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Drückende Schuldenlast und drohender Baustopp

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Wenn der Trend in der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der Gemeinde Wien auch in den nächsten Jahren so verläuft wie in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, dann wird Wien unweigerlich zur Pleitestadt Österreichs. Experten- Schätzungen zufolge wird der Investitionsspielraum der Gemeinde Wien nicht nur real, sondern auch nominell zurückgehen und bereits 1981 dürfte der jährliche Schuldendienst höher sein als der vermutliche Investitionsspielraum. Das heißt: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wann die Schuldenlast sämtliche kommunalpolitische Vorhaben erdrücken und in Luftschlösser umwandeln wird.

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Wenn der Trend in der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der Gemeinde Wien auch in den nächsten Jahren so verläuft wie in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, dann wird Wien unweigerlich zur Pleitestadt Österreichs. Experten- Schätzungen zufolge wird der Investitionsspielraum der Gemeinde Wien nicht nur real, sondern auch nominell zurückgehen und bereits 1981 dürfte der jährliche Schuldendienst höher sein als der vermutliche Investitionsspielraum. Das heißt: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wann die Schuldenlast sämtliche kommunalpolitische Vorhaben erdrücken und in Luftschlösser umwandeln wird.

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Der Finanzexperte der Wiener V olkspartei, Wirtschaftstreuhändel

Heinz Woher, prophezeit der Gemeinde Wien eine düstere Kommu- nal-Zukunft: „Der budgetäre Spielraum für Investitionen wird von 197-7 bis 1981 von 6,5 auf 5,5 Milliarden Schilling zurückfallen. Schon heuer wären Investitionen von mindestens 8,5 Milliarden Schilling erforderlich.“ Das Sparbudget der Gemeinde soll also bis 1981 noch spärlicher werden.

Hand in Hand mit dieser Entwicklung geht eine gigantische Vergrößerung der Gemeinde-Verschuldung einher: Allein im heurigen Jahr wird die Verschuldung laut Budgetvoranschlag um 5,3 Milliarden Schilling auf 23,5 Milliarden ansteigen. Damit erreicht die Gemeinde-Verschuldung bereits zwei Drittel des gesamten (bereinigten) Budgetvolumens in Höhe von etwa 34 Milliarden Schilling. Der jährliche Schuldendienst frißt sich mit einem durchschnittlichen Janreszu- wachs von 21,6 Prozent in die Brieftaschen der Steuerzahler. Noch 1970 betrug der Schuldendienst der Gemeinde Wien „s”chlichte“ 623 Millionen, bis 1981 wird er auf 5,4 Milliarden Schilling landen. ,

Ein leidiges Kapitel in der Wiener Kommunal Verwaltung ist die Überschreitung der projektierten Kosten für Gemeindebauten und kommunalpolitische Denkmäler: Die so oft strapazierte UNO-City kostet vermutlich um 779 Prozent mehr als ursprünglich geplant, das Schafbergbad war um 254 Prozent, das Stadthallenbad um 67 Prozent, die WIG-Oberlaa um 78 Prozent, die Per-Albin-Hanson-Siedlung um 108 Prozent und die Rudolfstiftung um 96 Prozent teurer, als es laut Planung vorgesehen war. Die Liste, an deren Spitze das Allgemeine Krankenhaus mit einer Baukostenstei erung von anfänglichen zwei oder drei Milliarden auf geschätzte 100 (!) Müliar- den einsam in Führung liegt, könnte noch beliebig lange fortgesetzt werden.

Die Wurzeln für das drohende Wiener Finanzdebakel liegen insbeson dere darin, daß die Renomiersucht als kommunalpolitische Untugend seit etwa zehn Jahren ganz groß in Mode ist: Daß mit der Mitte der sechziger Jahre etwa die Epoche der Wiener Denkmalbauten für Prestigezwecke erst so richtig eingesetzt hat, kann man aus der Entwicklung des Budgetvolumens mühelos ablesen. Noch 1968 betrug das Budgetvolumen laut Rechnungsabschluß 12,7 Müliarden, für 1977 haben die Wiener Gemeindeväter das gesamte Budgetvolumen auf die astronomische Höhe von 43,1 Müliarden (Ausgabenrahmen) hinaufgeschaukelt.

Nun droht Wien aber ein echter Baustopp: Die ins Wasser gefallene Reichsbrücke und die völlig desolate Floridsdorfer Brücke haben dazu beigetragen, daß die Situation noch kritischer wird. Der beschwichtigenden Aussage von Finanzstadtrat Hans Mayr, auch die Floridsdorfer Brücke sei noch finanzierbar, hält Heinz Woher mißtrauisch entgegen: „Natürlich wird man die Brücke auch noch finanzieren können. Aber auf Kosten des Wohnhaus, der UNO-City, der Hochwasserschutzbauten oder der U-Bahn. Man hat halt in der Gemeinde Wien viel zuviel auf einmal begonnen.“ Schon heute sei es soweit, daß in einigen Neubaugebieten keine Schulen mehr errichtet werden können, obwohl sie dringend gebraucht würden, und daß gewisse sanitäre Maßnahmen in einzelnen Krankenhäusern nicht mehr durchgeführt werden können. Die negativen Multiplikatorwirkungen einer stagnierenden, ja reduzierten Bauwirtschaft auf die gesamte Wirtschaftslage im Raum Wien sind gar nicht auszudenken.

,Au£ der Einnahmensgite bleibt die (gemeinde Wien auch . in Hinkunft permanent hinter den Ausgabenzuwächsen zurücki-Dj©’-Landes- und Gemeindeabgaben werden in den nächsten Jahren um durchschnittlich 6,8 Prozent, die Ertragsanteüe, die Wien über den Finanzausgleich zufließen, um neun Prozent im Schnitt wachsen. Auf der Ausgabenseite kann aber weiterhin mit etwa zehnprozentigen Steigerungen gerechnet werden - schon allein auf Grund der Tatsache, daß das Budget durch steigende Personalkosten und zunehmenden Sachaufwand in einem eisernen Korsett steckt.

Während die Bevölkerung von Wien abnimmt, verzeichnet die Beamtenschar im Rathaus einen jährlichen Zuwachs von durchschnittlich rund 2,3 Prozent. Bis 1981 wird es wieder um 3681 Gemeindebedienstete mehr geben, davon entfällt aber nur rund ein Drittel auf medizinische oder soziale Berufe. Heinz Wöber zieht einen krassen Vergleich: „Die Zahl der Wiener Gemeindebediensteten wächst in der gleichen Geschwindigkeit wie die Bevölkerung Indiens.“ Aber Zahlen bleiben vorerst ohne Wirkung. Müliar- dendefizite, Bauring-Skandale und Brückeneinstürze werden der Volkspartei, die unter Erhard Busek sicherlich einen deutlichen Sympathiezuwachs bereits verzeichnen konnte, auch keinen Wahlsieg in den Schoß fallen lassen. Denn das Beispiel New Yorks hat ja gezeigt, daß ähnliche Probleme erst dann unter die Haut gehen, wenn die Müllabfuhr nicht mehr kommt und wenn die Gehälter der Gemeindeangestellten nicht mehr ausgezahlt werden können.

Der nächste kommunalpolitische Tiefschlag wird übrigens nicht lange auf sich warten lassen: die Betriebskosten der Stadthalle. Im letzten Sommer war für das Spektakel „Candide“ ein Abgang von 150.000 Schüling geplant. Tatsächlich betrug das Defizit 2,5 Mülionen. Das Defizit war also fast 20mal größer als geplant. Nun ist das Gesamtdefizit für die nächsten fünf Jahre mit 190 Mülionen Schilling veranschlagt. Sollte sich auch diese Berechnung in ähnlichem Ausmaß auf- blähen wie beim Candide-Spektakel, dann fehlen wieder Gemeindegelder in der Größenordnung von ein paar Floridsdorfer Brücken …

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