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Gehemmte Autonomie in Südtirol

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In diesen Blättern ist wiederholt das Abkommen Gruber-De Gasperi vom September 1946 als das damals erste Zeichen eines guten Willens zu gegenseitiger Völkerverständigung und einvernehmlicber Beilegung politischer Gegensätzlichkeiten gepriesen worden. Nie wurde an der gleichen Stelle versäumt, jeden weiteren Fortschritt auf dem Wege zum guten Verstehen zu begrüßen und zu würdigen. Es kann deshalb, wohl kein Mißverständnis geben, aus welchem Geiste heute hier ein offensichtlicher Rückschritt beklagt wird.

Ein solcher Rückschritt trat in Erscheinung, als in der Sessionsfolge des Regionalrates Trentino-Tiroler Etschland im Dezember 1949 zwei Gesetzentwürfe zur Aussprache und Abstimmung kamen, welche wie mit einem Schlaglicht die bestehende Meinungsverschiedenheit über das Wesen der Selbstverwaltung der Region wie der beiden Provinzen Trient und Bozen aufleuchten ließ. Zunächst handelte es sich darum, der Region ein den örtlichen Verhältnissen angepaßtes Gemeindewahlgesetz zu geben. Der zur Aussprache vorgelegte Entwurf sah vor, daß zur Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechtes, betreffend die Zusammensetzung des Gemeinedrates, nur solche Bürger berechtigt seien, die in der betreffenden Gemeinde auch seßhaft 6eien. Hier stießen die Vertreter jener Kreise der italienischen Bevölkerung,. die erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit in die Region zugewandert waren und sich daher vom Mitspracherecht in Gemeindedingen ausgeschlossen sahen, auf den geschlossenen Widerstand der südtirolischen wie auch der trentinisch-italienischen Abgeordneten, so daß das Gemeindewahlgesetz im Sinne des Entwurfes mit großer Stimmenmehrheit angenommen wurde. Das so gebildete Gemeindewahlgesetz wurde als ein Erfolg der bodenständigen Bevölkerung hingestellt und als solcher in bescheidener Weise von der einheimischen Presse gewürdigt. Anders verhielt sich die in Bozen erscheinende italienische Presse, welche in diesem Gesetz eine Bedrohung der zugewanderten Italiener erblickte, die das

Mißtrauen derselben' gegenüber der südtirolischen Bevölkerung nur zu steigern geeignet sei. Regionalassessor N e g r i beruhigte jedoch im „Alto Adige“ vom 20. Dezember die Gemüter, indem er erklärte, seine Partei (Demoerazia Cristiana) habe zwar diesem Gesetze zugestimmt, aber die Verteidigung der italienischen Interessen stets im Auge behalten. Die so viel erörterte Frage der Seßhaftigkeit werde ohne weiteres zugunsten der italienischen Bevölkerung gelöst werden durch einen Zusatz, in welchem bestimmt wird, wer als Ansässiger zu gelten hat, und durch eine Frist, innerhalb welcher den Italienern die Möglichkeit geboten wird, sich in die Register der ständigen Bevölkerung einzutragen. Dieser an sich verständliche Zusatz ist allerdings während der Debatte über das Gemeindewahlgesetz nicht Gegenstand der Aussprache gewesen.

Der zweite im Dezember zur Abstimmung gelangte Gesetzentwurf betraf das Genossenschaftswesen in der Region und enthielt folgende Grundgedanken: 1. Eintragung der Genossenschaften in ein neu zu erriditendes Genossenschaftsregister innerhalb der Region; 2. Bildung einer Kontroll- und Revisionskommission zur Überwachung der Genossenschaften; 3. obligatorische Revision der Genossenschaften durch hiezu eigens geschaffene Revisionsverbände oder Organe der autonomen Kommissionen. In dieser an sich geringfügig scheinenden Verwaltungsfrage stießen grundsätzliche Gegensätze aufeinander. Die oben angeführten Gedanken wurden zwar einmütig angenommen. Die Frage der Zusammensetzung der Komissionen riß jedoch die anfangs herrschende Einmütigkeit entzwei, da die Südtiroler Abgeordneten die Ansicht vertraten, daß diese Kommissionen als Organe der Provinz zu errichten, also auch von der Provinz zusammenzusetzen seien. Die Ansicht der Mehrheit der italie-' nischen Abgeordneten jedoch bestand darauf, diese Kommissionen der Region direkt zu unterstellen und somit audi die Zusammensetzung derselben durch die Regionalverwaltung bestimmen zu lassen. Mit die-i ser Meinungsverschiedenheit wurde das Prinzip der Südtiroler Selbstverwaltung, wie es im Pariser Vertrag ausgesprochen war, in Frage gestellt.

Der Standpunkt der Südtiroler Abgeordneten, wie ihn Dr. Magnaro in einem Memorandum darlegte, stützt sich auf Artikel 14 des Autonomiestatuts, der den Artikel 118 der Staatsverfassung wiedergibt und vorschreibt, daß die Region ihre Verwaltungsfunktionen normalerweise durch Übertragung an die Provinzen und anderen lokalen Körperschaften auszuüben hat. Daher sind die beiden Provinzen Bozen und Trient selbst autonome und der Region gleichgeordnete autonome Körperschaften, weswegen auch die Verwaltungstätigkeit, die ihnen in der Regel zu übertragen ist, nicht der Region untergeordnet werden darf. Es müssen daher die Angelegenheiten der einzelnen Provinzen durch diese selbst und durch ihre eigenen Organe besorgt werden.

Der Präsident des Regionalaussdiusses, Dr. O d o r i z z i, legte den Sinn des Artikels 14 des Autonomiestatuts beziehungsweise den Artikel 118 der Staatsverfassung dahingehend aus, daß in ihm zwar eine verwaltungsmäßige Dezentralisierung zu erblicken sei, bei welcher aber der Region immer nodi die oberste Leitung und Aufsicht verbleiben müsse. Dazu gehöre auch, daß die Region die Verwaltungsorgane der Provinz bestelle. Es sei außerdem auch aus zweckdienlichen Erwägungen ratsam, daß die Südtiroler ihren „starren Standpunkt“ aufgäben, da bei dem Umstand, daß in der Provinz Bozen ja drei verschiedene Sprachgruppen zusammenlebten, eine von der Region bestallte Provinzverwaltung ausgleichender wirken könne. Er fügte noch hinzu, daß die Regionalverwaltung nur in diesem Rahmen gegen die Einwendungen regionalfeindlicher Strömungen verteidigt werden könne.

Mit diesen Auslegungen, die den Beifall cier Mehrheit der anwesenden italienischen Abgeordneten fanden, sdieint auch das Schicksal des Artikels 14 des Autonomiestatuts besiegelt zu sein, jenes Artikels, an welchen sich die Südtiroler als an die letzte Stütze der im Pariser Vertrage zugesicherten Selbständigkeit ihrer Provinz geklammert hatten. Zunächst hatte man die der Provinz Bozen zugedachte Autonomie dadurch eingeschränkt, daß man die Autonomie audi auf die Provinz Trient ausdehnte. Die Südtiroler Bevölkerung hatte sich mit dieser Lösung einverstanden erklärt, nachdem den einzelnen Provinzen innerhalb der Gesamtregion bestimmte Verwaltungsbcfugnisse zuerkannt worden waren. Nun verliert aber anscheinend die Provinzautonomie nicht nur die Gesetzgebungsbefugnis innerhalb ihrer Provinz, sondern auch das Recht, ihre Provinz selbst und mit eigenen Kräften zu verwalten.

Dem ferner Stehenden mögen diese Gegensätzlichkeiten, wie sie gelegentlich der besprochenen Debatten zutage getreten sind, als ein Sreit um des Nachbars Krautköpfe vorkommen, zumal sie nicht schwerwiegend genug sind, um die Aufmerksamkeit der großen Weltpolitik auf sich zu lenken. Die vom 19. Dezember gemeldete Anfrage des britischen Abgeordneten Warbey im Unterhaus, betreffend den deutschen und italienischen Sprachgebrauch in Südtirol, ging ja auch am Wesentlichen vorbei, denn es wurde nur ein Problem gestreift, das nadi außen zwar ausschlaggebend wirken mag, in seinem Wesen jedoch nur zweitrangige Bedeutung hat. Die erzielte Antwort des Unterstaatssekretärs M a y-h e w zeugte dann auch von einem geradezu verblüffenden Desinteressement von seiten der Labour-Party-Regierung.

Anders sieht die Sache aus, wenn man die Entwicklung in Südtirol als Exempel für eine etwa mögliche Zusammenarbeit der Völker in einer europäischen Union betrachtet. Gegenüber Europa ist Südtirol sehr klein und daher so recht geeignet, im kleinen den Einigungs willen der Volksgruppen zu erproben, der im großen zum hohen Ziele führen soll. Von solcher Warte aus betrachtet, müssen die Entwicklungsergebniss in Südtirol allerdings bedrücken. Denn den unvoreingenommenen Beobachter können auch die eindringlichen Erklärungen der besonderen Verhältnisse in Südtiro! nicht überzeugen, daß bei beiderseitigem gutem Willen nicht doch durch eine weitherzigere und weniger mißtrauische Haltung der italienischen Parteien in der Frage der provinziellen Selbstverwaltung und eine großzügige Haltung der Südtiroler in der Frage des Gemeindewahlgesetzes der gemeinsamen Wohlfahrt beider Volksgruppen besser gedient werden könne.

Man steht also wieder dort, wo man am Anfang stand? Nur der Wille zur Verständigung und nicht der Versuch der Überlistung oder erklügelter Gesetzesauslegung wird zu guten und krisenfesten Einrichtungen führen, die sich heute alle Völker der Erde, auch die Italiener, Ladiner und Südtiroler im Lande an der Etsch, erhoffen und erbeten.

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