6782883-1969_51_04.jpg
Digital In Arbeit

Wiens Anti-Konjunktur

19451960198020002020

Die derzeit in Gang befindliche Wiener Budgetdebatte scheint um ein Thema bereichert worden zu sein, das man bisher eher nicht berühren wollte: Die konjunkturpolitische Relevanz von Landes- und Gemeindebudgets. Zum erstenmal fand ein Gemeinderat, der ÖVP-Wirtschaftsbündler und Gastwirt Josef Fröhlich, in einer Generaldebattenrede den Mut, die Geldreservenpolitik der Stadt Wien als volkswirtschaftliches Kuriosum zu kritisieren und der sozialistisch gelenkten städtischen Finanzpolitik offen Konjunkturfeindlichkeit vorzuwerfen.

19451960198020002020

Die derzeit in Gang befindliche Wiener Budgetdebatte scheint um ein Thema bereichert worden zu sein, das man bisher eher nicht berühren wollte: Die konjunkturpolitische Relevanz von Landes- und Gemeindebudgets. Zum erstenmal fand ein Gemeinderat, der ÖVP-Wirtschaftsbündler und Gastwirt Josef Fröhlich, in einer Generaldebattenrede den Mut, die Geldreservenpolitik der Stadt Wien als volkswirtschaftliches Kuriosum zu kritisieren und der sozialistisch gelenkten städtischen Finanzpolitik offen Konjunkturfeindlichkeit vorzuwerfen.

Werbung
Werbung
Werbung

„Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“; dieses Sprichwort hat auch volkswirtschaftlich eine gewisse Berechtigung, Nämlich: In der Zeit der aufblüh enden Wirtschaft die Staats- ausgaben zu bremsen, um Überhitzungen zu vermeiden, jedoch in der Zeit der Wirtschaftsflaute Geld in die Betriebe zu pumpen, um den Kreislauf ziu beleben.

Mit einem Budget der Stadt Wien von mehr als 15 Milliarden und dem der Wiener Staidtwerke von fast 6 Milliarden ist die Bundeshauptstadt der Zweitgrößte Wirtschaftsfaktor in Österreich und daher nach dem Staat auch konjunkturpolitisch durchaus ernst zu nehmen. In Wien sind aber die Geldreserven, die sogenannte „Rathaus-Milliarde“, zu einem Fetisch „vernünftiger“ Haushaltsführung geworden, der seine Wirkung allerdings nur noch so lange tun kann, als das durchschnittliche Niveau des Einblicks in volkswirtschaftliche Vorgänge unverändert bleibt.

„Die Rathaus-Milliarde ersparte tausenden Wienern den blauen Brief", schrieb eine ' sozialistische Wiener Zeitung während der österreichischen Wirtschaftsflaute des Jahres 1967. Was geschah in diesem Jahr aber tatsächlich mit der „Rat-

haus-Milliarde“? Sie hatte Ende

1966 rund 950 Millionen Schilling betragen. Statt aber zur Belebung der Wirtschaft wenigstens einen Teil dieser Reserven zu mobilisieren, zog der städtische Pinanzreferent weiter Geld aus der Wirtschaft, so daß die städtischen Rücklagen am Jahresende 1967 mehr als 1053 Millionen betrugen und damit ausgerechnet in der konjunkturellen Baisse den Höchststand seit Kriegsende erreichten.

Abstieg in der Flaute

In diesem Jahr, also 1967, hatte Wien mit einem konjunkturpolitisch gerechtfertigten Budgetdefizdt von rund 403 Millionen Schilling gerechnet. Nur dem mangelnden volkswirtschaftlichen Verständnis breiter Schichten der Bevölkerung ist es zuzuschreiben, daß der Finanzstadtrat ein Eigenlob riskierte, als statt des Defizits am Jahresende eiin Gewinn von mehr als 27 Millionen herauskam.

Ähnliches ereignete sich im „Wiederbelebungsjahr“ 1968, als man man mit einem Budgetdefizit von 275 Millionen rechnete, mit einem Gewinn von 32 Millionen abschloß und dabei die „Rathaus-Milliarde“ neuerlich aufstockte, nämlich auf fast 1377 Millionen Schilling.

Daran können auch die gefeierten „zusätzlichen Investitionsprogramme“ der Stadt Wien während der Jahre 1967 und 1968 in Höhe von knapp 500 Millionen Schilling nichts ändern, da diese Budgetüb,erschrei- tungen weit unter den alljährlich üblichen lagen, allerdings nicht erst nachträglich vom Gemeinderat genehmigt, sondern im voraus beschlossen wurden, was eigentlich der Normalfall sein sollte.

Diese konjunkturpolitische Abstinenz der Gemeinde Wien während der Wirtschaftsflaute berechtigt zu der Frage, was nun im Konjunkturjahr 1970 geschehen soll. Und man möchte es nicht glauben: Neben einem demonstrativen Budgetdeflzit, das der Haushaltsplan ausweist, soll der Gesamtaufwand für das Bau- und Baunebengewerbe, also das Barometer der Konjunktur, auf 5444 Millionen Schilling erhöht werden (Vorjahr: 4530 Millionen), so daß der Budgetanteil von 38,9 auf 41,2 Prozent der bereinigten Gesamtausgaben steigt.

Dieser totale Verzicht auf eine antizyklische Budgetpolitik kann in der Theorie nicht gut ausgehen. Auch die Praxis zeigt die Schattenseiten: Wien lag mit den Betriebsneugründungen und den Industrieinvestitio- nen laut „Bundesländervergleich 1969“ der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft in den beiden letzten Jahren am Ende, hingegen mit den Betriebssperren an der Spitze der österreichischen Statistik. Die Zahl der Arbeitskräfte und der Arbeitsplätze wair aiuch in der Flaute im übrigen Österreich halbwegs stabil, in Wien jedoch stark rückläufig.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung