6875155-1978_41_05.jpg
Digital In Arbeit

Verstaatlichte Unternehmungen brauchen veränderte Konzeption

Werbung
Werbung
Werbung

Angesprochen durch eine seit den Zeiten des Wiederaufbaues nach 1945 nicht gekannte soziale und wirtschaftliche Herausforderung für die Industriestaaten, entwickelt sich auch das weitere Schicksal unserer verstaatlichten Unternehmungen.

Verteuerung von Rohstoffen und Energie verlagern über die gewandelte Ertragssituation einen beträchtlichen Teil der Nachfrage nach Industriegütern in Entwicklungsländern.

Gleichzeitig stehen immer mehr leicht transportierbare Produktionstechnologien zur Verfügung, welche mit Einsatz des neuen Kapitals und alten Bildungsinvestitionen immer intensiver genützt werden können.

Die Einkommens- und sozialpolitische Entwicklung in Europa läßt die Unterschiede in den Produktionskosten immer mehr auseinanderklaffen. Nicht nur die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz, sondern auch Österreich ist unter Einschluß der Wechselkursentwicklung ein teurer Produktionsstandort geworden.

Eine in Österreich vernachlässigte Förderung der (angewandten) For-

schung - Österreich 1,2 Prozent, Schweiz und BRD je 2,2 Prozent, USA 2,4 Prozent des Bruttonational-produktes - hat uns einen strukturellen Entwicklungsrückstand einge-wirtschaftet. Weder unsere Produktpalette noch unsere Produktionstechnologie, noch unsere Managementmethoden sind auf dem letzten Stand. Diese Situation wird nur in wenigen Bereichen und noch seltener in der Verstaatlichten Industrie von der positiven Ausnahme unterbrochen.

Nun kommt noch dazu, daß die Binnennachfrage in Österreich wegen teilweise fehlenden Bedarfs, Substitution, Imports aus billigst produzierenden Ländern, Verschiebung der Währungsrelationen und ähnlichem stark in Mitleidenschaft gezogen ist. (Die österreichische Wirtschaft verliert jährlich im Inland Marktanteile von zwei bis zweieinhalb Prozent.)

In Österreich hat lediglich die Erdölwirtschaft (ÖMV), die Elektroindustrie (Elin, Siemens) und die Simme-ring-Graz-Pauker den Schock relativ gut überstanden. Die Bereiche Eisen,

Edelstahl, Hütte und Bergbau, aber auch Chemie wurden von der Entwicklung voll getroffen. So ging etwa der Absatz von Edelstahl zwischen 1973 und 1975 in der gesamten EWG um 5,9 Prozent, in Österreich aber um 21,2 Prozent zurück. Die Düngemittel-, aber auch die Rohstahlproduktion, verlagert sich mehr und mehr nach Übersee (Afrika, Südamerika).

Diese Entwicklung war schon zu Beginn der siebziger Jahre, vor dem Erdölschock, abzusehen, ohne daß die Wirtschaftspolitik von Regierung oder ÖIAG genügend reagiert hätte.

Der Schwerpunkt der Investitionstätigkeit blieb bei der Grundstoffindustrie, die zum Teil sogar noch ausgebaut, bestenfalls aber rationalisiert wurde. Dies, obwohl abzusehen war, daß die konkurrierenden Niedriglohnländer so nicht abzuhängen waren. Diese ziehen im Gegenteil immer mehr Produktionen mit ausgereifter Technologie an sich (VW-Produktion in Brasilien).

Eine erfolgreiche Investpolitik hätte schon längst ansetzen müssen bei jenen Produkten, bei denen der eingesetzte Faktor Bildung die größtmöglichen Produktionsergebnisse erwarten läßt. Dominant werden jene Vorgänge, welche dem Produktionsprozeß vor- oder nachgelagert sind: Forschung, Entwicklung, Arbeitsorganisation, Marketing, Konsulting, moderne Managementmethoden, Mitarbeiterschulung, aber auch Methoden und Institutionen der Finanzierung - und dies alles nicht bloß im österreichischen Werk, sondern dort, wo die Produkte vermarktet werden sollen!

Ein weiteres Mißverständnis der letzten Jahre lag in der Grundformel „Big is beautiful“. In diesem Sinn wurde leider insbesönders bei der Organisation von VÖEST-Alpine und VEW gesündigt. Statt international erfolgreicher Organisationsformen -Holding (nach Branchen) und Divi-sionalisierung (nach Produkten) -wurde die weniger effiziente Form einer Fusionierung gewählt.

Dadurch blieb nicht nur der teure Overhead erhalten, er wurde noch größer und die Entscheidungsstruktur vielfältiger und komplizierter. Dabei haben, nachweislich in vielen Branchen Großbetriebe mit 1000 und mehr Beschäftigten niedrigere Net-toproduktionswerte als vergleichbare, kleinere Produktionseinheiten. Dies zeigen Untersuchungen über optimale Betriebsgrößen und Strukturen. Die zur Flankierung bereits zugesagte Finanzhilfe von zwei Mil-

liarden Schilling für die VÖEST-Al-pine blieb bis heute aus.

Eine erfolgreiche Weiterentwicklung der verstaatlichten Unternehmungen wird also nicht ohne Veränderung der unternehmenspolitischen Konzeptionen möglich sein. Dazu wird auch ein längerfristiges Finanzierungskonzept nötig sein, damit eine angemessene Eigenkapitalbasis wiedergewonnen werden kann und die beachtlichen Lasten der Fremdfinanzierung gemildert werden können. So ist der Eigenkapitalsanteil seit 1970 um 43 Prozent gesunken, der Verschuldensanteil um 70 Prozent gestiegen.

Diese Entwicklung im Interesse des österreichischen Wirtschaftspotentials und der Erhaltung der Arbeitsplätze muß von den vorhandenen Mitarbeitern und vom Management der Unternehmungen getragen werden. Wie kaum irgendwo stehen aber diese Unternehmensleitungen und ihre leitenden Angestellten bei der Verwirklichung ihrer Aufgaben im Spannungsfeld aller gesellschaftlichen Kräfte.

Eigentümervertreter, Gewerkschaften, Betriebsräte, Vertreter der in den Unternehmungen aktiven politischen Gruppen, sind verhalten, den Managern jenen Spielraum offen zu lassen, der einfach nötig ist, um die -Betriebe in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

In der gegenwärtigen Lage zeichnet sich auch schon ab, daß die Aufteilung des Sozialprodukts gerade dort eine ungeahnte Aktualität erlangen wird, wo lange Zeit aus dem Vollen geschöpft wurde. Dies stellt einen Prüfstand dar für den oft strapazierten Gedanken einer solidarischen Lohnpolitik.

Damit die Mitarbeiter in der „Verstaatlichten“ besser aktiviert werden können, wird es nötig sein, neben der anerkannt guten Berufsbildung wesentlich weiter auszuholen. Bisher in der Ausbildung fast unberücksichtigt gebüebene Fragen der Organisationsentwicklung, des Projekt-Main

nagements, der Kommunikationsund Entscheidungstechniken, der Steuerung von Gruppenprozessen, aber auch der Aktivierung und Strukturierung innerbetrieblicher Informationspotentiale müssen ehest aufgegriffen werden.

Verstaatlichte Unternehmen werden letztlich für ihre zukünftige Existenz legitimiert vom Selbstbewußtsein ihrer Organe. Sie müssen aus der Fülle der Erwartungen von außen, ja von einem ideologischen Belagerungszustand sich befreien und eigene, realistische Szenarien entwik-keln, und zwar solche, die für eine Mehrheit der ökonomisch und politisch verantwortlichen Österreicher akzeptierbar sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung