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Neues Wohnungs-Klima

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So, wie zwei Neubauwohnungsnachbarn, die einander hören können und dennoch durch eine Mauer getrennt bleiben, verhandeln die beiden Regierungsparteien seit Jahren über die Lösung des Wohnungsproblems. Die Lautstärke reicht aus, um auch durch die Mauer alter Vorurteile hindurch zu erfahren, was der andere nicht will. Um sich aber die Hand zu gemeinsamem Handeln zu reichen, müßte man aus der Mauer alter Vorurteile wenigstens ein paar Ziegeln herausbrechen. Das müßte um so eher möglich sein, als keiner der beiden Verhandlungspartner einen vollkommen extremen Standpunkt vertritt. Die ÖVP hat in der Wohnung nie eine Ware gesehen, die man dem Hauseigentümer um jeden Preis abkaufen muß, und die SPÖ steht nicht einmal beim sozialen Wohnungsbau auf dem Standpunkt, daß hier ein Rechtsanspruch auf kostenlose Kasernierung vorliegt.

Trotzdem haben beide Parteien den selbstgesetzten Termin vom 31. Dezember 1964 verstreichen lassen und verfügen für eine Einigung in der ersten Hälfte des Jahres 1965 nur noch über viereinhalb Verhandlungsmonate. Eine weitere Fristerstreckung ist angesichts der Budgetberatungen im Herbst und der ein Jahr später fälligen Nationalratswahlen unrealistisch.

Zwischen dem Konzept der österreichischen Volkspartei, das schon vor Jahresfrist ausgearbeitet und dem Koalitionspartner überreicht wurde, und der in einer Artikelserie des Zentralorgans der Sozialistischen Partei eingenommenen Haltung waren zu Beginn dieses Jahres zaghafte Zeichen der Annäherung zu erkennen. Die Positionen können in den Hauptverhandlungspunkten vereinfacht wie “umrissen werden in der obigen Tabelle.

Zu den Verhandlungspositionen der ÖVP ist anzumerken, daß sie als Vorschläge der Partei offiziellen Charakter haben. Das gilt auch für den Ende 1964 von den Unterhändlern der ÖVP gemachten Kompromißvorschlag zur besseren Nutzung der vorhandenen Altwohnungen. Die

Schwerer wiegende Meinungsverschiedenheiten bestehen bei der besseren Nutzung der vorhandenen Altwohnungen und bei der Bodenpolitik. Die ÖVP will sowohl beim Wohnungsneubau als auch bei der Erhaltung erhaltungswürdiger Altwohnungen Hilfe zur Selbsthilfe leisten und das Verfahren dezentralisieren, in der Erwartung, daß Eigentum erhalten und neu gebildet wird. Die SPÖ hingegen will das Verfahren zentralisieren und Eigenleistungen über öffentliche Fonds neu verVerhandlungspositionen der SPÖ sind durch die hier wiedergegebenen Auffassungen der „Arbeiter-Zeitung“ nicht mit der gleichen Verbindlichkeit umrissen. Es gibt allerdings auch Äußerungen maßgeblicher SPÖ-Politiker — zuletzt des Wiener Vizebürgermeisters Slavik —, die in die gleiche Richtung zielen.

Immerhin ist bemerkenswert, daß man sich auf beiden Seiten zum Übergang von der Objekt- zur Subjektförderung und in fast gleichlautenden Vorschlägen zu einer Reform der Wohnungsbeihilfe und zu einer Unterbindung des Mißbrauchs öffentlich geförderter Wohnungen bekennt. Bei den Eigenleistungen des Wohnungswerbers legt die ÖVP das Schwergewicht auf das Ansparen, das steuerlich aber auch durch Prämien gefördert werden soll. Die SPÖ läßt offen, ob in Form einer Baukostenbeteiligung eine höhere Anzahlung oder nur eine höhere Rückzahlung öffentlicher Darlehen erfolgen soll. Die ÖVP verlangt nicht nur bei öffentlich geförderten Wohnungen, sondern auch bei der Vergebung der zur Gänze aus öffentlichen Mitteln erbauten Wohnungen eine Unterbindung des Mißbrauchs.teilen, in der Erwartung, daß vorhandenes Eigentum damit schrittweise in öffentliche Hände kommt.

Bei den noch erhaltungswürdigen Althäusern will die SPÖ ein Direktverhältnis zwischen Mietern und Reparaturausgleichsfonds unter Ausschaltung der Hauseigentümer herstellen, was praktisch einer öffentlichen Verwaltung des nur noch dem Namen nach privaten Hausbesitzes gleichkommt. Bei den nicht mehr erhaltungswürdigen Althäusern soll über eine Entschädigung zum Einheitswert oder zum letzten Grunderwerbspreis dem öffentlichen Wohnbau Platz gemacht werden. Das würde nach Auffassung der „Arbeiter-Zeitung“ auf rund 400.000 Altwohnungen zutreffen, während eine nicht näher definierte Zahl von „hunderttausend Wohnungen in alten Häusern, deren Ausstattung weitere Investitionen zur Sicherung ihres Bestandes rechtfertigt“, in die Kompetenz des Reparaturausgleichsfonds fallen würden. Dahinter steht ein großes Fragezeichen.

Demgegenüber befürwortet die ÖVP freie Vereinbarungen zwischen Vermieter und Mieter bei leerstehenden und leerwerdenden Wohnungen. Der Assanierung nicht mehr erhaltungswürdiger und gesundheitsschädlicher Wohnungen steht auch die ÖVP positiv gegenüber, doch soll, ihrer Meinung nach, den von der Enteignung Bedrohten vorher die Chance der Selbstverbauung geboten werden.

Eine Einigung zwischen den beiden Regierungsparteien ••wird richerlich nicht leicht sein.

Mit zu den Geheimnissen des bisher ungelösten Wohnungsproblems gehört neben anderem auch die Wiener „Kopflastigkeit“ der SPÖ-Füh-rung, die nur zu gerne das Wiener Wohnungsproblem mit dem österreichischen verwechselt. In Wien gibt es nur 11,5 Prozent Wohnungen mit vier und mehr Räumen, in Vorarlberg 48,5 Prozent; in Wien sind 85,1 Prozent Mietwohnungen, im übrigen Bundesgebiet durchschnittlich nur 38,4 Prozent; in Wien fallen noch 70 Prozent aller Mietwohnungen unter das Mietengesetz, im Burgenland, in Vorarlberg und Kärnten aber bereits weniger als 50 Prozent und in Salzburg und Niederösterreich knapp über 50 Prozent.

Wenn man bei den Verhandlungen nicht vom parteipolitischen Soll-Zu-stand, sondern von dem in den Bundesländern herrschenden Zustand ausginge, müßte man nicht mehr wie hypnotisiert auf das Mietzinsproblem starren. Wer durch Österreich mit offenen Augen fährt und auf dem Land die imponierende Anzahl neuerbauter Einfamilienhäuser sieht,

kann bei der Lösung des Wohnungsproblems mit dem Selbsthilfewillen der Österreicher rechnen. Und wer in der Stadt seine Ohren offen hält und sich erkundigt, was an Untermieten, Ablösen, Paragraph-sieben-Mieten in Althäusern und an Mieten in den neuesten Häusern des sogenannten sozialen Wohnbaues bezahlt wird, kann nicht von der Annahme ausgehen, daß die Österreicher umsonst wohnen.

Die Anzahl der Diskriminierten ist viel größer als die Anzahl der Privilegierten. Man brauchte also nicht so zimperlich zu sein.

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