6772619-1969_09_01.jpg
Digital In Arbeit

Der kritische Punkt für Südtirol

19451960198020002020

Emen ganzen Tag lang kamen letztes Wochenende die Exponenten der Sudtiroler Volkspartei: nicht zu ihrem-entscheidenden Tagesordnungspunkt: zur Behäridhihgdes „Paketes1' — der wichtigsten Frage der Deutschsprachigen: zwischen Brenner und dem Trentino. Eine wachsende Front machte deutlich, daß die Bildung der Landesregierung unter Silvio -JÖagnagö nicht ungeteilte Freude der Parteifreunde in der SVP fand. Und Eingeweihte wollen wissen, daß'beileibe nicht alle Schwierigkeiten in Bezea aus dem Weg geräumt sind.

19451960198020002020

Emen ganzen Tag lang kamen letztes Wochenende die Exponenten der Sudtiroler Volkspartei: nicht zu ihrem-entscheidenden Tagesordnungspunkt: zur Behäridhihgdes „Paketes1' — der wichtigsten Frage der Deutschsprachigen: zwischen Brenner und dem Trentino. Eine wachsende Front machte deutlich, daß die Bildung der Landesregierung unter Silvio -JÖagnagö nicht ungeteilte Freude der Parteifreunde in der SVP fand. Und Eingeweihte wollen wissen, daß'beileibe nicht alle Schwierigkeiten in Bezea aus dem Weg geräumt sind.

Werbung
Werbung
Werbung

Magnago seinerseits wird demnächst neuerlich nach Rom fahren, um sprachliche Auslegungsprobleme der Fassungen zu,klären. Es könnte ihm aber passieren, daß es um mehr als sprachliche Differenzen geht. Immerhin: der Inhalt des, „Paketes“, also der inneritalienischen Zugeständnisse, zeigt in einigen Punkten wesentliches Nachgeben der römischen Zentralen:

• Zwar bleibt es dabei, daß die Doppelregion Trentino-Südtirol bestehen bleibt, doch erhält die Provinz Bozen beträchtliche Autonomie: nämlich u. a. Primärgesetzgebung für Jagd und Fischerei, Bergwerkswesen, Straßenwesen, unmittelbare Übernahme von öffentlichen Diensten, Fremdenverkehr, öffentliche Fürsorge;

• Kompetenz für die Organisation der Schulämter und Schuldienststeilen, Einrichtung der deutsch-und ladinischsprachigen Schulen;

• Gleichberechtigung der Sprachen vor Behörden und Gerichten;

• Überwachung der Arbeitsvermittlung, Vorbereitung des Wirtschafts-entwicklunsplanes der Provinz und Mitsprache der Sprachgruppen bei der Budgeterstellung;

• vor allem aber Proporz bei der Besetzung der Ämter der staatlichen Verwaltung durch ein' System von „Stammrollen“, die für jeden öffentlichen Angestellten in der Provinz angelegt werden.

Alle diese angeführten Punkte würden in Rom als' Verfassungsbestimmungen beschlossen werden, was ihren Wert und die Bedeutung erhöht. '•'“;. Freilich, diese inneritalienisehen Maßnahmen brauchen — nach Meinung des Ausschusses der Südtiroler Volkspartei vom 23. März 1967 — noch der „internationalen Verankerung“. Denn es bleibt klar, daß Italien einseitig die Konzessionen durch einen parlamentarischen Akt rückgängig machen kann. Diese „internationale Verankerung“ aber ist der strittige Punkt, um den es zwischen Wien und Rom noch immer geht. Denn der Inhalt des „Paketes“ ist Österreich nie offiziell zur Kenntnis gebracht worden, und erst auf dem Geheimdienstpfad brachte man eine Version (ist es die letzte?) in das Wiener Außenamt. Der sogenannte „Operationskalender“ steht für Maßnahmen, die in der Summe für Wien einer „internationalen Verankerung“ gleichkommen, in Rom aber nach wie vor nur den Internationalen Gerichtshof als einzige Streits<hlichtungsinstanz anerkennen. Die wesentlichen Differenzen im „Operationskalender“ sind:

• Nach italienischen Auffassungen sollen der österreichische und der italienische Regierungschef vor ihrem Parlament eine „Standstill“-Erklärung abgeben, nach Wiener Meinung nur der italienische.

• Österreich will zuerst die Verfassungsgesetze mit erstem Votum genehmigt sehen, bevor der Vertrag über die Einschaltung des Internationalen Gerichtshofes unterzeichnet wird, während Italien den umgekehrten Vorgang vorschlägt.

• Österreich will eine „Streitbeilegungserklärung“ erst 60 Tage nach endgültiger Verwirklichung aller Gesetze, Duirchführungsbestimmun-gen und Veraltungsverfügungen Italiens für die Provinz abgeben, während Italien schon nach 21 Tagen eine solche Erklärung Österreichs wünscht.

Immerhin: es hat den Anschein, als würden sich diese diplomatischen Differenzen ausgleichen lassen, weil sie nicht so sehr grundsätzlicher Natur sind.

ie Gefahr liegt nach wie vor in Südtirol selbst. Schon meint der rechte Flügel in Südtirol, daß man die Landesversammlung einberufen müsse — weil auch jeder Bauer aus dem hintersten Dorf seine Meinung sagen können müsse. Dagegen halten die Südtiroler Spitzen daran fest, daß nur Experten praktisch Wert und Unwert des „Paketes“ und der „internationalen Verankerung“ entscheiden können — und daß daher die Parteiführung Entscheidungsrecht habe.

Sollte sich in der SVP also eine schwerwiegende Differenz abzeichnen und sollten die Verhandler um Magnago etwa nicht das Vertrauen des Ausschusses erhalten, müßte wahrscheinlich die Landesversammlung einberufen werden: Kenner sprechen heute schon davon, daß dann die Lösung alles andere als gewiß ist. Und Extremisten sprechen schon wieder von „Verrat“ durch die SVP-Spitze und durch Wien. Die „National-Zeitung“ fixiert, daß der „kritische Punkt“ erreicht sei. Was also tun, so fragt man sich besorgt, wenn etwa fünf vor zwölf wieder Minen hochgehen und auch Menschenleben nicht geschont werden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung