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„Wem gab Gott Südtirol?“

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Die Eile, mit der man im Sommer dieses Jahres von verschiedenen Seiten die Südtirolfrage mit einer Kompromißformel zu beenden gedachte, hat sich für deren Verfechter nicht bezahlt gemacht. Der verkündete Optimismus, innerhalb weniger Wochen werde der Streitfall „bereinigt“ sein, hat sich wieder verflüchtigt. Der feurige Geist, der für die kompliziertesten Südtiroler Probleme ein Patentrezept zu haben schien, scheint in eine Sackgasse geraten zu sein.

Nach dem Treffen Magnago-Moro vom 20. Oktober in Rom, bei dem der Südtiroler Landeshauptmann ein eifriger Redner, der italienische Ministerpräsident ein aufmerksamer Zuhörer war, wurde es um Südtirol wieder seltsam still. Die italienischen Zeitungen, die sich wochenlang im Sommer erregt mit diesem Thema beschäftigt hatten, schwiegen sich nun darüber aus, um kurze Zeit später ein wahres Trommelfeuer gegen die geplante Lösung abzuschießen. Ein Zeichen dafür, daß sich die Positionen wieder verhärtet haben? Ein Zeichen dafür, daß die Frage in Rom wieder eingefroren wurde?

Beide Vermutungen dürften teilweise der Wirklichkeit entsprechen. Dr. Magnago fand in Rom bei seiner schwierigen Mission dn der Form offene Türe, in der Substanz jedoch geschlossene Schubladen vor. Moro empfing ihn mit liebenswürdiger und verständnisvoller Freundlichkeit, hörte sich mit „Geduld“ (wie italienische Zeitungen ausdrücklich betonten) die Wünsche des SVP-Ob- mannes nach Klärung verschiedener Fragen an und versprach, die Südtiroler Wünsche durch seine Minister eingehend prüfen zu lassen. Verpflichtet hat sich Moro hingegen zu nichts. Nicht einmal zu Terminen. Mit der Lösung der Südtirolfrage hat man es nun nicht mehr so eilig.

Arme italienische Minderheit!

Ein nicht unbeträchtlicher Teü der italienischen Presse nützt diese Pause, um in bewegten, ja dramatischen Worten das Los der italienischen „Minderheit“ in Südtirol zu beklagen, die auch ohne die verlangten „Klärungen der SVP“ dem langsamen Untergang geweiht sei. Schon im Herbst hatten sich die zahlreichen rechtsextremistischen Vereine in seltener Eintracht zusammengefunden, um gegen den „Verrat am Brenner“ zu wettern. Bei den gutbesuchten „Protestkundgebungen“, bei denen die alten faschistischen Kampfparolen wieder aus der Mottenkiste geholt wurden, hieß es auf den Spruchtafeln:

„Gott hat uns Südtirol gegeben, Moro nimmt es uns wieder weg“ oder „1915 bis 1918: Südtirol, Blut und Ruhm — 1966: Südtirol, Blut und Schande“.

Alte Kämpfer Und junge Hitzköpfe verbrüderten sich zu einer faschistischen Kampffront.

Anfangs Oktober, als man fast allerseits noch bezüglich eines baldigen Abschlusses der Südtirolkontroverse in Optimismus schwelgte, hatte ein jugendlicher Rechtsradikaler vom Dach eines benachbarten Hauses eine Tränengasbombe in den Palazzo Chigi, dem Sitz des italienischen Ministerpräsidenten, geworfen. Ein Demonstrationsmittel des 20. Jahrhunderts! An dem „Geschoß“ war ein Zettel mit der Inschrift befestigt:

„Weder die Schande, vor der österreichischen Erpressung in die Knie zi/L gehen, noch die Ermordung junger italienis'cher Soldaten haben auf Ministerpräsident Moro Eindruck gemacht. Möge dies ihn nun zu Tränen der Scham veranlassen und ihn dazu bringen, im Interesse des Vaterlandes zu handeln. Es lebe das italienische Oberetsch!“

Protest der Lernfaulen

Einige Tage nach Schulbeginn geriet Italien auch in Bozen in Gefahr. Ein paar hundert halbwüchsige italienische Schüler hatten wenig Lust, den Unterricht zu besuchen. Was tun? Man griff zum altbewährten Rezept und demonstrierte für die „Italianitä“ Südtirols! Kundgebungen dieser Art sind Südtirolern, so etwa der Gewerkschaft ASGB, in ihrer Landeshauptstadt Bozen seit langer Zeit untersagt. Einem Rudel Lernfauler, die mit „Italia-Italia“- und „Mörder-Mörder“-Rufen johlend durch die Stadt zogen, wird dieses Recht ohne Zögern eingestanden. Die Südtiroler sind eben die „bestbehandelte Minderheit der Welt“...

Es wäre sicherlich falsch, diese rechtsradikalen Auswüchse um Südtirol zu überschätzen. Der Nationalismus schlägt hier seine Purzelbäume, das war vorauszusehen. Dennoch sollte die „nationalistische Zikade“ (so der große sozialistische Kulturhistoriker Gaetano Salvemini), die wieder eifrig zu zirpen beginnt, nicht unterbewertet werden. Mit Emotionen um die bedrohte Einheit oder Ehre des Vaterlandes ist in Italien noch immer gut Staat zu machen. Das wissen die politischen Rattenfänger von 1966 ebensogut, wie es Mussolini wußte.

Südtirol „in der Presse“

Ein Blick in die Südtirolberichte auflagenstarker und oft auch angesehener italienischer Tageszeitungen kann einen denn auch das Gruseln lehren. In Zukunft werde man als Italiener nur mit einem Paß nach Bozen, der Hauptstadt der „Alpenrepublik Südtirol“, einreisen können, schrieb beispielsweise eine römische Zeitung. In der renommierten Illustrierten „Epoca“ erfindet Augusto Gueriero, Leitartikler des „Corriere della Sera“ und ehemaliger faschistischer Präfekt von Bozen, Woche für Woche neue Patentrezepte, wie man die aufsässigen Südtiroler zu behandeln habe. Bei jedem Anschlag solle man einfach ein paar hundert „Rebellen“ aussiedeln. Natürlich auf ganz humane Art...

Auf diese Weise wird das sowieso seit Jahrzehnten völlig verzerrte Südtirolbild einem großen Teil der italienischen Öffentlichkeit in immer erschreckenderen Variationen dargeboten. Es ist daher verständlich, wenn Ministerpräsident Moro in der Frage neuer Konzessionen sehr vorsichtig taktieren muß, um die aufgescheuchte Öffentlichkeit nicht noch mehr im Bewußtsein zu stärken, daß der österreichische Doppeladler schon mit gierigen Krallen nach Südtirol greife.

Takt und Unwetter

Von der sonst so marktschreierisch betonten „Italianitä“ des „Alto Adige“ war anläßlich der Unwetterkatastrophe, die Italien, aber auch weite Teile Südtirols am 4. November heimsuchte, allerdings nicht viel zu merken. Industrieminister Andre- otti, Innenminister Taviani und Staatspräsident Saragat kamen zu Besprechungen in das vom Hochwasser schwer betroffene Trient. Über die Salurner Klause setzte keiner von ihnen seinen Fuß. Vertreter der Südtiroler Landesregierung zu den Besprechungen einzuladen, vergaß man... Nur Ministerpräsident Moro hatte Takt und Fingerspitzengefühl genug, auch Südtiroler nach Trient einzuladen. Bei diesem Anlaß versicherte er den SVP-Politikern, daß die Bemühungen um eine baldige Lösung der Frage trotz der großen Probleme, welche die Unwetterkatastrophe für die Regierung aufgeworfen habe, ohne Verzug weitergeführt würden.

Zur Zeit werden die „Klärungs“- Wünsche des SVP-Parteiausschusses von Experten der jeweils betroffenen Ministerien in Rom geprüft. Das Resultat dieser Sondierung soll dann im Ministerrat diskutiert werden. Eine weitere Aussprache Moros mit Magnago scheint nicht unwahrscheinlich zu sein.

Daß die Landesversammlung der Südtiroler Volkspartei, die das letzte Wort zu sprechen hat, noch in diesem Jahr einfoerufen werden kann, ist nicht anzunehmen. Mit der Antwort Roms kann im günstigsten Fall kurz vor Weihnachten gerechnet werden. Dann müssen nochmals die Parteigremien der SVP (Parteileitung und -ausschuß) dazu Stellung nehmen. Je nach der Stärke des römischen Pendelschlages zugunsten der noch offenen Fragen wird eine positive (im anderen Falle eine negative) Empfehlung an die Landesversammlung ausgesprochen werden.

Die fatalen „14 Punkte“

14 Punkte gilt es noch zu klären. Bei einigen von ihnen dürfte es bei einem Mindestmaß an gutem Willen Rom nicht schwerfallen, den Wünschen der Südtiroler in einem befriedigenden Maß entgegenzukommen. Die Hauptschwierigkeiten für eine baldige Lösung dürften sich vor allem bezüglich der Frage der internationalen Verankerung des „Südtirolpaketes“ (hier wird von der SVP eine „wirksame“ Verankerung verlangt, was sich mit dem von Italien angebotenen Internationalen Gerichtshof kaum decken dürfte) und bei der Frage der „Garantien für die italienische Minderheit“ (die es ebensowenig gibt wie eine französische „Minderheit“ in Frankreich oder eine griechische in Griechenland!) ergeben. Das vor allem von der Bozener DC zur Wahrung ihrer Interessen nachdrücklich verlangte Vetorecht bei der Verabschiedung des Haushaltes ist von der SVP niemals akzeptiert worden. Es ruft in peinlicher Form Assoziationen mit zypriotischen Verhältnissen wach, wo gerade dieses — nebenbei sehr undemokratische — Recht den Grundstein für das politische Chaos legte. Auch in der Schul- und Sprachenfrage, beim Arbeits- und Meldeamt, bei der Wahrung der bisher verweigerten Budgethoheit, bei Polizei und beim Fernsehen, bei der Frage nach genauen Terminen bezüglich der Durchführungsbestimmungen usw. sind noch manche wesentliche Wünsche der Südtiroler offengeblieben.

Der „schwarze Peter“, der monatelang bei Wien und Bozen lag, liegt nun wieder in Rom. Die italienische Regierung muß in den nächsten Wochen die Entscheidung treffen, ob sie den schweren Verzicht der Südtiroler Führung auf die jahrelang propagierte Trennung von Trient durch ein klares Ja zur Mehrzahl der noch offenen Wünsche zu honorieren imstande ist. Versäumt sie dies zu tun, ist wieder einmal eine Chance für Südtirol, für Italien, aber auch für Europa verspielt worden.

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