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Lebensfragen der österreichischen Wirtschaft

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Die verstaatlichte Industrie bildet den heikelsten Faktor unserer Wirtschaftsstruktur. Diese Tatsache wurde kürzlich auch vom Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei anerkannt und xugegeben, daß diese Industrie nm leben könne, wenn der Export lebt. Von ihrem Absatz ins Ausland hänge es ab, wieviel wir an anderen Gütern einführen können. Die allgemeine Verkehrspolitik beruht indessen auch auf der Überzeugung, daß nur dort, wo sich die schöpferische Kraft der Persönlichkeit frei entfalten kann, der höchste Nutzen für die Gemeinwirtschaft erwächst. In einer Weihnacbtsbetrachtung hat auch der Generalsekretär der Bundeshandelskammer Dr. Korinek als den zweckdienlichsten Weg zur wirtschaftlichen Konsolidierung die Entfaltung der persönlichen Initiative aller Wirtßchaftstreibenden bezeichnet.

Obwohl die verstaatlichte Industrie in Österreich seit 1945 bei der Zubilligung von Krediten aus Counterpartmitteln bevorzugt wurde, so daß für die Privat- industrie nur ein Drittel der Counterpartmittel verblieb, und im ersten Marshall- Plan-Jahr die verstaatlichte Industrie 90 Prozent der gesamten Zuwendung erhielt, erhebt sich ihre Produktivität nicht über den österreichischen Durchschnitt. Eine Statistik zeigte erst kürzlich auf, daß die verstaatlichten Betriebe 22 Prozent der gesamten industriellen Arbeiterschaft beschäftigen und zufällig auch 22 Prozent des gesamten industriellen Produktionsergebnisses erbringen. Aber auch dieses Ergebnis konnte bloß dadurch erzielt werden, daß die verstaatlichten Betriebe derzeit von der internationalen Absatzkonjunktur profitieren, daß sie für das investierte Kapital keine Zinsen zahlen und daß sie weitgehend Steuererleichterungen genießen. Die durch Sonderstellung des verstaatlichten Komplexes eingeleitete Entwicklung erschwert in bedenklicher Weise eine gesamtösterreichische Handelspolitik.

Unter diesen Umständen ist es begreiflich, wenn der Verstaatlichungsgedanke Widerstand begegnet, zumal, wenn man sJch die im Ausland gemachten Erfahrungen vor Augen hält. Die Aufhebung des Gesetzes für Verstaatlichung der britischen Eisen- und Stahlindustrie aus dem Jahre 1949 bildet einen der Hauptpunkte im Regierungsprogramm Churchills. Das neue Gesetz wird die staatliche Eisen- und Stahlproduktion, in der gegenwärtig etwa 100 der wichtigsten britischen Konzerne in der öffentlichen Hand zusammengefaßt sind, für aufgelöst erklären. So wie in England, ist heute eine Revision der verstaatlichten Industrie auch in Frankreich in Fluß. Zahlreiche Untersuchungen des französischen Rechnungshofes lassen die defizitäre Finanzgebarung, die Unterdrückung produktiver Kräfte und eine weitgehende Verschwendung in den verstaatlichten Industriezweigen erkennen. Es fehlt der Antrieb des Wettbewerbes, durch den die Privatbetriebe zu erhöhter Produktivität gezwungen werden können. Eine belgische Senatskommission, in der auch Sozialisten vertreten waren, stellte nach einer Besichtigung des verstaatlichten Kohlenbergbaues in Frankreich fest, daß durch die Nationalisierung das Gefühl der Verantwortung verlorengehe und daß dadurch .das Individuum erstickt und versklavt wird. In Deutschland ist der Verstaatlichungsgedanke vom Problem der Mitbestimmung völlig verdrängt. Dabei hat sich die deutsche Ausfuhr in den letzten drei Jahren von monatlich 200 Millionen D-Mark auf über 1,3 Milliarden erhöht. In jüngster Zeit hat auch die Türk ei. den Weg der Entstaatlichung industrieller Betriebe beschritten. Um die Privatinitiative und den Unternehmer geist zu ermutigen und dem ausländischen Kapital eine größere Sicherheit zu bieten, hat die Türkei eine besondere Staatsgarantie von 300 Millionen türkische Pfund in Aussicht genommen.

Wenn in dem Bericht über die Parteiverhandlungen im österreichischen Nationalrat betreffend das erste Verstaatlichungsgesetz vom Jahre 1946 gesagt wurde, daß sich mit diesem Gesetz Österreich einer in Europa allgemeinen Entwicklung angliedere, so hat sich seither überall in der Welt die Erkenntnis verstärkt, daß die Verstaatlichung nicht geeignet ist, eine gleichmäßigere Verteilung der Sozialprodukte und eine erhöhte industrielle Produktion herbeizufhren.

Es ist heutzutage allgemein anerkannt, daß ein nach modernen Grundsätzen arbeitender Privatbetrieb die wirtschaftlichste Untemehmerform für die Herstellung von Massengütern darstellt. Es wurde festgestellt, daß Österreich zu jenen Ländern gehört, die trotz der Marshall-Hilfe die geringste Produktivität entwickelt haben, obwohl ihm die USA seit 1945 fast 30 Milliarden Schilling an Wirtschaftshilfe haben zukommen lassen. Die bisherige Entwicklung der verstaatlichten Industriebetriebe hat sich ungeachtet der Marshall-Hilfe und ansehnlicher Steuerbegünstigungen auch nicht als ausreichend erwiesen, um für die in den Verstaatlichungsgesetzen vorgesehene Entschädigung der Eigentümer der Betriebe aufzukommen.

Die Triester Frage und der Friedens vertrag mit Italien

Einen integrierenden Bestandteil des Friedensvertrages mit Italien vom 15. September 1947 bildet das Statut für den Triester Freistaat. In diesem Statut wurde als Ersatz der im Staatsvertrag von Saint- Germain sowie im Accord von Rom vom 25. Mäirz 1923 enthaltenen Bestimmungen ein internationaler Freihafen geschaffen. Schon der Umstand, daß die Intematio- nalisierung über Vorschlag der Sowjetunion erfolgte, beweist, daß weniger wirtschaftliche als politische Motive für diesen Vorschlag maßgebend waren. Tatsächlich wurde in dem Statut Jugoslawien eine bevorzugte Stellung eingeräumt, während Österreich mit den anderen mehr oder weniger beteiligten Staaten gleich behandelt wurde. Das Statut für den Freistaat kann erst durch Beschluß des Sicherheitsrates der UNO in Kraft gesetzt werden, sobald über die Person des Gouverneurs eine Einigving erfolgt. Bisher konnte eine solche Einigung nicht erzielt werden und die Militärverwaltung blieb im Freistaat im Fortbestehen. Die nächst wichtige Voraussetzung mit Bezug auf Österreich ist der Abschluß des Staatsvertrages, der Österreich zur Anerkennung des Friedensvertrages mit Italien verpflichten wird, damit aber auch zur Anerkennung der Berechtigungen, die ihm mit Bezug auf Triest in diesem Vertrag erteilt wer den. Im Gegensatz zu der im Staatsvertrag von St-Germain und im Accord von Rom erfolgten Regelung der Verkehrswege enthält das Statut im Artikel 16 nur eine allgemeine Bestimmung, wonach der Transitverkehr zu einem angemessenen Preis abgewickelt werden soll. Angesichts der Schwierigkeiten, denen die Durchführung der im Friedensvertrag mit Italien vorgesehenen Internationalisierung begegnete, indem über die Person des Hafengouverneurs eine Einigung nicht erzielt werden konnte, haben sich die Westmächte mit der Deklaration vom 20. März 1948 bereit erklärt, an Stelle der im Frie- deijsvertrag vorgesehenen Internationalisierung des Triester Hafens den Status quo ante wieder herzustellen, nämlich die vollständige Rückstellung Triests an Italien. Dieser Vorschlag der Westmächte wurde aber von der Sowjetunion in einer an die Westmächte gerichteten Note als unannehmbar erklärt mit der Begründung, daß der Friedensvertrag mit Italien von 21 Staaten unterzeichnet und ratifiziert wurde. Auf einer Londoner Konferenz am 23. Mai 1950 wurde von dem Vertreter der Sowjetunion, Zarubin, die Fortsetzung der Staatsvertragsverhandlungen von der Durchführung des Friedensvertrages mit Italien abhängig gemacht In einem späteren Zeitpunkt hat der russische Außenminister Wyschinski den Botschaftern der drei Westmächte eine Note überreicht, in der nach den üblichen Vorwürfen gegen die Westmächte festgestellt wurde, daß die russische Regierung einer Revision des Friedensvertrages mit Italien solange nicht zustimmen könne, bis dieses sich nicht vom Atlantikpakt zurück- ziehe … Nachdem die sowjetische Regierung in einer Note vom 28. Jänner die neuerliche Forderung Italiens nach Revision des Friedensvertrages mit Italien abgelehnt hatte, überreichte kürzlich der Unterstaatssekretär im italienischen Außenministerium dem sowjetischen Botschafter in Rom eine Verbalnote, in der die italienische Regierung gegen die Haltung der Sowjetunion gegenüber Italien in den Vereinten Nationen protestiert und in der erklärt wird, daß d i e Regierung die Klauseln des italienischen Friedensvertrages bezüglich der Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion als hinfällig erachtet. Dieser Erklärung Italiens kommt hinsichtlich der Triester Frage eine große Bedeutung zu. Es handelt sich um die zukünftige Gestaltung der Verkehrsbeziehungen zwischen Österreich und dem Triester Hafen, zumal Moskau erst vor kurzem wieder den Abschluß des Staatsvertrages für Österreich mit dem Triester Problem verknüpft hat. Der „Corriere della Sera zieht aus der bisherigen Entwicklung den Schluß, daß die italienische Note, die zweifellos im Ein- vernehmen mit den anderen westlichen Großmächten abgefaßt worden sei, unter Umständen eine noch unübersehbare diplomatische Kettenreaktion auslösen könne. In der Budgetdebatte des italienischen Parlaments nahm die Kammer einen Antrag an, der die Regierung verpflichtet, alle diplomatischen Verhandlungen über Triest, daher auch die Verhandlungen mit Jugoslawien, auf der Grundlage der Deklaration vom 2. März 1948 zu führen, nach der das gesamte Freigebiet von Triest Italien angegliedert werden soll.

Die Handels- und Verkehrsbeziehungen mit Italien sind für uns von allergrößter Bedeutung.

Der österreichische Beitrag zu dem Gesamtumschlag in Triest betrug im Jahre 1950 etwa 85 Prozent Das Umschlagsvolumen war größer als im Jahre 193 7. Diese Entwick lung hat das Interesse der wirtschaftlichen Kreise in verstärktem Maße der noch immer ungelösten Triester Frage zugewendet, der besonders im Hinblick auf unseren Export eine große Bedeutung zukommt. Bei einer Feier, die kürzlich im Zusammenhang mit den ERP- Transporten für Österreich über Triest stattfand, hat der Präsident der Triester Handelskammer C o s u 1 i c h seinem Bedauern Ausdruck gegeben, daß in den Triester Handelskreisen die Schwierigkeiten, die sich unter den gegenwärtigen Verhältnissen ergeben, mit berechtigter Sorge verfolgt werden. Triest sei mit wahrer Begeisterung entschlossen, an der Lösung des Verkehrsproblems mitzuwirken, zu jeder Art engster wirtschaftlicher Zusammenarbeit bereit und alle Anliegen und Einrichtungen in den Dienst Österreichs zum Wohle und zum Segen beider Länder. Es wären daher alle Voraussetzungen geschaffen, um unsere wirtschaftliche Position in Triest auszugestalten. Es kommt ausschließlich auf unsere Initiative an. Nach einem Ausspruch des Nationalrates Dr. T o n c i c ist Triest „das Tor in die Welt“. Von hier aus können österreichische Schiffe über die Weltmeere nach fernen Ländern und Kontinenten fahren. Die Triester Frage ist angesichts der Deklaration der Westmächte, wonach Triest wieder Ita lien mrückgestellt werden oll, an einem Punkt angelangt, wo lebenswichtige Interessen Österreichs auf dem Spiele stehen, und es erscheint als eine dringliche Aufgabe des Nationalrates, zur gegenwärtigen Lage Stellung zu nehmen.

Wenn man sich die vielen Lebensfragen vor Augen hält, an deren Lösung die österreichische Wirtschaft in hervorragendem Maße interessiert ist, so drängt sich der Gedanke auf, ob Parlament und parlamentarische Kommissionen überhaupt für die Behandlung dieser Fragen geeignet sind oder ob es nicht vielmehr an der Zeit wäre, dem Verkehrsminister durch Schaffung eines obersten Verkehrsrates ein ständig Expertentmd Konsultationsorgan zur Verfügung zu stellen. Auch Bundeskanzler Ingenieur Dr. F i g 1, der in seiner Neujahrsrede die Umwandlung einiger Industrien in selbständige Betriebe in Aussicht stellte, betonte, daß der Zug der Zeit in der Verwaltung neue Formen bedinge, die wir finden müssen, solle nicht die Entwicklung gehemmt werden.

Triest und die Südtiroler Frage

Die Redaktion des in Meran erscheinenden „Standpunkt“ macht uns unter Bezugnahme auf den in Nummer 4 vom 26. Jänner enthaltenen Artikel darauf aufmerksam, de8 der betreffende Passus in dem vom Verfasser angezogenen Artikel des „Standpunkt“ wörtlich lautet: „Interessiert sich Österreich wirklich nicht mehr für Südtirol? Betrachtet es dieses Land vielleicht schon genau so als Kern italienischen Gebiets wie Vene- tien oder die Lombardei, die ja auch einmal österreichisch waren?

Ganz so vergeßlich ist man in Österreich zwar nicht, aber etwas anderes zeigt sich auch in diesem Zusammenhang wie schon so oft: der Fluch des Mißbrauchs einer Sache zum politischen Schlagwort. Dieser Fluch lastet auf der Südtiroler Frage nicht anders als auf so vielen Fragen, welche die Öffentlichkeit einmal als wahre Herzenssache bewegt haben…

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