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Verletzte Grundrechte

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Eines der brennendsten Kapitel in dem zäh geführten Kampf um die Autonomie Südtirols ist der Kampf um die deutsche Schulautonomie.

Der 1 des Pariser Vertrages beinhaltet, daß die Bewohner deutscher Muttersprache der Provinz Bozen auf Grund eigener Verfügungen jene Rechte genießen sollen, die dem ethnischen Charakter und der kulturellen Entwicklung der deutschen Volksgruppe zustehen, und daß der Schulunterricht in der Muttersprache erteilt werden soll. Die näheren Bestimmungen sind im Gesetzdekret vom 16. Mai 1947, Nr. 5 5 5, enthalten, in dem über die beiden Volksgruppen, und zwar über die deutsche und die ladinische, nähere Weisungen über Unterrichtssprache und Unterrichtsbücher enthalten sind.

In der Folgezeit ergaben sich drei Streitpunkte: das freie Elternrecht bei der Wahl der Schule, die Stellung der Lehrer und die Stellung der Schulinspektoren. Alles dies ist auch im Regionalstatut ( 15) enthalten und hat der seinerzeitige Südtiroler Abgeordnete Toni Ebner in einem ausführlichen Memorandum der Regierung vorgelegt.

Artikel 2 des Gesetzdekretes vom 16. Mai 1947, Nr. 555, besagt ausdrücklich, daß die Zugehörigkeit der Schulen zu der einen oder anderen Sprachgruppe von der Erklärung des Vaters oder dessen Stellvertreters abhängig ist und es daher den Eltern zusteht, in welche Schule sie die Kinder schicken wollen.

Man versucht nun, dieses Recht bereits wieder zu verkürzen, sich über diese Bestimmung hinwegzusetzen und es den staatlichen Organen zu überlassen, zu bestimmen, in welche Schulen die Kinder gehen sollen. Man will bis zur Anwendung des 15 des Autonomiestatutes die Entscheidung über die Einteilung der Kinder in die deutsche oder in die italienische Schule dem Staate übertragen, oder die staatlichen Organe sollen zumindest ein Einspruchsrecht gegen die Erklärung des Vaters haben; im Zweifelsfall sollte eine KommissiQn mit der Entscheidung darüber beauftragt werden, welcher der Volksgruppen der Schüler angehört und welche Schule er zu besuchen hat.

Dieser Versuch ist nur allzu verständlich, wenn man bedenkt, daß in vielen Gemeinden nur ein oder zwei italienische Schüler vorhanden sind; in solchen Gemeinden wäre nun ein deutscher und ein italienischer Lehrer anzustellen, da die italienischen Kinder nicht in die deutsche Schule gehen wollen!

Dieser Zustand ist weniger vom finanziellen Standpunkt aus untragbar, denn die Regierung gibt für die Italianisierungsbestrebungen in Südtirol so viel Geld aus, daß es ihr auf diese paar Lehrer nicht ankommt; welchen Eindruck aber macht es auf die Allgemeinheit, wenn für zwei oder drei Kinder in der Gemeinde eine eigene italienische Schule errichtet wird?

Das Autonomiestatut gesteht der Region Südtirol-Trentino innerhalb ihres Wirkungskreises das primäre Gesetzgebungsrecht im Berufsschulwesen zu, das heißt: innerhalb der Region hat diese das Recht der Gesetzgebung, sofern sie sich an die Verfassung hält, und das sekundäre Recht auf dem Gebiete des gesamten übrigen Schulwesens mit Ausnahme der Hochschulen. Das will besagen, daß sich das sekundäre Gesetzgebungsrecht lediglich an die Grundsätze der Staatsgesetze zu halten hat, sonst aber vollkommen freie Hand behält, insbesondere was die Schulfürsorge und die Verwaltung der Schulen, die Besetzung der Lehrstellen und die Besetzung der Stellen von Schuldirektoren anlangt.

Von dem im Abkommen Gruber—De Gasperi großmütig eingeräumten „Geist der Freiheit und der Billigkeit“, in dem das Verhältnis der ethnischen Volksgruppen gegenseitig gelöst werden soll, ist aber nichts mehr übriggeblieben.

Wie anders lagen und liegen die Verhältnisse in anderen Staaten mit Minderheiten: im Abkommen Deutschland—Polen vom 15. Mai 1922 (Artikel 74 und Artikel 131!), im Dekret vom 31. Dezember 1928 des preußischen Unterrichtsministeriums, im Volksschulgesetz vom 7. Mai 1920 und dem Gesetz über Hilfsschulen vom 7 Dezember 1922 des estnischen Staates, in der Veröffentlichung des dänischen Amtsblattes vom 26. Oktober 1949 für die deutsch-dänische Zone von Schleswig-Holstein und schließlich im Artikel 3 der Erklärung des Instituts für öffentliches Recht vom Oktober 1929.

Es ist interessant, daß der Südtiroler Bevölkerung im größten Teile der Trentiner Lehrerschaft und in dem seit 1952 amtierenden T andeshauDtmann Albertini, der der christlich demokratischen Partei angehört, ein großer Helfer entstanden ist. Sowohl die Trentiner Landesregierung als auch die Lehrerschaft und Teile der christlich-demokratischen Parteiführung treten offen dafür ein, daß das Schulwesen auf Grund der zugestandenen Autonomie Landessache ist, während merkwürdigerweise die Parlamentsabgeordneten anderer Ansicht sind und das ganze Schulwesen unbedingt dem Staate in die Hände geben wollen.

Ja dies ging sogar so weit, daß die neofaschistische Partei entgegen dem Autonomiestatut einfach die Behauptung aufstellt, daß dieses Autonomiestatut von der provinzialen Leitung der Schulen überhaupt nichts enthält und der christlich-demokratische Abgeordnete Perloffa ebenfalls gegen die Bestrebungen der beiden Provinzen immer schärfer Stellung nimmt und die Verstaatlichung der Schule verlangt. Daß die Presse in dieser Hinsicht natürlich auf seifen derjenigen steht, die gegen die deutsche Schule Stellung nehmen, braucht wohl nicht weiter angeführt zu werden. Auf eine Anfrage der christlich-demokratischen Abgeordneten der Region Bozen-Trient hat der Unterrichtsminister an den italienischen Schulamtsleiter in Bozen ein Schreiben gerichtet, in dem versichert wird: „daß alle Gerüchte über einen Uebergang der italienischen Schulen in die Verwaltungskompetenz der Provinz völlig grundlos seien“ (obwohl dies ausdrücklich im Regionalstatut vorgesehen ist).

Aehnlich lieet die Fraee der Lehrerschaft.

Wie bekannt, hat das deutsche Element eine Lehrerbildungsanstalt in Meran, die heute von rund 300 Schülern besucht ist. Da der Nachwuchs aber noch lange nicht für alle deutschen Schulen gesichert ist, müssen Hilfslehrer für den größeren Teil der Schulen herangezogen werden. Diese Hilfslehrer haben bis heute weder ein Pensionsrecht noch eine staatliche Anstellung und werden nur von Jahr zu Jahr eingestellt. Es ist klar, daß die Stellung der Hilfslehrer dadurch eine sehr ungünstige ist und daß es eines großen Opfermutes bedarf, dieses Amt zu übernehmen

So verringert sich die Zahl der Hilfslehrer von Jahr zu Jahr Eine Systermsierung ist unbedingt erforderlich. Eine der Hauptforderungen der deutschen Abgeordneten ist es auch, daß für die Pensionierung die Dienstperiode sowohl vor als auch nach Erreichung des Lehrerdiploms anerkannt werde. Jenen, die dieses Diplom nicht erreichen, sollen zumindest für die Sozialversicherung die Dienstzeiten von 1940 bis 1945 an deutschen Schulen anerkannt werden.

Vorgesehen sind für die deutsche Bevölkerung ein Vizeprovinz-Schulamtsleiter, drei deutsche Volksschulinspektoren und 18 Volksschuldirektoren. Gleiche Rechte werden auch für die ladinische Volksgruppe in Anspruch genommen.

Auch hier gilt es, darauf aufmerksam zu machen, daß die Rechte Südtirols in internationalen Verträgen verankert sind. Die im Memorandum der deutschen Abgeordneten enthaltenen Mindestforderungen verdienen um so mehr Beachtung, als sie nichts anderes wollen, als die Grundrechte jedes freien Menschen auch auf die deutsche Bevölkerung Südtirols angewendet zu wissen.

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