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Kulturnotstand wie nie zuvor

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„Es ist völlig ausgeschlossen, Defizite in der Größenordnung von 16 Milliarden Schilling in den beiden nächsten Jahren zu finanzieren.”

So beginnt im „Koren-Plan” der Abschnitt „Grundsätze zum Budget 1969.”

Und obwohl jeder Einsichtige weiß, daß Opfer gebracht werden müssen, wenn der Staat nicht durch eine verfehlte Budgetpolitik Arbeitsplätze und die Sicherheit des Eigentums gefährden will, sagt noch niemand, wo die Einsparungslawine am schwersten treffen wird.

Es ist bekannt, was die Ursachen des „Budgetloches” von 16 Milliarden sind: infolge Abschwächung der internationalen Konjunktur ‘ und infolge übernommener gesetzlicher Verpflichtungen können die Einnahmen nur durch Steuererhöhungen vermehrt und die Ausgaben nur durch rigorose Einsparungen vermindert werden.

So sagt Finanzminister Professor Koren über die Grundsätze des Budgets 1969 und 1970: „Die Tendenz des überdurchschnittlichen Anwachsens jener Staatsausgaben, die nicht in den Investitionsbereich fallen, muß abgeschwächt und der voraussichtlichen längerfristigen Wachstumsrate des Sozialprodukts angepaßt werden.”

Nicht dem Rotstift des Finanzministers verfallen also:

• Alle Ausgaben, die gesetzliche Verpflichtungen darstellen oder sich aus den Aufgaben des Staates ergeben, also Gehälter, der Sozialaufwand, die Finanzschuld, die Wohnbauförderung, die laufenden Ausgaben für Justiz, für die diplomatischen Vertretungen oder für die Exekutive.

• Ausgaben, die als Investition eine Wachstumswirkung für die Volkswirtschaft besitzen, also etwa Aufträge an die heimische Industrie, auf dem Bausektor, für die Rüstung oder den Bahnbetrieb sowie Investitionen im Bereich der verstaatlichten Industrie.

So reduzieren sich die Möglichkeiten der Einsparungen auf sehr wenige Bereiche: der wichtigste von ihnen: das Unterrichtsressort.

Es droht in der gegenwärtigen Situation ein Aderlaß in einem Ausmaß, wie wir ihn seit 1945 noch nicht erlebt haben. Das Kulturbudget, das in den letzten Jahren eine erfreuliche prozentuelle Steigerung an den Gesamtausgaben des Staates erfuhr, soll wie nie zuvor den Preis der Sanierung der Wirtschaft zu tragen haben.

Und da infolge der Schulgesetze ein gesetzlich fixierter Mehraufwand von 1,6 Milliarden Schilling für das Unterrichtsressort geschätzt wird, engt sich der drohende Aderlaß auf die „engeren” Kulturbereiche ein: auf Bundestheater, auf Kunstförderung, Subventionierung der Kulturinstitutionen, auf Kulturinstitute und Nachwuchsförderung.

Unmittelbar nach 1945 appellierten Österreichs politische Spitzen beider Parteien an das Verständnis, Brot sei wichtiger als Spiele, und setzten nur bescheidenste Ansätze für das Kulturbudget in den Staatsvoranschlag ein. Sitaatsoper und Burgtheater, die 1955 eröffnet wurden, wären wahrscheinlich erst erheblich später fertiggeworden, hätte es sich nicht darum gehandelt, durch geförderte Bauvorhaben die Vollbeschäftigung zu erreichen. Willig und freudig nahmen zwar alle Finanzminister seither Geld aus den Eingängen des Fremdenverkehrs, der aus dem unsichtbaren Fundus eines österreichischen Kultur-Image entstanden ist, waren aber nur unter dem Druck der Öffentlichkeit bereit, mehr für das Kulturressort zu tun. Freilich erklärte schon 1958 Julius Raab, nach der Phase des Wiederaufbaues habe nun Kultur und Bildung Vorrang, aber streikende Hochschüler, protestierende Künstler und Wissenschaftler waren in den Zeiten erstarrender Koalition Alltag. Vor allem die Regierungsmitglieder der SPÖ setzten jeder Forderung eines „schwarzen” Untenrichtsministers ein notorisches und kategorisches „Njet” entgegen.

Nun aber traf — nach guten Ansätzen durch Finanzminister Doktor Schmitz — die Alleinregierung der Volkspartei die Brandung internationaler Wirtschaftskrise — und der Rotstift soll im Palais am Mino- ritenplatz zum wichtigsten Utensil werden.

Noch herrscht im Unterrichtsministerium Ruhe vor dem Sturm: aber jeder weiß, was die nächsten Wochen und Monate bringen werden. Rigoroseste Maßnahmen sollen dem österreichischen Kulturleben schwerste, ja bitterste Beschränkungen auf erlegen. Es droht Gefahr, daß wir einen mühsam erreichten und gehaltenen Standard wieder verlieren und auf Nacbkriegsniveau absinken.

Freilich kann niemand sagen, welches bessere Rezept es gibt. Wieder einmal fordert der materielle Unterbau vom ideellen Überbau ein Opfer.

Aber vielleicht kann es dem Unterrichtsminister wenigstens gelingen, eine echte Wertordnung als Grundlage der Kürzungen zu erarbeiten und qualitativ — nicht quantitativ — vorzugehen. Auch könnten etwa die Massenmedien und die Länder in die Bresche springen.

Vielleicht könnte man auch eine Entbürokratisierung im künstlerischen Bereich im Zuge einer Sanierung erreichen und die Qualitätskonkurrenz der Kulturschaffenden verstärken.

Eines freilich steht fest: alle Österreicher, die das kulturelle Bewußtsein Österreichs pflegen, sollten überlegt — aber mit Zähnen und Klauen — die Belange der Kulturpolitik und ihre notwendige Dotierung verteidigen.

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