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Absurde Baupläne

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„Bis zu drei Prozent könnte das Ansteigen des Lebenshaltungskostenindex toleriert werden“, erklärte der sozialistische Wirtschaftspolitiker und Nationalratsabgeordneter An-drösch auf die Frage eines interessierten Versammlungsteilnehmers, ob man das Ansteigen der Löhne und Lebenshaltungskosten nicht ganz stopen könne. Was Androgen mit 3 Prozent für die Lebenskosten als Toleranzgrenze erschien, wurde bei den Baukosten in Wien bereits vor Monatsfrist um das Doppelte überschritten.

Das Organ der Bundesinnung für Baugewerbe, die „österreichische Bäuzeitung“ gab in ihrer letzten Nummer bekannt, daß die Baukosten für den Wohnungsbau in Wien von Mitte Dezember bis zum neuen Indexstichtag,, den 15. Jänner 1970, um 6,15 Prozent gestiegen sind. Die Erhöhungen, die höchsten seit langem, setzten sich vor allem aus folgenden Faktoren zusammen:

• aus 4,65 Prozent für den Lohnausgleich,

• aus 0,20 Prozent für die Arbeitszeitverkürzung und schließlich

• aus 1,30 Prozent für die von Slavik eingeführte U-Bahn-Steuer. Schon immer waren die Lohnkosten für die Baukostenerhöhung der wesentlichste Faktor. Daher weist man in der Bundesinnung für Baugewerbe darauf hin, daß keineswegs die undisziplinierte Bauwirtschaft, die angeblich aus dem hohen Baubedarf ihren Nutzen zieht, für die starke Indexsteigerung verantwortlich zu machen ist, sondern daß vielmehr der Lohnkostenindex den Hauptanteil an der Steigerung habe. Die Statistik zeigt nämlich, daß zum Beispiel 1960 die Indexzahlen mit 1104 Punkten für den Lohn noch um mehr als 200 Punkte unter dem Gesamtindex lagen, während 1970 der Lohnindex den Gesamtbauindex um annähernd 200 Punkte überholt hat. Infolge dieser Entwicklung fürchtet man aber nunmehr, vor allem in der Wohnungswirtschaft, es könnten alle jene Bemühungen, die von den politischen Parteien für eine stärkere Aktivierung des Wohnbaues gemacht werden, ad absurdum geführt werden. Von ad-absurdum-führen spricht man auch in Kreisen der Wirtschaftsfachleute, wo man meint, gerade diese ständige Betonung aller politischen Parteien, es müsse mehr

und noch mehr gebaut werden, habe zu einer solchen inflationistischen Tendenz der Baupreise geführt.

Schwarze Zukunft

Während man noch vor wenigen Jahren angesichts des Quadratmeterpreises von 4000 Schilling für die Wohnfläche bei gemeinnützigen Bauvereinigungen von Traumziffern sprach und meinte, Wohnungen mit solchen Preisen könne sich keiner mehr leisten, wurden diese Ziffern inzwischen von der Realität weit üb er troffen.

• Mit Jänner 1970 wurde nämlich der Preis pro Quadratmeter Wohnfläche erstmals auf Grund der Indexziffern mit 5173 Schilling festgesetzt. Er hat damit sogar die Schallgrenze von 5000 Schilling durchstoßen.

• Die Preise je Quadratmeter Nutzfläche sind inzwischen mit 3397 Schilling bereits bedenklich nahe an die 4000-Schilling-Grenze herangekommen, ,

• der Kubikmeter umbauten Raumes kostet mit (15. Jänner 1970) 862 Schilling soviel, wie man noch vor wenigen Jahren für einen Luxus-bungalow in bester Ausstattung angenommen hatte.

Der Direktor einer gemeinnützigen Bauvereinigung meint dazu: „Bei diesen Preisen fragt man sich wirklich, wer die Wohnungen in Zukunft kaufen soll.“

Die enorme Baukostensteigerung allein im vergangenen Jahr — bis zum Jänner 1970 stieg die Indexziffer um 200 Punkte — brachte nämlich auch andere Probleme mit sich:

• man fürchtet, daß diese Steigerung, überdies die höchste, die es während eines Jahres gab, auch auf die anderen Lohnsektoren infizierend einwirken könnte (die Lohnkosten stiegen nämlich um fast 300 Punkt innerhalb der Jahresfrist),

• und man weiß heute schon, daß die legislativen Schritte im Wohn-bauförderungsgesetz 1968, und die Durchführungsverordnungen der Bundesländer dazu, von der Wirklichkeit überrollt wurden.

Von wahlkämpferischer Seite wandt man sich diesem Zahlenmaterial kaum zu, denn eine solche Preiserhöhung, wie auf dem Bausektor, konnte keine der Parteien in ihrer Propaganda brauchen.

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