6535784-1946_15_02.jpg
Digital In Arbeit

Rückkehr zur Scholle

Werbung
Werbung
Werbung

Während bei uns zu Lande von überall her der Ruf nach landwirtschaftlichen Arbeitskräften ergeht und die Klage laut wird, daß viele aus der jüngeren Generation sich nicht mehr in das bäuerliche Leben einfügen wollen, werden aus Frankreich jetzt Berichte bekannt, die eine genau gegenteilige Ersdieinung der neuesten Zeit feststellen. Es ist soziologisch interessant und aufschlußreich, die Zusammenhänge zu hören. Wie'in dem agrarischen Fachblatt „L a M.o i s s o n“ („Die Ernte“) Pierrechaud im Zusammenhang mit der Begründung eines Staatsamtes für Bodenbewirtschaftun und die Wiederbebauung unausgenützter Ländereien ausführt, sei es ja ganz gut, den Mangel an Landarbeitern durch Maschinenausrüstung des Bauern zu erleichtern, aber Mechanisierung löste nicht die menschliche Seite des Problems. Und da erzählt nun der Verfasser eine merkwürdige Geschichte aus der Nähe von Cluny. Eine dortige Ortschaft, die sich noch im vorigen Jahrhundert zufolge ihres ausgezeichneten Weinbaues einer beneidenswerten Wohlhabenheit erfreute, wurde durch den Anreiz, den später

die Bergwerke von Montceau und die Creuzot-Fabriken für Zuzug aus der Landbevölkerung boten, vor zwanzig Jahren bereits dem sich?ren Aussterben geweiht. Aber was spielt sich nun seit einiger Zeit hier ab? Ein Teil der früheren Bewohner, ältere Leute, reife und abgeklärte Menschen, kehren in diesen Ort zurück Sie waren kleine Beamte, Angestellte und Leute der kaufmännischen Berufe geworden und nun kommen sie wieder, von dem Bedürfnis nach Ruhe und Frieden angezogen Sie haben eine kleine Gemeinschaft geformt, die sich ihre Hilfsmittel gemeinsam verschafft Sie haben ihre Arbeitszeit und Kraft den Winzern zur Verfügung gestellt und ziehen daraus eine Bezahlung in Naturalien. Daneben haben die Bauern ihnen Landparzellen bewilligt, welche sie in wertvolles Gartenland umwandelten. Heute verfügt die Gemeinschaft bereits über einen Pachtviehbestand und will sich schon einen Motorpflug anschaffen. Man hat noch andere Pläne. Ihr Hauptziel ist, das seinerzeit aufgegebene Nutzland wieder neu fruchtbar zu machen.

Der französische Verfasser sagt: „Diese Heimkehr zur Scholle, die völlig freiwillig und ohne große Erleichterungen auch nur entfernt zu erhoffen, so sehr glückte, sollte man sie nicht begünstigen und ermutigen? Was k-“in diese Bewegung hervorrufen und fördern? Vom psychologischen Gesichtspunkt $us besehen, besteht die Neigung zur Rückkehr auf das Land, wohl bei all denen, .die ihre jüngeren Jahre auf dem Land gelebt haben. Und das sind viele. Man braucht also keinen großen Aufwand an Propaganda. Es würde genügen, ihnen ein Minimum von Existenzsicherheit zu garantieren. Damit kommen wir zu dem zweiten Faktor, der diese Bewegung der Heimkehr der Älteren auf das Land, bestimmt hat. Es ist nicht damit getan, daß man nur theoretische Möglichkeiten im augenblicklichen Elendszustand denjenigen bietet, die man zu diesem gesunden Leben auf dem Lande veranlassen will. Man käme offenbar sehr schlecht mit iloßen Versprechungen auf lange Sicht bei ihnen an. Man muß ihnen praktische Möglichkeiten bieten. Diese zählen. Sie zählen doppelt, weil sie sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt bedeuten.“ — Das sind doch wohl Erfahrungen und Erwägungen, die auch für uns in Österreich etwas zu sagen haben.

Sorgen um eine Verstaatlichung

In Frankreich wurde nun im Zuge der zwischen den Parteien vereinbarten Verstaatlichungsaktion zunächst die Nationalisierung der Gas- und Elektrizitätsindustrie in Angriff genommen. Hiebei ergaben sich Erfahrungen, die für die Aktion im allger meinen von Vorbedeutung sein mögen.

Zunächst hatte der „Conseii du Plan“ ein Programm der notwendigen Modernisierungen beschlossen, und zwar: die Elektrizitätserzeugung im Jahre 1946 auf eine Jahresproduktion von 25 Milliarden Kilowatt zu bringen davon 13 Milliarden Kilowatt Wasserkraft, die im Jahre 1950 auf 25 Milliarden Kilowatt zu steigern sei. Zugleich wurde festgesetzt, daß die Jahresproduktion der Metallindustrie 1946 auf zehn Millionen Tonnen Stabstahl und eine Million Rohstahl zu erhöhen sei, 1950 auf 12, beziehungsweise 2,7 Millionen Tonnen, und für die Landwirtschaft in den nächsten fünf Jahren 50.000 Traktoren jährlich zu liefern sind.

Aber ohne die Investitionspläne zunächst zu berücksichtigen, haben inzwischen die Fachleute der Banque de France, wie „Le Monde“ berichtet, die Kosten der Verstaatlichung der Gas- und Elektrizitätswerke berechnet. Die Entschädigung für die Aktionäre würde bei geringster Bewertung über 70 Milliarden Franken erfordern, die Durchführung der begonnenen und bereits geplanten Investitionen in den nächsten fünf Jahren 220 Millrirden. Die Verstaat-lidiung der Elektrizität allein also würde einmal einen Aufwjnd von 290 M i 1-1 i a r d e n kosten, wobei die als notwendig erkannten Modernisierungen noch nicht eingerechnet sind

Es ist begreiflich, daß unter solchen Umständen der Kamme rau'.sdiuß mit einiger Vorsicht an die Beratung des Regierungsprojektes herantrat, bei einem Defizit des Staatshaushaltes von ohnehin schon 40 Milliarden — nach der letzten Rede des Präsidenter Felix Gouin Die Redner waren darin einig daß die Privatindustrie nie die erforderlichen Kapitalien .würde aufbringen können, andererseits wurde betont, dnß das Privatkapital nicht ausreichen würde, die Kosten eines solchen Planes zu decken. So neigte sich die Waage

für die Annahme einer Art Zwangsanleihe, das ist zur Auferlegung beträchtlicher Tariferhöhungen für die Konsumenten.

Die ursprüngliche Regierungsvorlage hatte die Verstaatlichung aller, auch der kleinsten Elektrizitätsbetriebe vorgesehen, aber im Angesicht der Tatsachen hat der Ausschuß die Schaffung einer Vereinigung der autonomen Betriebe vorgeschlagen, bis zur zweiten Etappe, das heißt, bis zu einem nicht bestimmten Zeitpunkte, in dem ein Gesetz für diese Organisation beschlossen würde. Man hat dabei sogar die Auflösung der mächtigen Compagnie Nationale du Rhone aufgegeben.

In dieser Zwangslage zwischen dem Abkommen der drei Parteien und dem Ergebnis der ziffermäßigen Berechnungen soll nun die Kammer selbst entscheiden. Vorläufig sind über hundert Abänderungs-anträge eingebracht und angekündigt, die das vielseitige Problem nodi mehr zu komplizieren drohen. Denn was hier bei einem der wichtigsten Industriezweige des Landes sich ergab, wird sich bei den anderen Verstaatlichungsunternehmungen wiederholen. Man steht vor Signalen, die zur Vorsicht mahnen, damit die Nationahsierungsidee nicht überhaupt kompromittier, t und erschüttert werde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung