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Regierungsbildung und „Entstaatlichung“

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In den Parteienverhandlungen über die Regierungsbildung wurde ein Arbeitsprogramm festgesetzt, in dem der Forderung nach Ordnung in den verstaatlichten Betrieben besondere Bedeutung zukommt. Die verstaatlichten Betriebe müssen, so lautet die Forderung, aus der einseitigen politischen Atmosphäre, in die sie heute eingezwängt sind, herausgeführt und entpolitisiert werden.

„Verstaatlichung — ein verbrecherischer Wahnsinn.“ Zu diesem Schluß gelangte kürzlich in einem Vortrag über die Verstaatlichung der englischen Eisen- und Stahlindustrie Lord M i 1 d e r t o n, ein von der Labour Party zum Peer vorgeschlagene Sozialist. Nachdem er an Hand genauer Unterlagen den Nachweis geführt hat, daß die meisten Industrien in Privathand seit 1947 bedeutende Produktionssteigerungen aufzuweisen haben, während der verstaatlichte Kohlenbergbau ständig absinkt, kommt Lord Milderton zu dem Ergebnis, daß die Privatwirtschaft mehr

Erfahrung, Einsicht und Initiative, aber auch mehr soziales Verständnis als die staatliche Planungsbürokratie bewiesen habe.

In Oesterreich hat die Verstaatlichung der Wirtschaft im Zusammenhang mit der Errichtung des Verkehrsministeriums und der Verstaatlichung industrieller Betriebe konkrete Gestalt angenommen. Auf Grund der Bundesgesetze vom 26. Juli 1946 und vom 26. März 1949 wurden mit wenigen Ausnahmen sämtliche stahl- und eisenerzeugenden Betriebe, ferner die Kohlenförderung, die Elektrizität und schließlich weitere 180 Unternehmungen, von denen allerdings ein in der russischen Besatzungszone gelegener Teil noch der USIA-Verwaltung unterstellt ist, verstaatlicht. Der österreichischen Verwaltung unterstehen derzeit 36 Aktiengesellschaften, 31 Gesellschaften m. b. H. und 3 Gewerkschaften. An weiteren 19 Gesellschaften ist der Bund mit Kapital beteiligt. Die Kapazität der verstaatlichten Industrien dürfte etwa die Hälfte der gesamten österreichischen Industrie, und der Arbeiterstand etwa 100-000 Personen betragen. Ueber die Durchführung der Verstaatlichung enthält das Gesetz vom 26. Juli 1946 nachstehende Bestimmungen:

.„Mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gehen die Anteilsrechte an den verstaatlichten Unternehmungen und Betrieben in das Eigentum der Republik Oesterreich über. Hierfür ist e i n e angemessene Entschädigung zu leisten, die näheren Vorschriften trifft ein besonderes .Bundesgesetz.“

Diese „Entschädigung“ konnte bisher wegen der ungeklärten staatsrechtlichen Situation, die bei den meisten dieser Unternehmungen auch eine ungeklärte Rechtslage zur Folge hat, nicht festgelegt werden. Auch die Währung entbehrt noch jener Stabilität, die für die Vorbesitzer bei der Entschädigung erforderlich ist. Das Bundesministerium für Verkehr hat mit den verstaatlichten Betrieben von vornherein keine gemeinsamen Berührungspunkte aufzuweisen — das eine hat gemeinwirtschaftliche, die anderen kommerzielle und finanzielle Aufgaben zu lösen. Daraus erhellt deutlich, daß es sich bei dieser österreichischen Spezialität um eine Personalunion mit ausgesprochen politischem Charakter handelt.

Wie Sektionschef -Dr. L a n s k e in einer kritischen Betrachtung der verstaatlichten Industrie ausführt, lassen die bisherigen Erfahrungen Zweifel daran aufkommen, ob die zunehmende Verstaatlichung im Interesse des Staates der industriellen Führung, der Arbeiterschaft und schließlich der Konsumenten gelegen ist. Den Gewerkschaftsführern ist unter Umständen eine Auseinandersetzung mit isolierten Einzelunternehmern sichtlich lieber als eine solche mit dem einzigen Arbeitgeber Staat. Aus diesem Grunde lehnen sowohl die amerikanischen wie die englischen Gewerkschaften die Verstaatlichung von Betrieben ab. Konsequenterweise haben sich in den Volksdemokratien, insbesondere in der CSR, die Gewerkschaften in Instrumente der Staatsomnipotenz verwandelt. Von der Freiheit des Arbeiters ist hier wohl keine Rede mehr.

Die bisherige Entwicklung in Oesterreich zeigt, daß im allgemeinen der verstaatlichte Betrieb aus eigener Kraft die erforderlichen Investitionen nicht sicherstellen kann und daß er einer Betriebsführung nach kaufmännischen Grundsätzen nur in geringem Ausmaß zugänglich ist. Größeres Aufsehen hat ein Bericht der Alpinen Montangesellschafr, die rund 25.600 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, gemacht. Er spricht von Verringerung des Inlandgeschäftes durch Wegfall des unechten Bedarfes und Nachlassen des Exports von Kommerzware. Auf den inländischen Märkten mache sich eine scharfe internationale Konkurrenz bemerkbar, die neben einem Rückgang des Bestellstandes auch eine merkliche Schmälerung der Verbrauchserlöse mit sich bringe.

Oesterreich verdankt seinen Wiederaufbau vorwiegend der Hilfe jenes Staates, der eine Industrieverstaatlichung grundsätzlich ablehnt. Nur die Privatwirtschaft ermöglicht nämlich den USA auch für Oesterreich eine Industriehilfe, an der die verstaatlichte Industrie Oesterreichs bis vor kurzem bei Industrieinvestitionen einen Anteil von mehr als 80 Prozent erhalten hat. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß zum Beispiel Vorarlberg zu jenen österreichischen Bundesländern gehört, in denen das freie Unternehmertum in Industrie, Gewerbe und Handel noch nicht von verstaatlichten Betrieben eingeengt und von der öffentlichen Hand abgedrängt wurde.

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