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Klischees rund um die Industrie

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Die Mißerfolge der Verstaatlichten entstanden nicht durch ein Zuviel an Politik, sondern durch zu geringe Vorgaben und Kontrollen durch die Eigentümer.

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Die Mißerfolge der Verstaatlichten entstanden nicht durch ein Zuviel an Politik, sondern durch zu geringe Vorgaben und Kontrollen durch die Eigentümer.

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Zu den vielen falschen Klischees, die die Österreicher von sich pflegen, gehört, daß es Österreich an einer leistungsfähigen Industrie mangelt. Uns fehlten größere Unternehmungen. Die wenigen großen Unternehmungen, die es gäbe, wären verstaatlicht und nicht leistungsfähig. Man lasse die Manager nicht arbeiten, die Politik regiere dauernd hinein.

Nichts, aber auch überhaupt nichts an diesen Klischees ist richtig: Erstens hat Österreich eine durchaus leistungsfähige Industrie: im Durchschnitt gewinnt sie auf den Exportmärkten laufend Marktanteile, wogegen der

vielgepriesene Tourismus am Weltmarkt laufend Marktanteile verliert. Zweitens ist die Leistungsfähigkeit der österreichischen Industrie gerade den kleinen und mittleren Einheiten zu danken, wie ich gemeinsam mit Karl Aiginger im Buch „Die Größe der Kleinen“ (Wien 1985) zeigen konnte. Und die unbestreitbaren Mißerfolge der verstaatlichten Industrie sind nicht dem laufenden Hineinregieren der Politik zuzuschreiben, sondern gerade umgekehrt den zu geringen Vorgaben des Eigentümers an die Manager und den zu geringen Kontrollen der Strategie durch den Eigentümer.

Diese Klischees konnten überhaupt nur entstehen, weil die Öffentlichkeit bloß die verstaatlichten Unternehmungen kennt — sie stehen ja leider nur zu oft in der Zeitung-.wogegen die effizienten Klein- und Mittelunternehmungen unbekannte Wesen für den Österreicher sind: die unbekannten Arbeitgeber, die unbekannten Devisenbringer und die unbekannten Steuerzahler.

Zwei Zahlen sollen diese Situation verdeutlichen: Nach Daten der österreichischen Nationalbank macht der cash-flow (ein Gewinnindikator) im Durchschnitt der österreichischen Industrie 5,5 Prozent der Umsätze aus (1980); beim besten Viertel der Unternehmungen sind es 8,9 Prozent, beim schlechtesten Viertel drei Prozent. Bei der verstaatlichten Industrie erreichte der cash flow 1980 3,4 Prozent des Umsatzes, sank 1981 (vergleichbare Daten der Notenbank liegen noch nicht vor) auf 1,1 Prozent, 1982 und 1983 auf jeweils zwei Prozent und stieg 1984 auf 3,6 Prozent. Die verstaatlichte Industrie gehört also in bezug auf die Gewinne zum schlechtesten Viertel der österreichischen Industrie.

Auch die vielgerühmte beschäf-tigungssichernde Funktion der verstaatlichten Industrie ist so gut wie nicht zu bemerken: In den letzten zehn Jahren hat die Verstaatlichte 16 Prozent ihrer Beschäftigten abgebaut, die private Industrie 18 Prozent. Der kleine Vorsprung der Verstaatlichten wird bald aufgezehrt sein, denn derzeit setzt die Verstaatlichte weiter Arbeitskräfte frei, und das wird wohl noch eine Zeitlang anhalten müssen, wogegen die private Industrie seit 1984 ihren Beschäftigtenstand wieder ausweitet.

Die übliche Erklärung für die ungünstige Entwicklung der verstaatlichten Industrie betont, daß diese Unternehmungen überwiegend Grundstoffe erzeugen und dort die Ertragslage besonders schlecht ist. Aber das ist wieder-

um eines der üblichen falschen Klischees: Nach den Daten der österreichischen Nationalbank hatte die gesamte Grundstoffindustrie (Basissektor) einen überdurchschnittlichen cash flow von sieben Prozent des Umsatzes, die Verstaatlichte hingegen, wie erwähnt, einen unterdurchschnittlichen (3,4 Prozent). Überdies: Warum ist die verstaatlichte Industrie grundstofflastig? Warum hat sie sich nicht rechtzeitig umgestellt beziehungsweise warum konnte sie sich nicht rechtzeitig umstellen? Diese Fragen führen sehr viel eher zu den wahren Problemen, an denen die verstaatlichte Industrie leidet; der schlechten Organisation, die bisher effiziente Strategien ausgeschlossen hat.

Zuvor aber noch ein weiteres Handicap der meisten verstaatlichten Unternehmungen: Sie sind für den österreichischen Markt und für die Bedienung von Marktnischen zu groß und für den

Weltmarkt an Standardprodukten zu klein. Die österreichischen Klein- und Mittelunternehmungen haben ihre Erfolge durch Spezialisierung in Marktnischen erzielt; die Verstaatlichte hat auf den Massenproduktmärkten versagt. Die Unternehmungen der verstaatlichten Industrie sind zu groß und zu schwerfällig, um Marktnischen aufspüren zu können, und selbst wenn sie solche aufspüren, können sie diese nicht gewinnbringend nützen. Aber auch dieser Nachteil führt wieder auf die Frage der Organisation zurück: Wenn es keine schlagkräftigen Einheiten gibt, hätte man sie eben schaffen müssen beziehungsweise es bleibt weiterhin Aufgabe sie zu schaffen.

Das Problem etwa der VOEST-Alpine bestand darin, daß sie im Stahlbereich wenig Expansions-

chancen sah - zu Recht - und in wachstumsträchtige Produkte ausweichen wollte. Nun sind Grundstoffunternehmungen als „Einproduktunternehmungen“ in der Regel funktional-hierarchisch organisiert: Es gibt einen Einkauf für das gesamte Unternehmen, einen Verkauf, eine Entwicklungsabteilung (wenn überhaupt), eine ... usw. Und die Entscheidungen fallen zentral beim Vorstand. An Delegation besteht wenig Bedarf.

Die VOEST-Alpine änderte jedoch an dieser funktional-hierarchischen Organisationsstruktur auch dann (fast) nichts (zumin-destens de facto), als sie nicht mehr bloß Stahl, sondern auch Edelstahl, Maschinen, Anlagen verschiedenster Art, Kunststein, Autoglas, Leiterplatten, Chips und Plastikflaschen erzeugte, mit öl spekulierte, Krankenhäuser plante und Müll entsorgte (oder das jedenfalls vorhatte). Die Ent-

scheidungsstruktur blieb zentralisiert, die Vorstände der Töchter waren weisungsgebunden, und die Entscheidungen wurden damit unvermeidlich immer falscher. Demgemäß sanken die Gewinne, man flüchtete in immer neue Gebiete, die Gewinn versprachen, kam dabei auch in immer riskantere Bereiche und landete nicht bloß bei der ölspekula-tion, sondern zwangsläufig auch bei immer dubioseren Mitarbeitern und Geschäftspartnern. Das Ende ist bekannt, die Ursachen leider viel zu wenig.

Es fehlte aber nicht bloß an der entsprechenden Delegation von Verantwortung, an der Möglichkeit, Suchprozesse nach neuen Produkten und Verfahren auf unteren Ebenen durchzuführen, die gesamte Strategie war wenig zweckmäßig: Die VOEST-Alpine

flüchtete zugleich in unzählige unzusammenhängende Bereiche (einige wurden oben aufgezählt), obwohl jedes Lehrbuch der Industrieökonomik zeigt, daß unver-bundene Konglomeratkonzerne wenig effizient und sehr schwer zu führen sind (wenn überhaupt, dann sehr stark dezentral).

Es war also nicht bloß die falsche Organisationsstruktur, die die VOEST-Alpine zu Fall brachte, es war auch nicht die falsche Diversifikationsstrategie allein, sondern das Nichtzusammenpas-sen der beiden. Und dazu kam drittens, um das Maß voll zu machen, eine falsche Innovationsstrategie: man wählte den scheinbar leichteren Weg der Lizenznahme statt der Eigenentwicklung, versäumte dadurch jede Möglichkeit, Spezialist auf wenigstens einem Gebiet zu werden.

Wer ist nun an der falschen Strategie letztlich schuld? Zunächst natürlich der Vorstand und der Generaldirektor, und diese wurden ja auch tatsächlich abgesetzt. In einem funktionieren-denKonzemistdieFrageder grundlegenden Organisation, der Art und des Ausmaßes der Diversifizierung, der Innovations- bzw. Lizenzstrategie nicht allein aeh& des Vorstandes, sondern des Aufsichtsrates und vor allem der Konzernspitze. Es ist also die öl AG, die versagt hat! Aber jeder weiß, daß die OIAG versagen mußte, weil sie politisch zu schwach war, um sich gegen die Koalition von Generaldirektor und Zentralbetriebsratsobmann (mit politischen „Neberi“-Funk-tionen!) durchzusetzen.

Der Autor ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz. Beiträge zur Serie „Die Zukunft der österreichischen Industrie“ erschienen schon in den FURCHE-Nummern 23, 25 und 26/1986.

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