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Drei Sprachen nebeneinander

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In Österreich ist das Minderheitenschutzgesetz in Kraft getreten. Man streitet sich noch um die Zusammensetzung der Beiträge, um die Zahl der Ortschaften mit zweisprachigen Aufschriften, mit doppelter Amtssprache. Wie aber lösen die ändern ihre Minderheitenprobleme? Wie leben in anderen Staaten Volksgruppen, die sich vom Mehrheitsvolk unterscheiden? Etwa die Ladiner in Südtirol?

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In Österreich ist das Minderheitenschutzgesetz in Kraft getreten. Man streitet sich noch um die Zusammensetzung der Beiträge, um die Zahl der Ortschaften mit zweisprachigen Aufschriften, mit doppelter Amtssprache. Wie aber lösen die ändern ihre Minderheitenprobleme? Wie leben in anderen Staaten Volksgruppen, die sich vom Mehrheitsvolk unterscheiden? Etwa die Ladiner in Südtirol?

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Die zwei Frauen unterhalten sich im gleichen Tempo und mit der gleichen Vehemenz wie Bauernfrauen auf der ganzen Erde. Der Fremde versteht kein Wort - bis ein bekräftigendes „Genau” den Wortschwall abschließt, der gleich darauf ebenso unverständ- 1 ich wie vordem weiterläuft. Nur bei genauem Zuhören taucht hier ein deutsches Wort, dort ein italienischer Ausdruck aus dem harten Klang des Ladinischen. Dort, wo der heimische Wortschatz versagt.

Am Tisch der „Fana Ladina”, des auch von Fremden gern besuchten Spezialitätenrestaurants - sitzt eine Runde Burschen, Skilehrer unter ihnen. Die Unterhaltung läuft lebhaft, in ladinisch zuerst, dann ein paar Sätze deutsch, dann wieder italienisch, wie es gerade kommt - vom Gesprächspartner, vom Gesprächsinhalt, vom momentanen Einfall her bestimmt? Es ist ihnen offenbar selbst nicht bewußt, wann und warum sie von einer Sprache in die andere fallen. Für sie sind alle drei selbstverständlich.

Einer greift zur Gitarre - nicht ohne die Gäste am Nebentisch um Zustimmung zu fragen -, singt mit eher italienischem Timbre. Deutsche Schlager, wie sie der Rundfunk über die Berge rieselt, alte Sänge, wie sie einst in der Wehrmacht üblich waren und auch heute an jedem deutschen Stammtisch offenbar unvermeidlich sind, italienische Volkslieder, offenbar vom Militärdienst mitgebracht. Nichts Ladini- sches.

St. Virgil im Enneberg, 15 Straßenkilometer von Bruneck, in einem Nebenstrang des Gadertales gelegen, aufstrebender Fremdenverkehrsort, der in diesem Winter eine Saison wie noch nie erlebt hat - 1000 Einwohner, 3500 Fremdenbetten, neben St. Martin das Zentrum des Ladinergebiets Ga- dertal.

Die neue Mittelschule - sie entspricht unserer Hauptschule, nur setzt in Italien die höhere Schule erst mit der zehnten Schulstufe ein - ist erst im Herbst eröffnet worden. Eine überdimensionierte Tafel, noch aus der Bauzeit, verkündet, wer zuständig war für Planung und Bau der „ladinischen Mittelschule”. Verkündet es in deutsch und italienisch, den Amtssprachen der Provinz Bozen. Nicht in der Sprache derer, für die sie gebaut wurde. Dafür kündet über dem Haupteingang nur die ladinische Bezeichnung vom Zweck des bestens eingerichteten Baus …

Im Lehrplan der ladinischen Mittel - schule ist eine Stunde pro Woche der Muttersprache gewidmet, daneben spricht nur der Religions- und der Zeichenlehrer mit den Kindern im häuslichen Idiom. Die einen Fächer werden italienisch unterrichtet, die anderen deutsch, zu gleichen Teilen. Am Ende der Pflichtschule soll der Schüler beide Sprachen gleich gut beherrschen. Der Direktor ist skeptisch: eine schwierige Aufgabe, die nur zum Teil erreicht wird. Das Gespräch mit den Menschen, die dem Gast im Hotel, im Restaurant, im Geschäft entgegentreten, hinterläßt eigentlich einen besseren Eindruck.

Dr. Eduard Pizzinini, 55, hat den Weg der ladinischen Führungsschicht im letzten halben Jahrhundert am eigenen Leib miterlebt. Dorfschule im hinteren Gadertal, zu einer Zeit, da die Faschisten kein Wort ladinisch zuließen, dann das - deutschsprachige - bischöfliche Knabenseminar in Brixen, die Lehrerbüdungsanstalt. Damit galt er als Südtiroler, erlebte den Krieg in einer deutschen Gebirgsdivision mit. Er begann seine Berufstätigkeit als Dorfschullehrer in dem benachbarten Bergdorf Enneberg, studierte in Padua Germanistik und leitet nun seit ein paar Jahren die Mittelschule in St. Virgil, wo er Deutsch und Singen unterrichtet; er ist im Männerchor und im Gemeinde rat aktiv und wohl noch in manchen anderen Gremien.

„Wir Ladiner sind Südtiroler”, bekräftigt er, „trotz unserer rhätoroma- nischen Abstammung und eigener Sprache.” Jahrhunderte des Zusammenlebens haben die Gebräuche angepaßt, dieselbe Mentaltät erzeugt - eine ganz andere als die der Italiener, die erst seit einem halben Jahrhundert in diese Berge kamen. Und erst mit dem Fremdenverkehr in größerer Anzahl.

In der einen Stunde Ladinisch in der Schule muß alles untergebracht werden, was es zur unmittelbaren Heimat und zur Muttersprache zu sagen gibt. Das ist wenig. Der Direktor ergänzt damit, daß er in der Singstunde vorwiegend einheimische Volkslieder singen läßt - aber auch dieses Liedgut ist erst in jüngster Vergangenheit wieder aktiviert worden. Es war lange verschüttet.

Trotzdem - eine Stunde muß genügen. Mehr ist nicht drin. In der Volksschule der Sechs- bis Elfjährigen dient das Ladinische überhaupt nur in der ersten Klasse als Hilfssprache, soweit die Kleinsten das geforderte Italienisch noch nicht mitbringen.

Pizzininis Änderungswünsche, wenn er sie äußern sollte, gingen in anderer Rcihtung: Die jungen Menschen müssen deutsch sprechen können, wenn sie über ihr Dorf hinaus vorwärts kommen wollen. Sie leben in Südtirol, unter Südtirolem, müssen deren Schulen besuchen. Dazu müssen sie Deutsch können. Das Italienische - immerhin Staatssprache - komme dann von selbst. Deswegen sollte der Deutschunterricht gegenüber dem italienischen verstärkt werden. Und deswegen brauchte die Schule dringend eine kräftige Injektion für die Schülerbibliothek - wer spendet deutschsprachige Jugendbücher?

Denn die Mittelschule von St. Virgil ist schon die höchste Form „ladini- scher” Schule-nurimGrödnertalgibt es eine Kunstfachschule, dreijährig, für die Bildschnitzer, mit einer zweijährigen Oberstufe, die zu einer Fachmatura führt. Die Gymnasien in Bru- nęck, Brixen, Bozen sind deutsch (In italienische geht niemand! versichert der Direktor). Auch neunzig Prozent der Studenten ladinischer Herkunft studieren in Innsbruck.

Wie aber steht’s im eigenen Dorf?

Von den vier Messen des Wochenendes in der, hübschen Barockkirche werden - laut Anschlag - zwei deutsch, zwei italienisch zelebriert, man nimmt Rücksicht auf die Fremden. Für die Einheimischen liest der Pfarrer in der Sonntagsfrühmesse die Lesungen auf ladinisch. Zu der Zeit ist ohnehin kein Fremder zu erwarten. Die Verkündigungen liegen vervielfältigt auf, auch ladinisch. Für den 14. Februar, „Lö- nesc” (Montag), kündigten sie eine Messe an „in onür del beät Ulrich Frei- nademetz”, zu Ehren des kürzlich seliggesprochenen Chinamissionars, der aus dieser Gegend stammte. Aber auf der Kehrseite sind Sätze aus der Bergpredigt und dem „Gotteslob” in deutsch zitiert. Man braucht nicht zu übersetzen.

Zweisprachige Ortstafeln? Hier müßten sie dreisprachig sein, neben den beiden Amtssprachen der Provinz Bozen. Dreisprachig ist nur das Gemeindeamt: „Ciasa de Comun - Mu- nicipio - Rathaus”. Die Wegweiser nur italienisch und deutsch. „Al Plan” für St. Virgil, „La pli” für Ennberg, findet man nur auf den ladinisch geschriebenen Gedenktafeln am Kriegerdenkmal, wo der Angehörigen der k. u. k. Armee aus dem Ersten, der deutschen wie der italienischen Armee aus dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam gedacht wird. (Auf dem benachbarten Friedhof „sprechen” die Grabsteine nur deutsch oder italienisch.)

Seit dem Amtssprachengesetz, das die Doppelsprachigkeit in der Provinz herstellte - Pizzinini hebt Österreichs Hilfe beim Zustandekommen des Süd- tirol-„Pakets” lobend hervor - hat sich auch bei den Ladinern das Selbstbewußtsein gehoben. Auf den Autos tauchen Etiketten „Ladins” auf; rund um das „I” des internationalen Kennzeichens rankt sich das Bekenntnis „Sun en Ladin” (die Südtiroler fingen an damit, auf ihre Autos das Bekenntnis „I bin a Südtiroler” zu picken.).

Allmählich dringen ladinische Hausbezeichnungen vor. Bis vor wenigen Jahren hießen die Hotels „Phönix” und „Olympia”, die neuen nennen sich „Le Tablė” (Die Hütte) oder „La Mąjun” (Das Häus) oder greifen die autochthonen Flurnamen auf. Bis auch auf dem Ortsschild neben „San Vigilio di Marebbe” und „St. Vigil im Enne- werg” noch „Al Plein de Mareo” prangt, dürfte nur mehr eine Frage der Zeit sein. Sicherlich nicht ein Grund zum Streit.

15.000 Ladiner wurden 1971 in der Provinz Bozen gezählt, 3,7 Prozent der Bevölkerung dieses Kem-SüdtiroL Weitere 7000 leben im Fassatal, Provinz Trient, Reste bei Buchenstein und Ampezzo (Provinz Belluno). Die Ga- dertaler haben ihr Volkstum am besten erhalten, stellt der Direktor fest. Im Grödnertal drückt der noch stärkere (deutsche) Fremdenverkehr in Richtung auf eine Assimilierung mit den (Deutsch-)Südtirolem, im Fassatal ist der italienische Sog stark. Von jenen bei Ampezzo ist nicht mehr viel festzustellen.

In Padua gibt es an der Universität einen Lehrstuhl für Ladinisch - mit einem Italiener besetzt. Der eigene Spezial sitzt in B runeck als Gymnasial - lehrer, ist aber den Italienern zu „rotweiß”, um hochzukommen. Wie lange ist es her, da die Innsbrucker Romanistik die Pflege des Rhätoromanischen als ihre besondere Aufgabe ansah?

So fehlt dem Ladinischen heute der Anschluß an die Zeit. Der Wortschatz beschränkt sich auf den Dorfgebrauch. Was darüber hinausgeht, wird aus dem Deutschen oder Italienischen unverändert übernommen. Das Schrifttum ist schütter. Eine Monatszeitschrift bemüht sich um die Landsleute - und räumt je eih Viertel des Umfangs jeder der vier Varianten des

Ladinischen ein. Denn es fehlt die gemeinsame „Hochsprache”.

Und politisch? „Wir sind Südtiro- ler!” hatte Pizzinini bekannt. So „schlupfen” die Ladiner auch bei der Südtiroler Volkspartei unter. Im Landesrat, dem Provinzlandtag, muß ein Ladiner sitzen. Ihn nominiert die SVP. Zurzeit kommt er aus dem Grödnertal. In der Gemeinde wird nicht nach Parteien gewählt, sondern nur nach Persönlichkeiten. Von den 15 Gemeinde- vätem kommen sieben aus dem engeren St. Vigü, fünf aus Enneberg, drei aus der dritten Ortschaft Welschellen. Genau nach dem Bevölkerungsschlüssel. Niemand fragt nach Partei oder völkischer Herkunft. Denn gerade hier im Gadertal zeigt das ladinische Volkstum eine solche Kraft, daß auch die vielen einheiratenden Südtiroler in Kürze integriert sind, statt die Aufweichung der Volksgruppe zu beschleunigen.

Als vor einem Jahr SVP-Abgeord- nete im Landtag den Antrag stellten, im benachbarten St. Martin in Thum ein Kulturinstitut für die Ladiner’zu errichten, da wurde - erstmals in der Geschichte des Landtags - das Referat, in ladinischer Sprache gehalten. Vermutlich hat nur der Referent selbst verstanden, was er vortrug. Aber auch die ändern, Südtiroler wie Italiener, bezeugten dem dritten Volksteil ihre Anerkennung. Der Antrag wurde einstimmig angenommen, der Gesetzestext im Amtsblatt der Provinz auch auf Ladinisch veröffentlicht. Es geht auch so…

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