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Plädoyer für eine Pause

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Mit ihren Kreditbeschaffungspraktiken zur kurzfristigen Finanzierung der Budgetlöcher operierte das Finanzministerium schon Ende 1974 am Rande der Möglichkeit; mit seiner Budgetpolitik ist es spätestens seit Frühjahr 1975 am Rande eines tiefen Abgrunds angelangt, von dem kein Weg zurückweist. Angesichts eines für das laufende Jahr möglichen Budgetdefizits in Höhe von etwa 38 Mrd. Schilling und einer Staatsverschuldung in Höhe von rund 90 Mrd. Schilling scheinen Gratwanderungen über diesen Abgrund eher unwahrscheinlich, wenn der Budgetkurs für die nächste Zukunft nicht grundlegend geändert wird.

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Mit ihren Kreditbeschaffungspraktiken zur kurzfristigen Finanzierung der Budgetlöcher operierte das Finanzministerium schon Ende 1974 am Rande der Möglichkeit; mit seiner Budgetpolitik ist es spätestens seit Frühjahr 1975 am Rande eines tiefen Abgrunds angelangt, von dem kein Weg zurückweist. Angesichts eines für das laufende Jahr möglichen Budgetdefizits in Höhe von etwa 38 Mrd. Schilling und einer Staatsverschuldung in Höhe von rund 90 Mrd. Schilling scheinen Gratwanderungen über diesen Abgrund eher unwahrscheinlich, wenn der Budgetkurs für die nächste Zukunft nicht grundlegend geändert wird.

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Die große Misere der österreichischen Staatshaushaltspolitik setzte mit dem Budget für das Jahr 1972 ein und erreichte mit dem Budget 1973 ihren Höhepunkt. In einer Periode der überhitzten Konjunktur schöpfte der Bund aus dem Vollen und ließ keine Möglichkeit ungenützt, das nominelle Wachstum des Sozialprodukts über das Bundesbudget zu alimentieren. Weder auf der Einnahmen- noch auf der Ausgabenseite. Rückblickend weiß man, daß die Maßnahmen zur Senkung der Lohn- und Einkommensteuer prozyklisch angesetzt waren und damit zur inflationistischen Preisentwicklung entscheidend beitrugen. Erst recht falsch terminisiert war die Einführung der Mehrwertsteuer mit Beginn 1973, die zu Steuerausfällen in Höhe von rund 13 Milliarden Schilling führten. Schließlich aber trug die Ausgabenpolitik des Bundes alles dazu bei, die aus konjunkturellen Gründen verfehlte Steuerpolitik zu unterstützen. Die Neueinstellung von Bundesbeamten ebenso wie die nur limitiert wachstumswirksame Explosion der Transferzahlungen (Heiratsbeihilfe, Geburtenbeihilfe, Gratisschulbuch, Gratisschulfahrt) mußte in ein Chaos der Staatsfinanzen führen, dessen Ausmaß erst jetzt, in einer längeren Rezessions-Phase, voll bewußt wurde. Der Spielraum für eine in der Rezession wirksame Budgetpolitik ist viel zu eng geworden. Zusätzliche Budgetausgaben-Impulse stoßen angesichts der Schulden-Situation des Bundes auf erhebliche, wenn nicht sogar unüberwindliche Schwierigkeiten.

Der Bundesvoranschlag für das laufende Jahr war von der Konzeption her sowohl auf der Einnahmen-als auch auf der Ausgabenseite falsch konzipiert. Schon ein knappe« Monat nach der Budgetrede von Finanzminister Androsch mußte klar sein, daß sein Soll-Budget von den Erwartungen her zu hoch angelegt war. Das Wirtschaftsforschungsinstitut revidierte seine günstige September-1974-Wachstumsprognose (4,5 Prozent Zuwachs) auf 2,5 Prozent und tendiert heute dazu, ein Schrumpfen des Sozialproduktes bis zu zwei Prozent für das Jahr 1975 anzunehmen. Das sicherlich nicht optimale Haushaltsrecht hätte es Finanzminister Androsch noch erlaubt, seinen Budgetkurs auf die geänderte Konjunktursituation einzurichten. Sein Versäumnis liegt darin, unberührt von den Wechselfällen konjunktureller Entwicklungen, am alten Konzept festgehalten zu haben. Es ist anzunehmen, daß die Budgetpolitik des Bundes an diesem Versäumnis die nächsten Jahre — wahrscheinlich die ganze Legislaturperiode des nächsten Nationalrates (1975 bia 1979) — wird laborieren müssen. /

Über die Konzeption des Bundesbudgets für das Jahr 1978 liegen zur Zeit nur so viele Informationen vor, daß man daraus erkennen muß, daß der Finanzminister die völlig geänderten Bedingungen nur bedingt anerkennen will. „Mut zum Schuldenmachen“ ist das Leitmotiv einer Bundesregierung, die sich über das Bundesbudget Freunde bei allen Wählergruppen verschaffen möchte. Eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 16 auf 18 Prozent soll signalisieren, daß — und das ist nun wirklich paradox — die „Weichen“ für einen „harten Kurs“ gestellt werden. Aber soll daraus nur eine

Reihe zusätzlicher Anforderungen an das Bundesbudget finanziert werden?

Expansive Budgetpolitik zählt nun einmal zum Wesenszug von Regierungen, die nur von knapp mehr als der Hälfte der Wähler zum Regieren ermächtigt wurden, aber aus Gründen der Basisverbreiterung stets nach einem Wählerplus weit über die Hälfte hinaus schielen (müssen). Puritanische Finanzminister müßten in solchen Situationen immer recht bald das Handtuch werfen, Finanzminister, die überdies für höhere Parteipositionen ausersehen sind, stehen dagegen unter dem Zwang, es den entscheidenden Partei- und Wählerkreisen recht machen müssen.

Niemand wird von der österreichischen Budgetpolitik erwarten dürfen, prompt und unnachgiebig auf einen extrem restriktiven Budgetkurs umzuschalten. Bundesdeutsche Vorbilder sind tatsächlich nicht ohne weiteres auf die österreichische Praxis umzusetzen. Dagegen wird man erwarten dürfen, daß in einigen Ausgabenbereichen (Personal, Subventionen für den privaten Konsum, Transferzahlungen usw.) Pause gemacht wird; eine Pause, die Kraft für die nächsten Budgetjahre pumpen läßt. Da man ähnliches auch von den Beschäftigten in der privaten Wirtschaft verlangt, sollte diese Forderung nicht zu hochgegriffen sein.

Budgetprogramme sind in Zahlen gegossene Regierungsprogramme. Jede Alleinregierung wäre in einem Wohlfahrtsstaat überfordert, das auf sich allein gestellt auch durchzusetzen. Ihr Kredit, gerade in den eigenen Reihen, wäre dahin. Zusammenarbeit in der Budgetpolitik würde heißen, unpopuläre Maßnahmen so zu verteilen, daß sich keine Gruppe überfordert und keine Wählergruppe benachteiligt fühlt.

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