6779541-1969_37_06.jpg
Digital In Arbeit

Immer unter dem Durchschnitt

Werbung
Werbung
Werbung

Für die Monate vor dem Wahlkampf haben die Parteien aus ihrem reichhaltigen Repertoire an Vorwahl- schlagem immer wieder einige hervorzuholen, die man bereits in den Lokalauseinandersetzungen der letzten Jahre gesehen und gehört hat. Zu den beliebtesten Hits zählt dabei immer wieder der Wohnungsbau. Die ÖVP warf den Sozialisten seit Jahren vor, eine marktwirtschaftliche Lösung auf dem Wohnbausektor nicht ermöglicht zu haben. Die SPÖ dagegen hielt der Volkspartei entgegen, sie sei eine Partei von „Zirusgeiem und Hausbesitzern”.

Daß der Wahlkampfschlager „Wohnungsbau” auch vor der nächsten Nationalratswahl nicht zu kurz kommen wird, zeigte sich schon in den letzten Monaten. Die ÖVP weiß zwar, daß das Wohnbauförderungsgesetz 1968 im großen und ganzen gesehen ein Teilerfolg war und daß erstmals eine Vereinheitlichung des Wohnungsbaues gelungen ist; die SPÖ hält dem entgegen, selbst die der ÖVP nahestehenden Bau Wirtschaftsfachleute seien miit dem Wohmbau- förderunigsgesetz 1968 seit Jahr und Tag un-zufrieden. Und so kamen die Sozialisten anfangs September mit einem neuen eigenen Wohnbauprogramm heraus.

Unabhängig von derartigen Querelen Innerhalb der österreichischen Wohnbaupolitik wurde vor wenigen Wochen von einer über diesem Parteistreit stehenden internationalen Stelle, nämlich der UNO und der ECE, das jährliche Bulletin für Wohnunigs- und Baustatistik in Europa herausgegeben, das nüchtern zeigt, wo Österreichs Wohnbau .tatsächlich steht.

In der Zahl unbedeutend

So wurden dm Jahre 1967 in ganz Europa zwar 6,569.000 Wohnungen fertiggestellt (vergleichsweise betrug in den USA die Zahl der iertigge- steillten Wohneinheiten 1,321.900), aber Österreich hat für diese Statistik im Jahre 1967 nur 51.000 fertiiggestellte Wohneinheiten aufzuweisem. Das ist nicht einmal ein Zehntel der in der deutschen Bundesrepublik erbauten Wohnungen, ungefähr ein Achtel des Wohnungsbaues in Frankreich und Großbritannien und zirka ein Viertel des italienischen Wohnungsbaues. Im Vergleich mit der Einwohnerzahl bleibt Österreich damit nach wie vor unter dem gesamteuropäischen Durchschnitt, wurden doch 1967 pro tausend Einwohner nur 7 Wohnungen fertiggestellt, gegenüber einem gesamteuropäischen Durchschnitt von 7,6 Wohnungen. Im europäischen Wohnbaukonizept blieb hierbei wieder Schweden, wo im Jahre 1967 Immerhin 12,7 Wohnungen je tausend Einwohner fertiggesitellt werden konnten, gefolgt von-den Niederlanden, die es auf 10,2 Wohnungen pro 1000 Einwohner brachten, an der Spitze.

Die Bundesrepublik — einst Spitzenreiter — hat noch immer 10 Wohnungen je 1000 Einwohner neu errichtet.

Anteil der Eigenheime zufriedenstellend

Die hohen Bau- und Grundkosten sind jedoch bei Ein- und Zweifamilienhäusern in Österreich rückläufig. Betrugen diese ja noch immerhin 50 Prozent der Gesamtkosten, so liegen sie gegenwärtig bei 36,2 Prozent, wobei allerdings Wohmiungsexperten nicht verheimlichen, daß der „Wasserkopf” Wien wesentlich zu diesem relativ schlechten Anteilergebnis des Eigenheimbaues in Österreich beiträgt. Auch die österreichischen Bausparkassen haben diesen Faktor erkannt und haben ihre Werbung verstärkt vom Eigenheimbau auf die Finanzierung von Eigentumswohnungen und Wohnbauten umgelenkt. Österreich liegt mit diesem Anteil jedenfalls noch weit hinter anderen Ländern.

So sind in Irland 81,6 Prozent der Neubauwohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern untergebracht, in Großbritannien 71,1 Prozent. Selbst in der benachbarten Bundes republik brachte man es noch auf einen Anteil von 45,7 Prozent, obwohl dort Städtebauexperten bereits von einer Verhüttelung der Landschaft sprechen.

Die größten Neubauwohnungen wurden im Jahre 1967 in Dänemark gebaut, wo mit 106,2 Quadratmetern Nutzfläche die familiengerechte Größe erreicht wurde. Es folgt Island mit 90,7, Norwegen mit 86, die Bundesrepublik Deutschland mit 81,9, Irland mit 81 und Schweden mit 79.5 Quadratmetern. Österreich hat mit einem Durchschnitt von 76 Quadratmetern Länder wie Frankreich und die Niederlande gegenüber den vergangenen Jahren überholt.

In der kleinsten Wohnung lebt nach wie vor der Russe. Die UdSSR weist ganze 44,5 Quadratmeter Durchschnitt auf. Dagegen mutet selbst die Wiener Wohnungsgröße mit 61 Quadratmetern wie eine Luxuswohnung an. Wien baut nach wie vor mit knapp mehr als 60 Quadratmetern im Durchschnitt.

Audi hinsichtlich der Anzahl der Räume der Wohneinheit nimmt man in Österreich nach wie vor einen Platz in der Mitte ein.

Gemeinnützige stark im Kommen

Die Aufgliederung nach der UNO- Statistik in bezug auf die Bauträger zeigt deutlich, daß in Vielen europäischen Ländern die gemeinnützige Wohnunigswirtschaft stark im Kommen ist. Hat sie in Österreich einen Anteil von 33,5 Prozent, so 1st dies immerhin der zweithöchste Anteil in ganz Europa. Vor Österreich liegt nur die CSSR miit 53,5 Prozent und die Bundesrepublik mit 53 Prozent; Frankreich hat mit 32,7 Prozent einen ähnlich hohen Anteil wie Österreich.

Der Gemieindewoihnbau ln Wien —1 nach wie vor eines der Dieblimgs- kinder der Sozialisten — hat eine ähnlich hohe Bedeutung für den österreichischem Wohnbau. In der deutschen Bundesrepublik dagegen entfielen im Jahre 1967 nur mehr 2,9 Prozent aller Wohnungen auf Gemeinden.

Der private Wohnungsbau ist — abgesehen von Cypem — 93,2 Prozent — am stärtesten dm Spanien mit 91,2 Prozent verbreitet, in der Schweiz mit 80,8 Prozent und in der Bundesrepublik Deutschland mit 74.1 Prozent. Auffallend hoch ist auch der An/teil der Privaten am Wohnbau in Jugoslawien mit 64.6 Prozent und in Rumänien mit 56,4 Prozent. Vergleichsweise sei hier erwähnt, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika 97,7 Prozent der Wohnb autätiigkeit in privater Hand lagen. In der „DDR”, wo der Staat immerhin einen Anteil von 63,8 Prozent am Wohnbau hat, ist dagegen der hohe Anteil der privat erbauten Wohnungen verwunderlich — wie auch in Ungarn mit 65,5 Prozent.

Österreich: mehr als 2,5 Millionen Wohnungen

Österreich hat eigentlich genug Wohnungen — dies stellt das UNO- und ECE-Bulletin für Wohnungsund Bauistatistik in Europa fest und widerspricht damit der SPÖ indireikt. Auf 1000 Einwohner entfallen in Österreich 349,4 Wohnungen. Insgesamt besitzen wir in Österreich

2,558.000 Wohnungen. Ein Vergleich mit der Bundesrepublik Deutschland mit 348,3 und mit der Schweiz mit 323.1 und mit Italien mit 319,3 läßt ersehen, daß Österreich hier wirklich an der europäischen Spitze liegt. In der Ausstattung hat Österreich in letzter Zeit wesentlich aufgeholt. So hatten 97,3 Prozent der 1967 fertig - gestellten Wohnungen bereits Fließwasser, 94,5 Prozent waren mit festem Bad oder Dusche versehen. Damit liegt Österreich merklich über dem europäischen Durchschnitt.

Allzu optimistisch darf man allerdings ob dieser Ziffern nicht sein Denn in vielen österreichischer] Wohnungen fehlt noch der westeuropäische Standard und vor allem sind diese gesamteuropäischen Ziffern zweifellos durch den Wohnunigs

standard und die Wohnungsqualität in den südlichen Ländern und dem Balkanländem herabgesetzt.

So meinen Wohnbaufachleute, wenn sie mit der benachbarten Bundesrepublik vergleichen,

• daß dort heute die Wohnungen mit einem Badezimmer mit zwei Waschtischen zur Selbstverständlichkeit werden,

• daß die Wohnungen in der deutschen Bundesrepublik und auch in den Beneluxstaaten in Ihren Grundrißlösungen wesentlich besser seien als österreichische vergleichbare Wohnungseinheiten,

• daß dort der Spannteppich bereits weitgehend zur Standardausstattung der Wohnung gehört.

Aber auch noch weitere vergleichbare Mängel, die vor allem das gesamte Verbauungskonzept immer wieder stören, wissen die Fachleute aufzuzählen. So fehlt ln vielen Wohnungen noch der bereits in die Wohneinheit eingeplante und errichtete Einbauschrank. Tiefgaragen bei Wohnblocken zur Unterbringung der Pkw der im Haus Wohnenden sind eine Seltenheit in Österreich und vor allem an der baulichen Substanz und der „großzügigen” städte- plamerischen Lösung unserer Wohnviertel wird von Architekten aus dem In- und Ausland schärfste Kritik geübt.

Gerade diese raumplaneriischem Voraussetzungen aber sind es, die für die Zukunft ein großzügiges und schönes Wohnen ermöglichen. Es muß verhindert werden, daß Wohnungen — wie es derzeit immer noch geschieht — im die Nähe von Indu- strieanlliagen kommen oder daß ganze Wohnanlagen neben einen Flugplatz gebaut werden, wodurch die Bewohner einer bereits gesundheitsschädi genden Lärmentwicklung ausgesetzt sind.

Kein Wunder also, daß angesichts solcher Fehlplanungen die For- schumgsigesellschaften für Wohnen, Bauen und Planen erst vor kurzem dazu aufrief, dem psychologischen Hintergrund des Wohnungsbaues ä wbisSjr ? iis – Jim mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. Ministerialrat Liepolt, Vorsitzender der Forschungsgesellschaft, meinte jedenfalls dazu, man müsse Sich auch in Österreich mit dem Thema Wohnung und Gesundheit befassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung