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Das Echo auf Trient

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Mit dem Urteil im Karabinieri- prozeß von Trient ist eine folgenschwere Entscheidung gefällt worden. Das Urteil des Gerichtshofes, mit dem acht Karabinieri völlig freigesprochen, zwei weitere wohl für schuldig befunden, jedoch amnestiert wurden, hat in Südtirol zutiefst schockiert. Zugleich aber wurden neuerlich Ressentiments wachgerufen, die sich in einer allgemeinen Erbitterung über die Unfähigkeit der italienischen Justizverwaltung, sich in die Mentalität einer kleinen Minderheit einzufühlen, äußern. Der Prozeß wird allgemein als „Scheinverhandlung". bezeichnet, der — wie einige sagen — ein kunstvoll gewebter Mantel der Legalität umgehängt worden sei.

Eines steht fest: Mit dem Urteil von Trient, das sogar von den sicher nicht radikalen „Dolomiten“ in einem Leitartikel als „unfaßbar“ bezeichnet wurde, hat man jenen Kreisen in Südtirol, die sich immer um Mäßigung und Verständigung bemüht haben, viel Wasser abgegraben, zugleich aber den Extremisten dies- und jenseits des Brenners neuen Auftrieb gegeben. Daß dief keine aus der Luft gegriffene Behauptung ist, hat sich leider schon gezeigt: In St. Leonhard, im Passeiertal, wurde ein Elektromast gesprengt, in Pfalzen, im Pustertal, ein Karabiniere aus dem Hinterhalt angeschossen. Ja, die Bombenleger hatten die Kühnheit, in einem „Interview“ mit einer süddeutschen Zeitung weitere Terrorakte anzukündigen.

Alle Besonnenen sind indes der Meinung, daß Politik nicht auf der Straße gemacht werden solle, selbst wenn genug Boden für eine gerechte und spontane Empörung vorhanden sein sollte. Denn im Endeffekt dienen lautstarke Demonstrationen und Übergriffe nur jenen, gegen die man protestieren wollte. Damit hilft man aber niemandem, am wenigsten den Südtirolern …

Der Schock

Die Umarmungen, die der neo- faschistische Abgeordnete Dr. M i- t o I o mit seinem „Klienten“, Luigi V i 1 a r d o, nach der Urteilsverkündung austauschte, der Jubel der im Saal anwesenden Rechtsextremisten, die „Genugtuung“ der italienischen Presse haben selbst in den maßvollsten Kreisen der Südtiroler Bevölkerung, die sich immer auf das „bessere Italien“ berufen hatten, wie eine kalte Dusche gewirkt.

Dieses Unbehagen wird durch einige neuerliche Übergriffe der Polizeiorgane noch vergrößert. So sind beispielsweise nach Hausdurchsuchungen in Laas (Vinschgau) mehrere Wohnungen in einem beinahe chaotischen Zustand vorgefunden worden. Das Haus des Ortspfarrers beispielsweise wurde buchstäblich auf den Kopf gestellt, Bücher und andere Gegenstände kurzerhand auf den Boden geworfen

Das Urteil hat in Südtirol wie eine

Bombe eingeschlagen. Selbst eingefleischte Pessimisten hatten angesichts des überwältigenden Beweismaterials — so der von italienischen Gerichtsmedizinern ausgestellten ärztlichen Befunde — gehofft, daß der Gerichtshof wenigstens die Tatsache, daß im Sommer 1961 Mißhandlungen vorgekommen seien, klar bestätigen werde. Daß mit einer Amnestierung der Angeklagten zu rechnen sei, hatte man von allem Anfang an gewußt. Das Bedenkliche aber liegt nun nach der Meinung unbefangener ausländischer Beobachter darin, daß man die Angeklagten, die in der Voruntersuchung ohnedies über aus glimpflich behandelt worden waren, einfach straflos ausgehen ließ und daß in zwei zugegebenen Fällen grausame Mißhandlungen zu „Schlägen" herabgemindert wurden …

„Nur Schläge“

Damit aber hat der Prozeß — so wird allgemein von der Presse des ganzen deutschsprachigen Raumes betont — ein Versagen der italienischen Justiz enthüllt. Auch der Presse in Italien: Selbst große Zeitungen, wie „II Quotidiano“, stimmten in den Chor der unverbesserlichen Nationalisten ein: Das Verfahren in Trient gegen die „Hüter und Wächter“ dies Gesetzes sei ein einmaliges Absurdum. Nur einige Zeitungen, so etwa der linksstehende „L’Espresso", hatten den Mut, gegen den Strom zu schwimmen. „Die Wichtigkeit des Trienter Prozesses geht aber weit über diese Daten der Chronik hinaus", schrieb das Blatt. „Denn die Vorfälle haben sich in einem der politisch heikelsten Gebiete unseres Landes zugetragen …"

Die Masse des italienischen Blätterwaldes aber jubelt über das Urteil vom 30. August, ganz vergessend, daß sie heute bejubelt, was sie morgen vielleicht beklagen muß. Der regierungsfreundliche „Messaggero“ schrieb etwa: „Die größte politische Machenschaft der letzten Jahre… ist zusammengebrochen .. . Das Gericht hat festgestellt, daß nicht von Körperverletzung die Rede ist, sondern nur von Schlägen… Diese sogenannten Schläge hatten sich, wie wir im Laufe des Prozesses feststellen konnten, auf die eine oder die andere Ohrfeige oder höchstens einen Fußtritt beschränkt…“ Dieses Unvermögen, demokratische Rechtsnormen auch für Angehörige einer anderssprachigen Minderheit gelten zu lassen, dieses Unverständnis hat in Südtirol fast noch mehr schockiert als das Urteil selbst. Denn es zeigt, welch weiter Weg noch gegangen werden muß …

Das Recht — „für alle gleich“?

Die Justiz wieder, so wird allgemein festgestellt, hat aufs neue, eine psychologische Schlacht von großer Tragweite verloren/ „Denn. vvje.'kątjrii verlangt werden“, so fragte schon der Anwalt der Anklage, der brillante italienische Rechtsanwalt Dr. Gallo aus Vicenza (er zählt zu den besten Anwälten Italiens), „daß man zu einer Behörde Vertrauen habe, wenn Organe dieser Behörde selbst den Boden des Gesetzes verlassen? Heute schlägt man“, so hatte Gallo in seinem Plädoyer hinzugefügt, „den vermeintlichen Terroristen, morgen jedoch kann es der politische Gegner einer Partei, die sich jeweils an der Macht befindet, sein, der mißhandelt wird …“

Aber auch dieser mahnende Kassandra-Ruf ist ungehört verhallt. Das Vertrauen der Südtiroler Bevölkerung zum italienischen Justizapparat ist jedenfalls noch weiter gesunken. Angeschlagen war es immer schon. Aber das Trienter Tribunal, die drei Richter, haben auch eine Chance für Italien versäumt. Denn es ging — dies war von allem Anfang an klar — um eine grundsätzliche Entscheidung, unabhängig von den Interessen der Betroffenen: Darf geschlagen werden oder nicht?

Über den Richterstühlen, an der Wand des Gerichtssaales, stand in großen Buchstaben (neben dem Kruzifix) der Spruch: „La legge ė uguale per tutti“ — „Das Recht ist f ü r a 11 e gleich". Dr. Sand hatte in seinem Plädoyer darauf hingewiesen und der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß dieser Spruch wirklich für alle gelten möge und nicht bloß eine Phrase sei. Heute kann man — so sagen viele — absolut seine Zweifel daran haben, ob diese schönen Worte auch für Angehörige einer kleinen Minderheit ihre Geltung haben. Und im Zusammenhang damit erinnert man sich an einen Ausspruch, den der damalige Abgeordnete und heutige Ministerpräsident, Giovanni Leone, der als Ordinarius für Strafrecht an der Universität in Rom die italienische Justiz kennen rfiuß, am 26. November 1947 vor der Verfassungsgebenden Versammlung getan hatte: „Wer das Funktionieren der Strafgerichtsbarkeit in Italien aus eigener Anschauung kennt, muß voll Schmerz feststellen, daß sich die Justizbehörde gegenüber den Organen der Polizei allzu oft in der Lage absoluter Ohnmacht befindet…“ Die Bevölkerung Südtirols hat diesen Worten nichts mehr hinzuzufügen.

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