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Erste Erfolge der Wohnreform

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Wenn jemand eine Krankheit lange anstehen läßt und sich schließlich doch zu einer Operation entschließt, so darf er wohl kaum erwarten, daß er schon am Tag nach dem Eingriff schmerzfrei und kerngesund Bäume ausreißen kann. Es war daher auch vorauszusehen, daß mit dem Knall der Sektpfropfen zur letzten Jahreswende das Wohnungsproblem in Österreich trotz Inkrafttreten der „Wohnungsreform” nicht schlagartig gelöst war.

Was im Vorjahr über die parlamentarische Bühne ging und als „Große Wohnungsreform” bezeichnet wurde, waren die ersten system- verändemden Maßnahmen, die seit einem halben Jahrhundert auf dem österreichischen Wohnungssektor gesetzt wurden: Die Große Wohnungsreform. Sie besteht aus zwei Teilen: Der Wohnbauförderung 1968 und dem Mietrechtsänderungsgesetz.

Beide Gesetze zielen darauf ab, den ganzen Komplex aufzulockern, der höchst asoziale Züge aufwies. Die angestrebten essentiellen Änderungen können logischerweise nur langsam eintreten, und es kann sich dabei durchaus als notwendig erweisen, verschiedene Bestimmungen der beiden Gesetzeswerke zu novellieren.

Die Wohnungsfrage war schon seit der Behandlung im Parlament Gegenstand heftiger Parteienpolemik. Schließlich war es ja kein Zufall, daß diese Materie in der Koalition nicht gelöst werden konnte. Die Diskussion ging nach der Beschlußfassung und auch nach dem Inkrafttreten weiter. Sie erreichte einen paradoxen und — da aus Steuermitteln finanziert — höchst unerfreulichen Höhepunkt in dem Versuch der Gemeinde Wien und des Bautenministeriums, ein Streitgespräch auf der Plakatwand abzuführen. Der Wiener „Rat- hauSmann” rechnete vor, daß die anteilsmäßige Steuerleistung der Wiener höher sei als der Wiener Anteil an den Wohnbauförderungsmitteln. Dem hielt ein Großplakat des Bautenministeriums entgegen, daß Wien mehr Wohnbaumitteln bekäme, als der Bundeshauptstadt nach der Einwohnerzahl zustünde. Die Sache wurde kriminell, als das Ministeriumsplakat von Unbekannten überklebt wurde. Der Staatsanwalt ließ die Überklebungen beschlagnahmen.

Ungeachtet dieses Haders lassen sich auf Grund der verschiedenen Wohnungsgesetze einige erfreuliche Tatsachen registrieren. Vor allem die Mißbrauchbestimmungen, die schon zum Teil in der vorbereitenden Kleinen Wohnbaureform vom Jänner 1967 enthalten waren, hatten ein Absinken der Ablösen für Altwohnungen und der Preise für Neuwohnungen zur Folge.

Die Innung der Gebäudeverwalter führte im Februar und März dieses Jahres eine Umfrage durch, die ergab, daß die Ablösen um durchschnittlich 15 Prozent für Mietwohnungen gefallen sind.

Schon die vorjährige „Kleine Wohnungsreform” hatte dazu geführt, daß sich das Angebot an freien Mietwohnungen um etwa 20 Prozent erhöhte und die Ablösen um etwa 30 Prozent sanken. Bei den Wohnbaufonds haben sich die vorzeitigen Darlehensrückzahlungen verfünffacht, weiß der ÖVP-Pressedienst zu melden, weil niemand mehr als eine aus öffentlichen Mitteln geförderte Wohnung besitzen darf.

Die österreichische Hochschülerschaft wiederum berichtet in ihren Mitteilungen, daß der Durchschnittspreis bei Untermietzimmern gegenüber dem Vorjahr um 100 Schilling gefallen sei.

Meldungen aus dem Bereich der Bundeshauptstadt Wien bezeichnet die „Bau- und Bodenkorrespondenz” als „sagenhaft”. In der Aprilausgabe wird berichtet, daß 1967 17.818 Wohnungen fertiggestellt wurden — ein noch nie erreichter Rekord. So liege die Wohnbauleistung je 1000 Einwohner bei elf Wohnungen — und das ist höher als der europäische Durchschnitt. Wenn auch in den 17.818 Wohnungen Nachträge aus früheren Jahren enthalten sind, schmälert dies doch nicht die erfreulichen Steigerungen.

Immerhin: gab es nach der letzten Volkszählung in Wien noch weniger Wohnungen als Haushalte (etwa 18.000), so hat nunmehr die Zahl der Wohnungen die der Haushalte überflügelt. Bei nur ganz leicht steigender Einwohnerzahl in der Bundeshauptstadt wurden seit 1961 88.000 Wohnungen erbaut und nur 17.000 abgebrochen. Die Wiener Wohnbauförderung dürfte — zusammen mit den bundesgesetzlichen Maßnahmen — daher neue Rekorde bringen.

Psychologische Wirkungen

Der wesentlichste Erfolg aber ist das Umdenken in der Wohnungsfrage, wie es allenthalben festzustellen ist. Das „neue Wohnbaugefühl” findet in den von den Bundesländern zu erlassenden Durchführungsbestimmungen einen deutlichen Niederschlag. Sieben Bundesländer haben diese Bestimmungen schon beschlossen. Nur Burgenland, das durch die Landtagswahl gehandikapt war, und Kärnten sind noch Nachzügler.

Die Grundsätze der Wohnungsreform sind aber inzwischen allgemein anerkannt worden. Dazu zählen

• der Bau familiengerechter Wohnungen (beim Bundeswohn- und Siedlungsfonds betrug die durchschnittliche Wohnungsgröße 50 Quadratmeter und darunter),

• die Einheitlichkeit der Förderungsbedingungen (obwohl die Kriegsschäden längst beseitigt sind, gewährte der Besitz eines sogenannten Bombengrundstücks außerordentliche Vorteile, was die Grundstückpreise in die Höhe trieb),

• vor allem aber der Übergang von der Objektfördetung zur Subjekt- förderung (an Stelle der früher für den ledigen Generaldirektor und den Familienvater mit Durchschnittseinkommen gleichen Bedingungen tritt das Erfordernis einer sozial gerecht gestaffelten Eigenleistung, von der in besonders berücksichtigungswerten Fällen, etwa Jungfamilien, Abstand genommen wird).

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