7021078-1988_45_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Patriarch hofft

Werbung
Werbung
Werbung

„Vor den neuen Attentaten hätte ich prophezeit, daß der Stimmenanteil der Neufaschisten wieder zurückgehen wird; jetzt kann ich das nicht mehr sagen.“

Silvius Magnago spricht von den Südtiroler Landtags- und den Regionalratswahlen am 20. November, und er hat diese Feststellung wenige Tage getroffen, bevor erste Verhaftungen in Osterreich den Verdacht auf Unruhestifter nördlich des Brenners lenkten.

Aber ob sich dieser Verdacht nun erhärten läßt oder nicht — eins wußte Magnago immer: „Attentate nützen auf jeden Fall den Neufaschisten, weil sie in der italienischen Bevölkerung eine Angststimmung schüren ...“

Jahrzehntelang haben die Tiroler an Passer und Talfer, Eisack und Etsch die „walsche“ Uber-fremdung gefürchtet. Seit einigen Jahren fürchten erstmals die Italiener, in Südtirol an den Rand gedrängt zu werden. Wer diese Sorge nährt, könnte das Lebenswerk des weißhaarigen Patriarchen mit Beinprothese und Krücken gefährden, der mit dem Feuer eines Jünglings für die Vollendung dieses Werkes ficht.

Von den 137 im Maßnahmenpaket von 1969 versprochenen Punkten sind bis auf wenige alle erfüllt. Die wenigen haben es freilich noch in sich — vor allem die erst in den letzten Jahren zum Problem gewordene Weisungs- und Koordinierungsbefugnis der Zentralregierung auch gegenüber Regionen mit Sonderstatut wie Trenti-no-Südtirol. (Die immer schon bestehende Steuerungsgewalt gegenüber Regionen mit Normalstatut hat die Südtiroler nie weiter aufgeregt.)

Wenn der Staat findet, daß es „im nationalen Interesse“ liegt, die Qualitätsbestimmungen für Hotels oder die Zugangsregelungen im Gewerbe zu vereinheitlichen oder etwa jeder Region eine

Giftmülldeponie vorzuschreiben, mag man darin noch etwas Sinnvolles sehen und sich zu Kompromissen zusammenstreiten. Wie aber, wenn Herzensanliegen des Minderheitenschutzes eines Tages dem „nationalen Interesse“ geopfert werden müßten?

Die Benedikter-Fraktion innerhalb der Südtiroler Volkspartei (SVP) verstört der Gedanke so sehr, daß sie von einer Streitbeilegungserklärung durch Österreich derzeit aber schon gar nichts wissen will. Die Parteimehrheit ist gleichfalls bekümmert, möchte aber nicht das ganze Paketwerk in Frage gestellt sehen.

Eine Vorentscheidung darüber, wie es weitergehen soll, wird auf der Landesversammlung, dem höchsten Organ der SVP, getroffen werden. Jüngst hieß es, diese werde von Dezember auf Frühjahr verschoben. Als die Benedikter-Gruppe Flucht vor dem Volkszorn unterstellte, reagierte Magnago prompt und gab Vollgas: „Selbstverständlich bleibt es beim 10. Dezember.“

Aber während der radikalere Parteiflügel dort festschreiben möchte, daß die Landesversammlung Österreich derzeit noch keine Streitbeilegung empfehlen kann, erwarten die Anhänger Ma-gnagos vom Parteiführer eine andere Taktik: Die Landesversammlung könnte die Streitbeilegung unter der Voraussetzung empfehlen, daß bestimmte Punkte von Rom noch erfüllt werden; ob dies geschehen ist, könnte eine außerordentliche Landesversammlung dann 1989 erklären.

Silvius Magnago, seit 1948 Mitglied des Landtags, für den er diesmal nicht mehr kandidiert, seit 1957 SVP-Obmann (der er bis

1990 bleiben wird), seit 1960 Landeshauptmann und mit 74 Europas dienstältester Regierungschef, hat einen Plan, wie sich das Verfassungsproblem lösen ließe: indem man authentisch interpretiert bekommt, daß der im Artikel 4 des Pariser Abkommens verankerte Minderheitenschutz selbst ein „nationales Interesse“ darstellt und nicht von einem anderen nationalen Interesse verdrängt werden darf.

Das kriegt der schlaue Fuchs im Bozner Landhaus wohl auch noch hin - aber nicht bis Nikolo 1988. Daher will er künftig alle Kräfte darauf konzentrieren, daß dies erreicht und nicht das ganze Paket noch einmal in Frage gestellt wird.

„Aber nicht um jeden Preis“, sagt er funkelnden Auges, wenn man ihn fragt, ob das die Erfüllung seines Lebenstraumes wäre. „Um jeden Preis abzuschließen, hieße, der menschlichen Schwäche ein zu großes Opfer zu bringen. Das wäre direkt lächerlich.“

Dem gevif ten Langzeitdiplomaten glaubt man nichts so sehr wie seine Redlichkeit. „Krieg' ich die Genugtuung, auch das Letzte erreicht zu haben, freu' ich mich. Krieg' ich sie nicht, freu' ich mich auch, weil ich bis zuletzt meine Pflicht getan habe.“

Und der Friedensnobelpreis, für den er bisweilen genannt wird? „Natürlich freut man sich über eine solche Nennung. Aber unser Frieden hat keine weltweite, höchstens europaweite Bedeutung — und vor allem: wir haben ihn noch nicht! Deshalb müßt' ich derzeit glatt nein sagen.“

Derzeit. Aber wenn den verblendeten Bombenwerfern doch noch rechtzeitig das Handwerk gelegt würde, dann müßte sich Silvius Magnago nicht mehr so „sauunwohl“ bei diesem Gedanken fühlen, wie er es im heutigen Selbstverständnis noch tut.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung