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Familiengeredite Wohnungen

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Der Ausdruck „Familiengerechte Wohnungen" wurde in Deutschland geprägt, das bekanntlich eine Vorliebe für die Prägung solcher Ausdrücke hat. Aus Deutschland stammt auch der in Oesterreich weniger bekannte Ausdruck „Schlichtwohnungen“ für nach dem zweiten Weltkrieg mit öffentlicher Förderung gebaute, besonders billige Wohnungen. Der Volksmund in Deutschland hat aus den „Schlichtwohnungen" allerdings „Schlechtwohnungen“ gemacht. In Oesterreich ist es glücklicherweise bei der öffentlichen Förderung des Wohnbaues nach 1945 zur Errichtung ausgesprochener Primitivwohnungen nicht gekommen.

Bei der Häuserzählung des Jahres 1951 wurden zum Beispiel in Wien 667.000 benützbare Wohnungen gezählt. Davon bestanden 8 Prozent oder 51.000 Wohnungen aus einem Kabinett, nicht weniger als 37,5 Prozent, das sind 251.000 Wohnungen, waren 1-Zimmer-Wohnungen und weitere 37,5 Prozent waren Zimmer-Kabinett- oder 2-Zimmer-Wohnungen. Nur 11 Prozent mit 73.000 Wohnungen waren 2-Zimmer-Kabi- nett-Wohnungen und nur 4 Prozent mit 27.000 Wohnungen waren 3-Zimmer-Kabinett- oder 4-Zimmer-Wohnungen. Lediglich 2 Prozent des gesamten Wiener Wohnungsbestandes, nämlich 14.400 Wohnungen, waren noch größer als 4-Zimmer-Wohnungen. Aus diesen Ziffern ergibt sich die erschreckende Tatsache, daß 45 Prozent der Wiener Wohnungen, und das sind ausschließlich Arbeiterwohnungen oder Wohnungen von kleinen Angestellten, nur aus einem Kabinett oder aus Küche und Kabinett oder, im günstigsten Fall, aus Zimmer und Küche bestehen. Nicht weniger als 83 Prozent der Wiener wohnen in Klein- und Kleinstwohnungen. Was es für eine größere Familie bedeutet, daß noch fast die Hälfte der Wiener Wohnungen die Wasserleitung außerhalb der Wohnung, auf dem Gang, haben, braucht nicht näher ausgeführt zu werden, Auch die Tatsache, daß nur 14 Prozent ler Wiener Wohnungen Badezimmer besitzen, Spricht Bände. Das Klosett befindet sich bei nur 40 Prozent der Wohnungen innerhalb des Wohnungsverschlusses. Wenn Klosett und Wasser bei einem immerhin ins Gewicht fallenden Prozentsatz der Wiener Wohnungen innerhalb des Wohnungsverschlusses sind, so ist das auf den Wohnungsbau nach dem erste Weltkrieg zurückzuführen. Trotz dieser kleinen Wohnungen kann man aber nicht mehr davon sprechen, daß die Wohnuntren so überbelegt sind wie vor dem ersten Weltkrieg, denn infolge der Tatsache, daß die Ein- und Keinkinderehe in Wien zur herrschenden Familienform geworden ist, kommen auf den Wohnungsdurchschnitt derzeit nur noch 2,6 Personen und auf den Haushalts- durchschnitt sogar nur noch 2,4 Personen. Fast jeder Wiener Mieter hat also derzeit mindestens 15 Quadratmeter Wohnraum.

Der Bau von Kleinwohnungen ist verhängnisvollerweise in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in Wien fortgesetzt worden. Erst nach dem zweiten Weltkrieg ergaben sich Ansätze zur Errichtung größerer Wohnungen. Zwar läßt das Statut des Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds, also der „soziale Wohnungsbau“, nach wie vor auch weiterhin nur die Förderung von Wohnungen bis zu 60 Quadratmetern zu. Das Wohnbauförderungsgesetz 1954 geht jedoch in seinen Förderungsmöglichkeiten wesentlich weiter. Es rechnet die Kleinwohnungen bis 90 Quadratmeter, bei zwei Kindern bis zu

110 Quadratmeter und die Mittelwohnung bis zu 130 Quadratmeter. Es verlangt in jeder Wohnung eine Badegelegenheit usw. In den Durchführungsbestimmungen zum Wohnhaus- Wiederaufbaugesetz heißt es ausdrücklich: „Auf die Schaffung von familiengerechten Wohnungen ist schon bei der Planung gebührend Rücksicht zu nehmen." Auch hier wird Klosett im Wohnungsverschluß und Badegelegenheit verlangt. Nach den erwähnten Durchführungsvorschriften soll im Erdgeschoß von Wiederaufbauhäusern eine Abstellmöglichkeit für Kinderwagen vorgesehen werden.

Die Förderung von familiengerechten Wohnungen nur dadurch, daß man dem Familienerhalter für seine große Familie ein größeres Darlehen gewährt, erscheint für sich allein nicht zweckführend. Ein größeres Darlehen verlangt von ihm höhere Rückzahlungsraten. Dies kann er aber wegen seiner großen Familie nicht leisten. Es ergibt sich also die groteske Situation, daß eine größere Wohnung mit hohen Rück zahlungsraten, rein finanziell gesehen, eher von einem kinderlosen, zum Beispiel doppelt verdienenden Ehepaar genommen werden kann, während der allein verdienende Erhalter einer größeren Familie sich wegen der Rückzahlungsraten nur eine kleine Wohnung leisten kann. Die Förderung des Familienerhalters müßte daher richtigerweise darin gelegen sein, daß bei ihm die Rückzahlungsraten wegen seiner großen Familie herabgesetzt werden. Diese Herabsetzung könnte in der Form erfolgen, daß für das übliche Darlehen seiner Wohnung die Verzinsung ermäßigt oder auf die Zinsen ganz verzichtet wird. Dies zumindest so lange, als die Kinder sich nicht selbst erhalten können. Ein solches Entgegenkommen allerdings kann mir dort geübt werden, wo für die öffentlichen Gelder überhaupt Verzinsung gefordert wird. Das ist zum Beispiel beim Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds, nach der Wohnbauförderung 1954 und nach den verschiedenen Landesfondsbestimmungen; nicht möglich wäre ein Entgegenkommen beim Wohnhaus-Wiederaufbaufonds, weil hier ohnehin schon nur Tilgung verlangt wird, und das auf einen Zeitraum von 75 Jahren.

Beachtlich ist auch noch die groteske Tatsache, daß vor 1914 trotz der Kleinwohnungen wesentlich mehr Kinder zur Welt kamen als zum Beispiel jetzt. Jede Wiener Familie hatte damals zwei und mehr Kinder. Daraus ist zu entnehmen, daß die Frage des Geburtenrückganges doch in erster Linie ein seelisches Problem ist und daß man mit der Schaffung von familiengerechten Wohnungen und Finanzhilfen allein dieses Problem nicht lösen kann Anerkannt muß aber werden, daß sich der allgemeine Lebensstandard gegenüber der Zeit vor dem ersten Weltkrieg entscheidend gehoben hat und daß mit eine der Voraussetzungen für eine Hebung der Geburtenfreudigkeit auch die Schaffung familiengerechter Wohnungen und eine wesentlich nachhaltigere Förderung der Kleinsiedlung als derzeit ist. Diesen Weg hat Westdeutschland gegen große Widerstände bereits beschritten. Nach einer deutschen statistischen Zählung kamen zum Be'ispiel von zehn Millionen neugebauten Wohnungen in der Bundesrepublik 87 Prozent auf private Eigentümer, 8 Prozent auf gemeinnützige Wohnungsunternehmungen und 5 Prozent auf die öffentliche Hand. Dem Bau von Eigenheimen ist ein bedeutend stärkeres Gewicht in Westdeutschland als bei uns verliehen worden. Im Jahre 195 5 waren zum Beispiel von 100 fertiggestellten Wohnungen 4 Kleinsiedlerstellen, 5 Einfamilienhäuser mit Garten und Stall, 3 5 sonstige Einfamilienhäuser und nur 56 Wohnungen in Mehrfamilienhäusern. Vieles ist seit 1945 am Wohnbausektor in Oesterreich geschehen. Mehr als je zuvor! Viel aber muß noch geschehen. Die Parole lautet daher: Wir bauen weiter!

27 Prozent, während sie in Wien nur 17 Prozent beträgt. Für die privaten Bauherren ergeben sich folgende markante Ziffern: im Burgenland

86 Prozent, in Kärnten 81 Prozent, in Oberösterreich 60 Prozent, in Salzburg 47 Prozent und in Wien 20 Prozent.

Zeigt schon dieses Bild, daß der Anteil der privaten Bauherren an dem jährlichen Neuzuwachs an Wohnungen mehralsdie Hälfte bis zu drei Viertel ausmacht, so darf nicht übersehen werden, daß auch bei den übrigen Bauten das private Kapital eine wesentliche Rolle spielt. So beim Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds, der jährlich etwa 3 50 Millionen Schilling dem öffentlichen Wohnungsbau zuführt, so daß noch ungefähr derselbe Betrag aus den Mitteln des Kapitalmarktes herbeizuschaffen ist, nachdem für die einzelne Wohneinheit nur etwa die Hälfte der notwendigen Baukosten zu den günstigen Bedingungen des Fonds gewährt werden kann.

Sosehr die Bestrebungen zu begrüßen sind, ähnlich dem neuen deutschen Wohnbaupesetz auch in Oesterreich die Schaffung von Eigenheimen besonders zu fördern und damit auch die Steigerung des freien Kapitals herbeizufüh-

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