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Verstaatlichungswirtschaft

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Zürich, im Mai

In Frankreich ist jetzt eine regelrechte „Krise der Verstaatlichung“ ausgebrochen. Die Hochflut des französischen Sozialismus, eine Folge des englischen Laboursieges von 1945, brandete noch vor ganz kurzer Zeit mit einer solchen Wucht gegen die aus der Dritten Republik geretteten Pfeiler der liberalen Wirtschaftsordnung, daß das besorgte Bürgertum bereits von einer „Sowjetisierung Frankreichs“ zu sprechen begann. Aber gerade dieser massive Angriff, der in allzu stürmischem Vordringen die Privatwirtschaft überrennen und verstaatlichen wollte, begegnete bald der ersten Ernüchterung. Die verstaatlichten Betriebe blieben rasch in der Produktion weit hinter den Plänen der Regierung zurück. Sehr schnell mußte die Regierung an die Steuerzahler appellieren, um Zusammenbrüche, wie sie aus der allgemeinen Defizitwirtschaft zu entstehen drohten, zu vermeiden. Bereits 1946 erzeugte es Aufregung in der Öffentlichkeit, als die größte französische Flugzeug-werft „Societe' de construetion aero-nautique du Sud-Est“ mit einem sensationellen Defizit von 600 Millionen Franken abschloß und deren Verwaltung zur Erklärung gezwungen war. man müsse auch in der Zukunft mit einem Fehlbetrag von 50 Millionen monatlich rechnen.

Nur ein Betrieb, in dem parteipolitische Rücksichten stärker als die kaufmännische Führung waren, hatte es versäumen können, rechtzeitig der Tatsache Rechnung zu tragen, daß nach Kriegsende eine rechtzeitige Einschränkung der bisherigen Rüstungsindustrie unumgänglich sei. Unter dfcm Druck der beunruhigten Steuerzahler wurde nun erstmalig das Verstaatlichungsprogramm zurückgebremst. In dem Unternehmen selbst mußte die Regierung mit einer sonst gewöhnlich dem Kapitalismus angelasteten drastischen Methode einschreiten und 40 Prozent der Belegschaft entlassen, wie auch die alte kommerzielle Verwaltung wieder in ihre Rechte einsetzen.

Es ist kein Geheimnis, daß auch diese Maßregeln bis heute noch nicht dazu geführt haben, in diesem Staatsbetrieb das finanzielle Gleichgewicht wieder herzustellen. Wenn auch in den vielen anderen, ebenfalls verstaatlichten Betrieben ähnliche Reformmaßnahmen angebahnt wurden, so schien doch das Schicksal sich geradezu verschworen zu haben, den Franzosen nachzuweisen, daß der Staat ein schlechter Wirtschafter ist. Die Betriebe waren und blieben passiv.

Die schon mißtrauisch gewordene Bevölkerung wurde nun von der Nachricht erschreckt, daß die „Electricite de France“, jenes gigantische Unternehmen, das zentral alle verstaatlichten Elektrizitätswerke und Verteiler von Frankreich umfaßt, sich genötigt sah, die Strompreise um 100 Prozent zu erhöhen und dies mit der Erklärung, daß sonst das Unternehmen zusammenbrechen würde. Es sind dies gerade jene französischen Elektrizitätswerke, die vorher beständig ihre Jahresbilanz mit einem beträchtlichen Reingewinn abgeschlossen hatten. Nach der Verstaatlichung aber schlössen die Betriebe be-eits im ersten Jahr mit 1 8 Milliarden Franken Defizit ab, und heute, noch vor Ende des zweiten Betriebsjahres ist das Defizit auf 36 Milliarden angewachsen.

Die Aufregung ist begreiflich. Die Verteuerung der Elektrizität trifft jedermann, insbesondere aber den Arbeiter und Kleinbürger doppelt schwer, weil er nicht nur die erhöhten Tarife, sondern die daraus entstehende Verteuerung aller Erzeugnisse mitbezahlen muß. Es ist verständlich, daß deshalb heute in Frankreich bis weit in die Linkskreise hinein der Ruf ertönt: „Schluß mit der Verstaatlichung!“

Verstaatlichung der Betriebe — ist aber nicht nur Eckpfeiler eines politischen Lehrgebäudes, es ist auch der Kampfruf, mit dem den Massen der „Anbruch einer neuen Zeit“ verkündet wurde. Darum beginnen die andauernden Rückschläge auf diesem Gebiete namentlich für die sozialistischen Parteien sich mehr und mehr als richtige Katastrophe auszuwirken. Vom Ausland her kommen alles eher als ermunternde Nachrichten. Nicht bloß die Labourparty ist durch ihr Verstaatlichungsprogramm in eine schwierige Lage gekommen. Auch in Italien sind gerade die Versuche, die Automobilindustrie zu verstaatlichen, zusammengebrochen, und der sozialistische italienische Wirtschaftsminister beeilte sich dieser Tage zu erklären, daß an eine Verstaatlichung der italienischen Elektrizitätsindustrie keineswegs gedacht werde. Zugleich hörte man die Stimme des sozialistischen Wirtschaftsministers in Belgien, der eine weitgehende Loslösung der Versorgungsbetriebe von der Planwirtschaft verkündete. In Schweden mußte das sozialistische Kabinett ihren linksextremen Handelsminister Myrdal ausbooten, dem es gelungen war, den bisher gesunden Finanzhaushalt des Landes weitgehend aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Diesmal ist den himmelanstürmendens Plänen und Verheißungen die Widerlegung mit geradezu unheimlicher Raschheit von Land zu Land gefolgt. Wie falsch muß die Doktrin sein, die, kaum im Leben versucht, sich auch schon als lebenswidrig erweist.

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