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Glück nach Quadratmetern

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Wer als-Toürist Tourist haute in den Ostblook funrt rummt off die großzügige Unterbringung in den Hotels. Alles sei nach modernen Gesichtspunkten gebaut und man habe genügend Raum zum Ausbreiten. Sieht man aber hinter diese devisenbringende Fassade, dann erblickt man das ganze Elend der Bauwirtschaft in den Ostblockländern.

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Wer als-Toürist Tourist haute in den Ostblook funrt rummt off die großzügige Unterbringung in den Hotels. Alles sei nach modernen Gesichtspunkten gebaut und man habe genügend Raum zum Ausbreiten. Sieht man aber hinter diese devisenbringende Fassade, dann erblickt man das ganze Elend der Bauwirtschaft in den Ostblockländern.

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Zieht man die Sowjetunion als Beispiel heran, so zeigt sich mit aller Deutlichkeit, welch großer Unterschied zwischen Plan und Wirklichkeit in der Zwangswirtschaft immer noch vorhanden ist, Im jetzt auslaufenden Fünf jahresplan 1971 bis 1975 war eine Zunahme des gesamten Wohnungsbaus um rund 500 Millionen m2, also jährlich Steigerungen von etwa 5 Prozent, vorgesehen. Nur so hätte man die eingeplante Leistung erreichen können. Diese 5 Prozent wurden aber nie geschafft. Tatsächlich mußte sich die sowjetische Bauwirtschaft in guten Jahren mit 3 Prozent begnügen, 1973 gab es sogar einen Rückgang um etwa 1 Prozent.

Die Folgen dieser Entwicklung spürt man indes überall in der Sowjetunion, besonders auf dem Sektor des Wohnungsbaues. Die Wohnungskrise in der UdSSR ist nach wie vor katastrophal, berichtete erst kürzlich Radio Tirana in einer Sendung für Jugoslawien. Als Beispiel wurde eine 19köpfige Moskauer Familie erwähnt, die in einer Wohnung mit einer Wohnfläche von 28 m2 lebt. Auf jedes Familienmitglied entfällt also 1,5 m2 Wohnraum. Diesen Fall mußte sogar das Zentralorgan der sowjetischen Kommunisten, „Prawda“, zugeben. Seit vier Jahren wurde der Plan im Wohnungsbau kein einziges Mal erfüllt. Aus gut unterrichteten Kreisen wurde bekannt, daß 1976 noch weniger Wohnungen in der Sowjetunion gebaut werden als in den Vorjahren. Radio Tirana: „Es gibt keine finanziellen Mittel, kein Baumaterial, es fehlen Arbeitskräfte... Millionen sowjetischer Bürger müssen in ungeeigneten Wohnhäusern, alten Baracken und ausrangierten Eisenbahnwaggons leben!“

Wer in der UdSSR eine Neubauwohnung zugewiesen erhält, kann von Glück reden. Endlos sind die

Wartelisten jener Bürger, die sich für eine Neubauwohnung in den Städten eingeschrieben haben. Wartezeiten bis zu vier Jahren müssen in Kauf genommen werden. Vorrangig mit Wohnraum wird bedient, wer sich für Staat und Partei verdient gemacht hat. Nicht die sozialen Verhältnisse entscheiden bei der Vergabe von Neubauwohnraum, vielmehr die Tatsache, ein guter Parteigenosse zu sein. Und was nicht unerheblich ist: Auch wer „gute Beziehungen“ hat kann schnell zu einer Wohnung kommen. Es gibt Beispiele dafür, daß in der Sowjetunion selbst Neubauwohnungen auf dem „Schwarzen Markt“ angeboten werden.

So wurde erst kürzlich ein Staatsangestellter in Moskau, der mit der Vergabe von Wohnraum zu tun hatte, zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt, weil er gegen Bestechungsgelder Neubauwohnungen abgetreten hatte. Innerhalb von zwei Jahren hatte der Genosse 150.000 Rubel kassiert und dafür 38 Neubauwohnungen verschoben. Ein ähnlicher Fall wurde aus Leningrad bekannt. Hier kassierte ein Genosse 90.000 Rubel für insgesamt 21 „schwarz“ abgegebene Neubauwohnungen. Auch er wurde zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Die sowjetischen Baubehörden haben aber auch noch anderen Kummer: So besteht Sorge in der schlechten Qualität der planwirtschaftlichen Wohnungen. Schlecht gebaute Häuser werden sehr bald reparaturbedürftig. Für die Renovierung ist im sowjetischen Staatsplan aber nicht allzuviel Geld vorgesehen. Das Ergebnis: Die Häuser verfallen und zählen bald wieder zum „Schrott“ der Wohnungswirtschaft.

Unter diesen Umständen verblaßt das Renommierstück des sowjetischen Wohnungsbaus: die Billigkeit. In der Sowjetunion kostet ein Quadratmeter Wohnraum höchstens 20 Kopeken. Das wären also nicht einmal sieben Schilling. Das alles hilft aber nicht viel, wenn man auf der angebotenen Wohnfläche kaum leben kann.

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