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Als ein Säckelwart noch auf die Pauke schlug .. .

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Ein Thema beherrschte die Koalitionsverhandlungen: Die Sanierung des Budgets. Grund genug, auf die Sorgen und Nöte früherer österreichischer Finanzminister zu schauen.

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Ein Thema beherrschte die Koalitionsverhandlungen: Die Sanierung des Budgets. Grund genug, auf die Sorgen und Nöte früherer österreichischer Finanzminister zu schauen.

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Vor knapp 30 Jahren, im Jahr 1958, wurden die Österreicher mit einem Rekordbudgetdefizit geschockt. Eine schlechte Konjunktur — das nominelle Wirtschaftswachstum hatte sich von zweistelligen Wachstumsraten auf unter vier Prozent vermindert — und eine bewußt darauf reagierende antizyklische Budgetpolitik ließen das Defizit auf 5,5 Milliarden Schilling oder vier Prozent des Brutto-Inlandsproduktes (BIP) eskalieren. (Zum Vergleich: 1975 schnellte als Folge des ersten öl-preisschocks das Defizit auf knapp 30 Milliarden oder 4,5 Prozent des BIP.)

Beide Defizitsprünge wurden also durch einen — von den Wirtschaftsforschern nicht vorhergesehenen — Konjunkturrückschlag ausgelöst. In beiden Fällen waren ein Jahr zuvor sowohl das Defizit

als auch die Staatsverschuldung gering, eine Gegensteuerung daher möglich. So wurden nicht nur weniger Einnahmen und mehr Ausgaben akzeptiert, sondern zusätzliche Konjunkturimpulse waren möglich.

Sowohl Ende der fünfziger als auch Mitte der siebziger Jahre dominierte die Hoffnung auf Konjunkturerholung mit hohen Wachstumsraten und damit, die Erwar-! tung, das Budgetdefizit wieder problemlos reduzierenzu können.

Der ebenfalls, konjunkturbedingte Anstieg des Budgetdefiziti 1967 auf 1,9 Prozent des BIP nimmt sich heute mehr als bescheiden aus, sorgte aber damals für heftige Kritik und endete 1969 mit dem bekannten „Koren'schen Paukenschlag“. Stephan Koren bescherte den Steuerzahlern befristete Zuschläge zur Einkommensteuer, Körperschafts- und Vermögenssteuer sowie Sondersteuern auf Alkoholika und Personenkraftwagen. Heute können Finanzminister und Budgetexperten von einem 1,9 Prozent-Defizit nur mehr träumen.

Ende der fünfziger Jahre und auch in den späten sechziger Jahren galt das Ziel, ein Netto-Def izit überhaupt zu vermeiden, das heißt, das Budgetdefizit auf die Höhe der Schuldentilgungen zu beschränken. Dies bedeutete, daß sich Neuverschuldung und Schuldenrückzahlung die Waage halten sollen.

Reinhard Karnitz — verantwortlich für das bereits erwähnte Budget 1958 — gelang es nicht mehr, dieses Ziel zu verwirklichen, wohl aber seinem Nachfolger Eduard Heilingsetzer, der sein Budget 1961 sogar mit einem seither nie mehr erreichten Netto-Uber-schuß abschloß.

In den siebziger Jahren war eine Eliminierung des Netto-Defizits kein Diskussionspunkt mehr. Der neue Punkt, vom damaligen Finanzminister Hannes Androsch anvisiert und als „Seidelformel“ bekannt geworden, war ein Defizit in der Größenordnung von 2,5 Prozent des Brutto-Inlandsproduktes.

Konnten die Ziele der späten fünfziger Jahre dank hoher Wachstumsraten auch tatsächlich innerhalb von drei Jahren verwirklicht werden, so dauerte es sechs Jahre, nämlich bis 1981, um diese 1975 erklärte Absicht zu verwirklichen.

Übrigens betrug damals auch in der Bundesrepublik Deutschland das Defizit 2,5 Prozent. Seither haben sich die Budgetsalden der beiden Länder erheblich ausein-

anderentwickelt. Denn schon 1983 erregten sich die Gemüter in Österreich über das größte Defizit seit Jahrzehnten, nämlich 5,6 Prozent des BIP. Und zwar ohne daß ein überraschender Konjunktureinbruch dafür verantwortlich gemacht werden konnte.

Seither ist die Defizitquote nicht mehr unter vier Prozent gefallen. Im Gegenteil, sie hatte zuletzt wieder steigende Tendenz.

Soll das Budgetdefizit, wie das die neue Regierung anstrebt, bis Ende des Jahrzehnts unter die Drei-Prozent-Grenze gedrückt werden, bedeutet dies schmerzhafte Einschnitte. Im Unterschied zur Vergangenheit haben nämlich verschiedene Ausgabekategorien, wie der Zinsendienst für die Staatsschuld und die Zuschüsse zur Pensionsversicherung, eine Dynamik entwickelt, die weit über das gesamtwirtschaftliche Wachstum hinausgehen, während

die Einnahmen bestenfalls gleich schnell wie die Gesamtwirtschaft wachsen. In einigen Bereichen ist sogar eine Rücknahme der Steuern notwendig, wie die eben beschlossene Abschaffung der Luxusmehrwertsteuer für verschiedene Produkte beweist.

Die Geschichte der Bundesbudgets im letzten Vierteljahrhundert ist eine Geschichte weitgehend mißglückter Versuche, bei den Ausgaben zu sparen.

1963 rühmte sich der damalige Finanzminister Franz Korinek, erstmals seit 1945 den Ausgabenrahmen eingehalten zu haben. Ein Erfolg, den nur mehr drei Minister viermal wiederholen konnten; 1965 Wolfgang Schmitz, 1969 Stephan Koren und 1977 und 1979 Hannes Androsch.

Dafür wurde damals aber auch von der Möglichkeit, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen oder neue Abgaben einzuführen, reichlich Gebrauch gemacht. Das bereits erwähnte Budget des Jahres 1961, das ausnahmsweise eine Verminderung der Staatsschuld ermöglichte.

war von einigen neuen Steuern und Tariferhöhungen begleitet. 1963 gab es Steuererhöhungen und ein „Nötopfer“ der Länder und Gemeinden für den Bund. 1966 wurden die Tarife erhöht, 1967 zahlreiche Gebühren, 1968 die Umsatzsteuer, und 1969 kam der erwähnte „Paukenschlag“. Gleichzeitig kamen in regelmä-

„Aus den Budgetreden der sechziger Jahre ist vieles aktuell“

ßigen Abständen Tarifkorrekturen bei der Lohn- und Einkommensteuer, um inflationsbedingte Progressionswirkungen zu mildern. Echte Steuersenkungen waren selten, bekannt sind jene von Finanzminister Reinhard Karnitz in den fünfziger Jahren und jene von Wolfgang Schmitz 1967.

Blättert man die Budgetreden der sechziger Jahre durch, klingt uns heute vieles wohlbekannt. Uberraschend ist aber der immer wiederkehrende Hinweis, daß eine Netto-Beanspruchung des Kapitalmarktes durch den Bund, also eine die Tilgungen überschreitende Mittelaufnahme den Kapitalmarkt überfordern würde.

Immerhin: die Verdrängung der

„Schon 1966 galt die Verstaatlichte als Faß ohne Boden“

privaten Kreditnachfrage durch die öffentliche gab es bereits in den sechziger Jahren.

In der Rede von Finanzminister Franz Korinek findet sich auch erstmals ein Hinweis auf die Grenzen der Belastungsfähigkeit: „Gewiß ist es nicht möglich, eine genaue Grenze anzugeben, bis zu der eine Volkswirtschaft durch Abgaben belastet werden kann. Es steht aber fest, daß nach Uber-schreitung eines bestimmten

Grenzbereiches der angestrebte Effekt, nämlich die Erzielung von Mehreinnahmen für den Staat, ins Gegenteil umschlägt...“

Bemerkenswert aktuell auch die Aussage von Finanzminister Schmitz in der Budgetrede 1966 über die verstaatlichten Betriebe:

„Starke Wachstumsreserven befinden sich vor allem im Bereich der öffentlichen und verstaatlichten Betriebe. Hier sind in defizitären Unternehmen Arbeitskräfte und Kapital unproduktiv eingesetzt. Der Einsatz von Budgetmitteln, die als Subventionen ohne Verpflichtungen zu Rationalisierungsmaßnahmen vergeben werden, heißt Steuergelder in ein Faß ohne Boden zu gießen. Solche Subventionen verhindern Strukturanpassungen, anstatt sie zu erleichtern. Hier wird der Bund in Zukunft nur mehr subsidiär eingreifen dürfen, um Anpassungen zu erleichtern, die aufgrund

eines Sanierungskonzeptes erfolgen und den Ertrag der Betriebe in absehbarer Zeit sicherstellen“.

Wolf gang Schmitz war es übrigens auch, der sich des Instrumentes einer mittelfristigen Budgetvorschau bediente, eine Vorgangsweise, die inzwischen sogar gesetzlich verankert ist.

Durch die meisten Budgetreden der sechziger Jahre ziehen sich wie ein roter Faden die Klagen über die geringe Flexibilität des Staatshaushaltes und den hohen Anteil gesetzlich fixierter Ausgaben.

So sagte Josef Klaus in seiner Rede 1962:

„Man kann davon ausgehen, daß nur knapp zehn Prozent des Bundeshaushaltes für Konjunkturpolitik und Budgetpolitik zur Verfügung stehen. Die Tendenz, Ermessensausgaben zu gesetzlichen Verpflichtungen zu machen, hält also an. Sie ist vom Standpunkt der Finanzpolitik nicht erwünscht, weil so die ganze Beweglichkeit der Haushaltsgebarung verlorengeht“.

Was läßt sich aus diesem im-

pressionistischen. Rückblick auf die Budgetpolitik der Vergangenheit ableiten? In den späten fünfziger und sechziger Jahren waren die Defizite überwiegend konjunkturbedingt. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre kam eine strukturelle Komponente dazu, die heute das Budgetdefizit dominiert. Dementsprechend haben sich die Zielgrößen der Wirtschaftspolitik, vor allem aber auch die Instrumente zu ihrer Erreichung, verändert.

Bis in die siebziger Jahre hinein war ein ausgeglichenes Budget oberstes Ziel. Daraus wurde die Vorstellung eines längerfristig tragbaren Defizits.

Immer war es aber auch hehres Ziel der jeweiligen Finanzminister, Defizite durch Ausgabeneinsparungen abzubauen. In der Praxis aber dominierten Einnahmenerhöhungen.

In dieser Beziehung mag sich die Situation geändert haben. Zwar sollte sich niemand der Illusion hingeben, daß eine Budgetsanierung ohne, wie es so schön heißt, die Erschließung neuer Einnahmen erreichbar ist, aber gleichzeitig ist auch unbestritten, daß eine Budgetsanierung nicht mehr ausschließlich oder auch nur überwiegend durch höhere

Einnahmen möglich ist. Ja selbst Sparsamkeit bei den Ausgaben im traditionellen Sinn ist nicht mehr ausreichend. Vielmehr bedarf es wirklich grundlegender Änderungen bei der Wirtschaftspolitik gegenüber der verstaatlichten Industrie, dem Agrarsy-stem, den Sozialleistungen usw.

Soll also das Defizit auf ein tragbares Ausmaß zurückgeführt werden und die Budgetpolitik wieder als ein aktives Steuerungsinstrument einsetzbar gemacht werden, müssen diese Änderungen schleunigst anlaufen.

In diesem Sinne gewinnt das Wort von Reinhard Karnitz vor dem Nationalrat am 28. Oktober 1959 neue Bedeutung: „So gesehen bildet der Voranschlag nicht nur ein Reehenexempel und eine Zusammenstellung lebloser Ziffern, sondern bedeutet ein lebensbestimmendes Ereignis für alle Menschen dieses Landes“.

Der Autor ist Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Creditanstalt-Bankver-ein in Wien.

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