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Die Verständigungsarbeit um Südtirol

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Am 7. September war es ein Jahr seit der Unterzeichnung des Gruber-Degasperi- • Abkommens. Damit war damals der zweite Abschnitt der Auseinandersetzungen der beiden Nachbarn über die zukünftige Stellung Südtirols eröffnet worden, eine Schicksalsfrage, die, weit über die Grenzen Tirols hinausreichend, heute wie vordem eine Herzensangelegenheit des ganzen österreichischen Volke5 darstellt. Die Herstellung des Rahmenabkommens war eine Verheißung und zugleich ein Aufruf zur Geduld. Die Verhandlungen, die sich fortan vom Konferenztisch in den Aktenverkehr zwischen Wien und Rom verlagerten, sind in der Tat von der österreichischen Öffentlichkeit mit Ruhe, aber erwartungsvoll begleitet worden, soweit die knappen Meldungen über den bisherigen Verlauf es zuließen. Aber nun scheint es am Platz, den gegenwärtigen Stand der Dinge um Südtirol übersichtlich zu überprüfen.

Um es vorwegzunehmen: Zuverlässige Berichte aus Südtirol lassen erkennen, daß auf dem Gebiete der Minoritätenrechte in mehrfacher Hinsicht schon ein Zustand hergestellt worden ist, der dem

Geiste des Pariser Abkommens entspricht und den Wünschen der Südtiroler Bevölkerung entgegenkommt. So bestehen in fast allen Gemeinden mit deutschsprachiger Bevölkerung wieder deutschsprachige Schulen; daß in ihnen auch das Italienische einen Unterrichtsgegenstand bildet, entspricht dem Interesse und auch dem Willen der Bevölkerung. Ebenso bestehen Gymnasien, Lehrerbildungsanstalten und andere Mittelschulen mit deutscher Unterrichtssprache. Wohl macht sich ein Mangel an sprachlich geeigneten Lehrpersonen geltend, doch dieser wird nach der — noch ausständigen — Lösung der Optantenfrage behoben werden können. Die Aufschriften sind fast durchwegs zweisprachig, bei der Anbringung deutscher Grabinschriften auf den Friedhöfen werden keinerlei Schwierigkeiten mehr bereitet. In der Zweisprachigkeit der Behörden und Ämter ist noch eine gewisse , Unigleichmäßigkeit festzustellen, die Ge-tri c h t e haben die Zweisprachigkeit fast durchwegs in korrektester Weise eingeführt, bei der Präfektur und in anderen Verwaltungsämtern bestehen noch Hemmungen. Große Bedeutung kommt der oftgenannten Optantenfrage zu, hier laufen Verhandlungen zwischen der österreichischen und der italienischen Regierung, wie dies der Pariser Vertrag in der Form einer Konsultation der österreichischen Bundesregierung durch die italienische Regierung vorgesehen hat. Die österreichische Regierung hält hiebei auch Fühlung mit den Südtirolern dies- und jenseits der Grenze, um Interessen und Wünsche, soweit dies billigerweise geschehen kann, zu vertreten.

Die Verhandlungen betreffen den R ü c k-erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft seitens jener Südtiroler, die im Jahre 1939 nach den schmerzlichen Erfahrungen der fast zwanzigjährigen faschistischen Herrschaft und unter dem Drucke der nationalsozialistischen und faschistischen Behörden auf Grund des berüchtigten Hitler-Mussolini-Abkommens von 1939 für Deutschland optiert haben. Es waren dies etwa 19 0.0 00 Personen, die, weil die Durchführung des unseligen Abkommens im Jahre 1943 aufgehalten und dann aufgegeben wurde, in drei Gruppen zerfallen:

Optanten, welche aus Italien abgewandert sind, solche, die in Südtirol geblieben sind und eine deutsche Einbürgerungsurkunde erhalten haben, drittens Optanten, die in Südtirol geblieben sind und keine Einbürgerungsurkunde erhalten haben.

Die erste Gruppe hat die italienische Staatsbürgerschaft zweifellos verloren; die nichtabgewanderten Optanten, die keine deutsche Einbürgerungsurkunde erhielten, haben die italienische Staatsbürgerschaft unbestrittenermaßen beibehalten; die nichtabgewanderten, aber von deutschen Behörden eingebürgerten Optanten haben nach österreichischer Auffassung die italienische Staatsbürgerschaft nicht verloren — und dieser Auffassung gab jüngst auch eine Entscheidung de5 Trientiner Appellationsgerichtshofes recht —, während die These der italienischen Regierung eher die Auffassung zu verfechten scheint, daß diese Kategorie die italienische Staatsbürgerschaft verloren habe.

Die Verhandlungen betreffen nun vor allem die Art und Weise, in welcher diese drei verschiedenen Gruppen die Option zu widerrufen, beziehungsweise die zwei erstgenannten Gruppen oder die erstgenannte Gruppe allein, wieder in den Vollbesitz der italienischen Staatsbürgerschaft gelangen können und welche Personen vom Wiedererwerb der italienischen Staatsbürgerschaft seitens der italienischen Regierung sollen ausgeschlossen werden können. Besonders diese Frage des Ausschlusses stößt auf Meinungsverschiedenheiten, wobei — soviel man erfährt — nach der italienischen Fassung eine ziemlich große Gruppe von, Personen dem Ausschluß verfiele; denn es würde nicht deren individuelles Verhalten berücksichtigt, wie dies der Grundsatz aller Judikaturen bei der Verurteilung von Kriegsverbrechern und von belasteten Personen in, sondern es würde als Ausschließungsgrund schon gelten, wenn der Optant bestimmte deutsche Funktionen, etwa bei der Arbeitsgemeinschaft der Optanten oder der amtlichen Rückwanderungsstelle, ausgeübt hätte.

Es wäre möglich, daß man von den bisherigen Verhandlungen auf schriftlichem Wege, die im Austausch von Denkschriften bestanden, in nächster Zeit auf mündliche Verhandlungen übergeht. Sollte es wider Erwarten zu keiner positiven Beendigung der Verhandlungen kommen, so könnte Italien möglicherweise die These vertreten, daß es gemäß Pariser Abkommen nur an eine vorherige Beratung mit der österreichischen Regierung gebunden sei, die ja erfolgte, und nun, da die Beratung kein Ergebnis gebracht habe, zu einer einseitigen italienischen Lösung des Optantenproblems schreiten könne. Eine solche Lösung würde, sofern sie nicht „im Geist der Weitherzigkeit und Billigkeit“ geschähe, selbstverständlich von Österreich wie auch von den Signatarmächten des Friedensvertrages mit Italien angefochten werden können.

Ist die staatsbürgerrechtliche Seite der Optantenfrage geregelt, so bleibt noch die wirtschaftliche Seite zu ordnen, auf der gleichfalls nicht geringe Aufgaben zur Lösung gestellt sind, so die Beschaffung von Wohnung und Arbeitsplätzen für die Rückkehrer, der Vermögenstransfer, die Regelung der Versicherungen und die Übernahme mancher Beamter.

In dem ganzen Komplex der Südtiroler Angelegenheiten ist von größter Bedeutsamkeit die grundsätzlich ja bereits gefallene Entscheidung für die Autonomie Südtirols. In diesem Raum ist die italienische Regierung an keine Konsultation mit Österreich gebunden, doch ist von italienischer Seite wiederholt das moralische Recht Österreichs auf Anteilnahme an dem Schicksal Südtirols überhaupt und in bezug auf die Autonomie Südtirols im besonderen anerkannt worden. Das war naheliegend, denn Italien hat wiederholt feierlich für sich das gleiche Recht der In-teressenahme an dem Schicksal getrennter Volksgenossen — der italienischsprachigen Bevölkerung von Triest, Istrien und Küstenland — geltend gemacht. Dabei spricht diese Parallele um so lauter für Österreich, weil die Italiener Triests, Istriens und des Küstenlandes erst seit 1918 mit Italien vereinigt waren, während für Südtirol die Verbindung mit Österreich seit vielen Jahrhunderten bis 1918 bestand, so daß die vielfache persönliche Verbundenheit jedem objektiv Denkenden ohne weiteres verständlich werden muß.

In bezug auf die Aotonomii bestehen gegensätzliche Tendenzen. Die Südtiroler wünschen auf Grund des Pariser Abkommens für ihr Land das Statut einer eigenen Region mit einer Sonderregelung, wie sie die italienische Verfassung für Sizilien, Sardinien und Aostatal sowie Friaul und das Trentino-Südtirol vorsieht. Die Trientiner — und wir dürfen annehmen mit ihnen auch Herr Ministerpräsident Degasperi — wünschen, daß S ü d t i r o 1 und Trentino zusammen eine Region bilden, wobei gewisse Angelegenheiten an die zwei Subregionen Südtirol und Trentino seitens der gemeinsamen Region zur selbständigen Regelung durch die Subregion abgegeben werden könnten. Auch der Südtiroler Entwurf zum Regionalstatut sieht vor, daß gewisse Angelegenheiten einer mit der Nachbarregion Trentino gemeinsamen Gesetzgebung und Verwaltung übertragen werden könnten, o daß sich die Wünsche der Trentiner und jene der Südtiroler annähern und vielleicht nicht als unvereinbar angesehen werden können. Die Bestrebungen der römischen Zentralbürokratie und der nationalistischen Kreise hingegen zielen auf eine Beibehaltung einer stärkeren zentralistischen Gewalt und auf Übertragung möglichst weniger Befugnisse an eine gemeinsame Region Trentino-Südtirol, wobei einige kulturelle Angelegenheiten allenfalls der Subregion Südtirol zur lokalen Regelung überlassen werden würden.

Uber den Eisenbahndurchgangsverkehr von Nord- nach Osttirol wurde Ende April 1947 ein Abkommen zwischen Österreich und Italien in Wien paraphiert; Übereinkommen über den Personen- und den Straßendurchgangsverkehr sind bei den österreichischen Behörden in Vorbereitung; im Studium befindet sich ein Entwurf zu einem Ubereinkommen, betreffend den bevorzugten Wirtschaftsverkehr Nordtirols mit Südtirol, in dem möglicherweise auch das Trentino einbezogen werden kann.

Übersieht man die Gesamtsituation, die durch den Titel Südtirol im großen umschrieben ist, so ist die Feststellung erlaubt, daß die bisherigen Aussprachen und Verhandlungen vorwärtsgeführt haben und die Erwartung berechtigen, daß sie im Geiste guter Nachbarschaft zu gedeihlichem Ende kommen werden. Ihrer Kulturtraditionen würdig, geben die beiden Länder in der heutigen zerfahrenen Gegenwart ein Beispiel versöhnlicher und verständigungsbereiter Zusammenarbeit.

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