gab andere, die ihre Kunden redlich bedienten, so wie es auch Handwerker gab, die bis zum letzten Tag für das „schlechte Geld“, das den hungernden Menschen zur Verfügung stand, Reparaturen machten. Ihre Kunden haben ihnen das immer hoch angereehnet und tun das bis auf den heutigen Tag, falls sie noch miteinander zu tun haben.

Am Sonntag, dem 20. Juni 1948, erfuhr man durch Rundfunk und Extrablätter, daß der „Tag X“ gekommen sei. Am Montag bekomme jeder, ob jung oder alt, arm oder reich, ein „Kopfgeld“ von 40 neuen D-Mark. Dieses neue Geld war „hart“; sein nomineller Wert betrug zwar nur ein Zehntel der Reichsmark, und auch das nur in der Theorie, denn vorläufig wurde kein Geld gewechselt. Dennoch war eine DM sehr viel mehr wert als zehn Reichsmark, weil man für sie wirklich etwas würde kaufen können.

Anstellen für Kopfgeld

Die Deutschen hörten das mit Spannung, mit Hoffnung, aber auch mit einer großen Portion Skepsis. Überall saßen oder standen sie zusammen und erörterten die neue Lage. Viele lenkten ihren Sonntagsspaziergang in die Geschäftsstraßen, wo tatsächlich schon die ersten Schaufenster eingeräumt wurden. Man las die Preise, man rechnete und plante, und am Montag morgen stand man Schlange vor den Banken, die das Kopfgeld auszahl- ten. Der Start war für alle gleich. Gewiß, wer Waren gehortet hatte, konnte durch Verkauf sein Kopfgeld sehr schnell aufbessern; aber man sah ein, daß er dann auch wieder neue Waren würde kaufen und anbieten können. Was sich ein den drei westlichen Besatzungszonen Deutschlands abspielte, war praktischer Anschauungsunterricht in Wirtschafts- und Währungspolitik, der für alle, ob sie die theoretischen Grundlagen nun verstanden oder nicht, eindrucksvoll war. Die Unternehmen waren wieder daran interessiert, zu produzieren, die Geschäftsleute wollten verkaufen, die übrigen kaufen, und alle konnten ihr Ziel auf dem selben Weg, und nur auf diesem, erreichen: durch Arbeit. Diejenigen, die immer nur „Normalverbraucher“ gewesen waren, die nur das hatten kaufen können, was es auf Zuteilungsmarken gab, waren nicht länger die „ Dummen“. Das waren vielmehr die Schwarzhändler, die auf ihren Waren sitzenblieben und sich nun ebenfalls nach Arbeit umsehen mußten.

Dennoch fragten sich die meisten Leute immer wieder, ob das wohl gutgehen werde. Würden sich nicht wieder clevere Händler finden, die auch die neue Lage auszunützen verstünden? Fast zehn Jahre lang hatte Planwirtschaft geherrscht, hatte es manches gar nicht, anderes nur in knapp bemessenen Mengen gegeben. Einen freien Markt konnte man sich nicht mehr vorstellen, jedenfalls nicht in diesem Stadium der Trümmer — im wörtlichen und übertragenen Sinne.

Ludwig Erhards historische Leistung

Aber Prof. Erhards Theorie, die eigentlich ein suggestiver Wirtschaftsoptimismus war, funktionierte. Die „Bewirtschaftung“, das Recht des Staates, Produktion und Konsum zu bestimmen, und zu kontrollieren, wurde stufenweise aufgehoben. Industrie, Handel und Gewerbe lernten wieder, sich in ihrem Angebot nach dem Bedarf und dem Geschmack der Konsumenten zu richten, wozu sie Initiative ergreifen und Risiken eingehen mußten, was ungemein belebend wirkte. Die Verbraucher lernten wieder mit ihrem Geld umzugehen, beim Einkauf sorgsam zu wählen. Immer mehr und immer bessere Waren kamen in die Schaufenster, immer mehr wurde gearbeitet, investiert, modernisiert. Das „Wirtschaftswunder“ nahm seinen Anfang, Ludwig Erhard galt als sein Vater. Die drei westlichen Besatzungszonen wuchsen fester zusammen; ein Jahr später wurde daraus die Bundesrepublik Deutschland, Prof. Erhard wurde Wirtschaftsminister. Der praktische Anschauungsunterricht in Wirtschaftspolitik war um so überzeugender, als es auch das Gegenteil gab: in der sowjetischen Besatzungszone wurde weiter gehungert, wurden weitere Fabriken demontiert, wurde weiterhin alles kontrolliert, auch die Gesinnung. Immer tiefer wurde die Kluft zwischen den beiden Teilen Deutschlands, immer mehr wurden die Einwohner der Sowjetzone zu „armen Verwandten“. Sie sind es, obwohl sich auch dort in nunmehr 20 Jahren manches gebessert hat, noch immer. Sie brauchen und bekommen noch immer Pakete von ihren westdeutschen Verwandten; nicht nur, weil „Genußmittel“, wie Kaffee und Zigaretten, „drüben“ entweder schlecht oder für die meisten unerschwinglich sind, sondern auch, weil es immer noch vorkommt, daß es zum Beispiel einen Wasserhahn, ein Werkzeug oder ein Medikament einfach nicht gibt. Das führt zu Ressentiments auf der einen und auch leicht zu gönnerhaften Gefühlen auf der anderen Seite. Am bittersten mag es für die Bevölkerung der „DDR“ sein, wenn sie in anderen Ostblockländem erlebt, daß Urlauber aus der „kapitalistischen“ Bundesrepublik von Tschechen und Jugoslawen, Rumänen und Bulgaren lieber gesehen werden als die Angehörigen des „sozialistischen Brudervolks“, weil sie harte DM bringen — Geld, das in der ganzen Welt seinen festen Wert hat.

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