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SPÖ-Programm mit Widersprüchen

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Der letzte Entwurf des Wirtschaftsprogramms der ökonomischen Versammlung der SPÖ trägt den Titel „Reform der österreichischen Wirtschaft“ und gibt mit 143 Seiten Umfang Zeugnis von der intenvisen Arbeit einer Gruppe von Wirtschaftsexperten der Sozialistischen Partei.

In 12 Kapiteln werden Probleme und Aspekte der österreichischen Wirtschaft berührt, analysiert und mit Lösungsvorschlägen bedacht. Das Programm gibt sich mit fundierter wissenschaftlicher Sachlichkeit und erweckt dem ersten Anschein nach den Eindruck der Vollständigkeit. Bald kann man allerdings erkennen, daß die Fragen der Währungspolitik, der Einkommenspolitik, der freien Preis- und Lohngestaltung sowie der Finanzierung der für dieses Reformprogramm notwendigen Milliardenbeträge fehlen, es sei denn, man erkennt in den dürftigen Hinweisen,

die auf die einzelnen Kapitel verstreut sind, schon ein Konzept.

Wenn in der Einleitung der Mangel an Koordination als der größte Defekt unserer Wirtschaftspolitik bezeichnet wird, so scheint dies auch für die Zusammenfassung des von verschiedenen ausgezeichneten Wirtschaftstheoretikern der SPÖ verfaßten Programms zu gelten.

So gibt es zwischen den Kapiteln „Ausbau der Infrastruktur“ (4) und „Moderne Investitionspolitik“ (5) sowie „Industrialisierung durch moderne Industriepolitik“ (9) und „Grundzüge eines Regionilkonzepts“ (12) mehrfache Widersprüche.

Im Rahmen dieser übersichtartigen kritischen Analyse wird nicht auf Details eingegangen, sondern es können nur einige Schwerpunkte, wie die Budgetpolitik, die Investitionspolitik und Industriepolitik, untersucht werden.

Pensionen und Sozialleistungen zugute kommt.

Im Punkt 15 bedauern die Sozialisten den zu geringen Umverteilungseffekt von Steuern, Sozialversicherungsbeiträgen, Subventionen usw. und behaupten gleichzeitig, daß dies eine weitere Strukturschwäche sei. Durch die Beseitigung solcher Struk- tursehwädien werden aber nicht „die Weichen in Richtung einer Wieder belebung des österreichischen Wirtschaftswachstums gestellt“ (1/12), wie es die Einleitung fordert. Der Widerspruch erscheint offen, wenn man im gleichen Absatz zugeben muß, daß „dank unseres hochentwik- kelten Systems der sozialen Sicherheit für Alter und Krankheit vorgesorgt und die Familie gefördert“ wird (3/15). Im vorletzten Entwurf stand allerdings auch noch, daß dieses System die Lage der kinderreichen Familien verbessert. In der Endfassung wurde dies gestrichen, vielleicht weil man damit indirekt zugegeben hätte, daß eine entscheidende Besserung der Lage der kinderreichen Familien von der letzten Lohn- und Einkommensteuersenkung und der Erhöhung der Familienbeihilfen ausging.

Aber nicht nur am grundsätzlich nivellierenden Ziel der sozialistischen Wirtschaftspolitik hält das neue Reformprogramm der SPÖ fest, es besteht sogar die Absicht, durch eine Staffelung der Verbrauchssteuern nach der Dringlichkeit des Bedarfes den Konsum zu lenken (3/18). Natürlich ist eine Maßtabelle oder eine Skala, an der man die Dringlichkeit des Bedarfes zu messen beabsichtigt, diesem Programm noch nicht beigegeben. Es wird dies vielleicht erst dann möglich sein, wenn man für alle Planungsvorschläge, die im Kapitel Planung und Wettbewerb enthalten sind, die statistischen Daten besitzt.

Ziel der Neugestaltung der Budgetpolitik muß es sein, „das Budget zum Kern einer modernen Rahmenplanung“ zu machen, um so die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den Griff zu bekommen (3/20). Leider heißt es aber schon wenig später: „Gerade hinsichtlich der Finanzierungsausgaben sind jedoch längerfristige Überlegungen besonders schwierig, handelt es sich doch urn einen Teil des über der Gesamtwirtschaft liegenden Geldschleiers“ (3/26).

Investitionspolitik und Investitionsbank

Nach einer ausführlichen Beschreibung der schon allgemein bekannten Tatsache, daß der Anteil der Industrieinvestitionen an den Bruttoinvestitionen seit 1961 ständig abgenommen hat, wird eine Verbesserung der Qualität der Zusammensetzung der Investitionen gefordert. Zur Erreichung dieses Zieles wird ein Investitionsförderungsgesetz (5/26) und die Gründung einer Investitionsbank verlangt (5/29), die übrigens schon lange ein Bestandteil des Koren-Plans ist. Die für diese

Bank notwendigen Mittel sollen durch Obligationen, Mittel des Kreditapparates, der Versicherungswirtschaft, des ERP-Fonds und aus dem Investivlohn aufgebracht werden (5/30). Außer bei den durch den Investivlohn aufgebrachten Mitteln bedeutet dies nichts als eine Umschichtung bereits angesammelter Finanzierungsmittel, wobei nicht einmal ersichtlich ist, wer das Transforma tionsrisiko für diese doch langfristig in Investitionen veranlagten Mittel tragen soll.

Industriepolitik und Verstaatlichte Industrie

Zum Problem der verstaatlichten Industrie wird schon in der Einleitung festgestellt, daß es den verstaatlichten Unternehmungen nicht gelang, Sich der Wirtschaftssituation entsprechend auf hochspezialisierte Fertigwaren umzustellen. „Hierfür war zu einem gewissen Teil ein Mangel an Voraussicht und unternehmerischer Initiative verantwortlich“ (1/19). Natürlich wird die Hauptschuld für diese verhängnisvolle Entwicklung in den nächsten Sätzen sofort der konservativen Volkspartei in die Schuhe geschoben und nicht den damals für die Führung der verstaatlichten Unternehmungen zuständigen sozialistischen Managern und Politikern.

Auch in dem in seiner Diagnose und Therapie sachlichsten 9. Kapitel („Industrialisierung durch moderne Industriepolitik“) werden die verschiedensten Mängel der österreichischen Unternehmungen, insbesondere aber der verstaatlichten Industrie, erkannt, wenn zum Beispiel

‘estgestellt wird, daß leistungsfähige, nodem geschulte Führungskräfte iehlen, der chronische Kapitalmangel ;s unmöglich macht, die Eigenkapi- .albasis der Produktionsausdehnung anzupassen usw. Natürlich müssen liese an so manchen sozialistischen rabus rüttelnden Feststellungen durch Phrasen geschickt abgedeckt werden, wie zum Beipiel durch die folgenden: „Das größte Handikap, unter dem die verstaatlichte Industrie bisher leiden mußte, war ihre politische Diskriminierung“ (9/11). „Die enormen betrieblichen und regionalen Widerstände gegen Re- Drganisationsmaßnahmen erschwerten ein Gleichziehen mit den umwälzenden Konzentrations- und Umstellungsvorhaben in anderen Ländern“ (9/26). „ in Österreich führt die Knebelung der verstaatlichten Industrie zu schwerwiegenden Störungen “ (9/27).

Sehr positiv muß allerdings der Therapievorschlag gewertet werden, daß die ÖIG zu stärken und ihr ein größeres Maß an Bewegungsfreiheit eingeräumt werden muß.

Widersprüchlicher Ausbau der Infrastruktur

Mit sich selbst und mit den meisten anderen Kapiteln in Widerspruch befindet sich das Konzept des Ausbaues der Infrastruktur. Abgesehen von der lakonischen Feststellung, daß ein Erfordernis von 226,3 Milliarden Schilling in der Fünfjahresperiode 1968 bis 1972 über die konservative Wachstumsprojektion hinausgeht (4/8) wird, wohl gesagt, daß der Bund hievon 93,4 Milliarden Schilling zu tragen hat, nicht aber womit diese 93,4 Milliarden und der bescheidene Rest finanziert werden sollen.

Einerseits kritisiert man, daß sieh Österreich den Luxus leistet, die vorhandenen Kapazitäten des Schienenverkehrs unausgenützt zu lassen (4/28), anderseits aber fordert man eine Modernisierung von Landesflughäfen „um den Anschluß an den internationalen Standard nicht zu verlieren“ (4/36): einen von diesen benützten 1966 im Monatsdurchschnitt weniger als 1000 an- oder ab- fliegiende Passagiiere.

In der Energiewirtschaft wünscht man eine „Sicherung der Rohstoffbasis“ (4/40), während man in der Diagnose des Kapitels 12 (Grundzüge eines Regionalkonzeptes) lapidar erklärt: „Außerdem ist in absehbarer Zeit mit der Stillegung konkurrenzunfähig gewordener Betriebe in entlegenen Landesteilen zu rechnen“ (Seite 142).

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