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Wettersturz auchin Südtirols Politik

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Zur umstrittenen Sprach- gruppenerhebung gesellt sich die Nichtdurchführung des „Paketes“ als politischer Sprengstoff. Österreich wird wieder eingeschaltet werden.

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Zur umstrittenen Sprach- gruppenerhebung gesellt sich die Nichtdurchführung des „Paketes“ als politischer Sprengstoff. Österreich wird wieder eingeschaltet werden.

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Seit Menschengedenken hat es im Uberetsch Ende Oktober nicht mehr geschneit. Heuer drückten Schneestürme die Weinstöcke bis hart an die Grenzen der Stadt Bozen zu Boden. Frostig ist in diesen Tagen freilich auch das politische Klima.

Der 25. Oktober war der Stichtag für die Sprachgruppenerhe- bung, die Südtirol politisch aufgewühlt hat. Mit diesem Tag war zu erklären, ob ein Bewohner Südtirols sich der deutschen, der

italienischen oder der ladinischen Sprachgruppe zugehörig fühlte. Eltern minderjähriger Kinder mußten auch für diese votieren.

In gemischtsprachigen Ehen (und jede zehnte in der Provinz Bozen geschlossene ist jetzt ein solche) ergibt das Probleme: Man will vielfach die Kinder bewußt in einem gemischtsprachigen Kulturkreis heranwachsen lassen — warum die messerscharfe Festlegung?

Die Opposition hat denn auch mit aller Schärfe gegen das Einsperren der Südtiroler in „ęthni- sche Käfige“ gewettert und das böse Wort von der „Option 81“ in die Welt gesetzt. Es erinnert an das Jahr 1939, als 69 % der Südtiroler für das Deutsche Reich „optierten“ und 75.000 von ihnen daraufhin nach Deutschland umgesiedelt wurden.

Den Optionsvergleich hat selbst der deutsche „Spiegel“ als „reichlich demagogisch“ qualifiziert, obwohl viele deutsche und auch österreichische Zeitungen Sympathie für die Gegenargumente der „Neuen Linken/Nuova sini- stra“ des Landtagsabgęordneten Alexander Langer erkennen ließen. Diese klingen in der Tat weltoffener, toleranter als etwa die harte Separationsparole des Lan-

desassessors Anton Zeiger: „Je schärfer wir trennen, um so besser verstehen wir uns.“

Alles das beunruhigt zutiefst Landeshauptmann Silvius Ma- gnago, der seit 1948 im Landtag die Interessen der Südtiroler vertritt, seit bald 25 Jahren auch Obmann der Südtiroler Volkspartei (SVP) und seit 21 Jahren Landeshauptmann der Provinz Bozen ist. Er fühle sich „stark belastet“ von dieser „Riesensorge“, ließ er die FURCHE in einstündigem Gespräch wissen, das freilich auch seine ungebrochene Kraft und Leidenschaft offenbarte.

Das Autonomiestatut 1972 hat den bisher stark benachteiligten deutsch-sprachigen Südtirolern und Ladinern Zugang zu öffentlichen Ämtern und finanziellen Zuwendungen des Staates gebracht. Voraussetzung für deren Inanspruchnahme ist die Kenntnis der Sprachgruppengrößen. Nun sind diese wohl auch bei früheren Volkszählungen ermittelt worden, aber immer nur als ganzes und ohne konkrete Folgen für den einzelnen.

Diesmal bekommt der einzelne einen „Volkstumsschein“, den er Bewerbungen um öffentliche Posten, Sozialwohnungen, Stipendien usw. beilegen muß. Damit ist er „abgestempelt“ für zehn Jahre: Erst bei der nächsten Volkszählung kann er sich nach eigener Einstufung anders entscheiden.

Wenn aber nun eine größere Zahl von Südtirolern dem Boykottaufruf der Neuen Linken

folgt (auch wenn dies strafbar ist), fürchtet Magnago, daß damit das ganze Autonomiestatut ins Wanken kommen könnte. Das würde dem Land schwere Konflikte bescheren. Magnago bezeichnet daher den Proporz als „Friedensformel“.

Daß es dabei etwa in gemischtsprachigen Familien Probleme geben kann, bestreitet Magnago nicht, erblickt in deren Bewältigung aber einen „Tribut, der für das Friedensziel zu erbringen ist“.

Die Nichterklärung für minderjährige Kinder ist übrigens in einem in Rom in letzter Stunde erzielten Kompromiß straffrei gestellt worden. Alle „Paket“-Par- teien und auch die Kommunisten machten hier ebenso wie bei der Zuerkennung gewisser Begünstigungen an die Ladiner mit, was Neulinke, Radikale und Neofaschisten allein auf der Walstatt zurückließ.

Dennoch geht die Kampagne der Neuen Linken weiter—zumindest bis zum letzten Abgabetag der Formulare Mitte November. Ungewollte Schützenhilfe erhält sie durch teilweise recht halsstarrige Vorgangsweisen einzelner SVP-Politiker.

So hat Lhstv. Hans Benedikter in Latsch im Vinschgau eine Apotheke sperren lassen, weil ein Italiener sie proporzwidrig führte, und kritisierte dann den deutschsprachigen Dienst der staatlichen Rundfunkanstalt RAI in Bozen, weil dieser dem Volkszorn darüber Bildschirmresonanz verschafft hatte.

Auch die Schreibweise der „Dolomiten“ wird zunehmend auch von SVP-Sympathisanten als wenig flexibel empfunden, während das SVP-Organ „Volksbote“ unter der Federführung Friedl Volg- gers um Pluralität und Sachargu- mentation erkennbar bemüht ist. Beide aber sind Voraussetzungen für anhaltende Sympathiebegleitung im Ausland. ‘

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