6665148-1960_29_06.jpg
Digital In Arbeit

Stimme vom anderen Ufer

19451960198020002020

Diesen Brief hat uns ein Italiener geschrieben. In diesen unseren Tagen, da Verwirrung hüben und drüben das Problem verdunkelt, erscheinen uns seine klare Sicht und gelassene Weisheit, vor allem aber (bei aller realistischen Einschätzung) sein Optimismus für die Zukunft beispielgebend.

19451960198020002020

Diesen Brief hat uns ein Italiener geschrieben. In diesen unseren Tagen, da Verwirrung hüben und drüben das Problem verdunkelt, erscheinen uns seine klare Sicht und gelassene Weisheit, vor allem aber (bei aller realistischen Einschätzung) sein Optimismus für die Zukunft beispielgebend.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Welt hat ein kurzes Gedächtnis, und wir Italiener halten es nicht besser: wir haben die Vergangenheit vergessen; Schönes und Hliches; die Schrecken des zweiten Weltkrieges, die Hoffnungen und Versprechungen, die darauf folgten. ' fk - bflBttttav jrra

Wie war denn das nun wirklich mit Südtirol? ' Strategische Gründe vorschützend; gegen die Meinung Cesare Battistis vor seiner Hinrichtung und gegen den Widerstand der Sozialisten verlangte Italien nach dem ersten Weltkrieg die neue Grenze bis zum Brenner. In der Thronrede vom 1. Dezember 1919 versprach der italienische König den Tirolern feierlich die Achtung ihrer Sprache und, ihres Brauchtums. Ein Königswort, sagt ein italienischer Ausspruch, bedeute mehr, sei unverletzlicher, heiliger als ein Schwur.

Aber — wir mußten es erleben, was sein Königswort bedeutete. Die Italiener, die Ehrgefühl und Geschichtssinn haben — und es gibt derer nicht wenige —, können es nicht fassen, daß eine Nation von 50 Millionen, die einen Mazzini und einen Garibaldi hervorgebracht hat, das winzige Problem „Südtirol“ nicht zu lösen imstande ist und die gerechten Forderungen einer ethnischen Minorität von 250.000 Einwohnern nicht erfüllen will. Lind das wäre auch nach dem ersten Weltkrieg so leicht gewesen, hätte man sich die Ermahnungen Arturo Carlo Iemolos,' der noch heute kanonisches Recht an der Universität von Rom lehrt, zu Herzen genommen.

Damals schrieb der berühmte katholische Rechtslehrer:

„Warum sollen wir uns verheimlichen, da es doch sonnenklar ist?! Die Friedensverträge ... haben in unseren Grenzen Elemente aufgenommen, die eine Vereinigung mit unserem Staate nicht wünschen ... Wir hoffen, dafl die Söhne jener, die sich mit Widerstreben an uns angeschlossen haben, uns für die Lauheit ihrer Väter entschädigen werden, wenn ... ja wenn wir uns treu bleiben, jeden Gewaltakt vermeiden und geduldig ausharren, bis die Stunde des einzigen, endgültigen Sieges gekommen ist, in welcher der eroberte Feind uns den Bruderkuf! anbietet*. . Statt des geduldigen Wartens zog es der italienische Staat schon vor dem Hochkommen des Faschismus vor, sein feierliches Versprechen zu brechen, eine kleinliche nationalistische Politik zu betreiben und administrative Systeme einzuführen, die der Bourbonen Neapels würdig wären. Im Jahre 1945 hat der italienische Staat die Früchte dieser kläglichen, verfehlten Politik eingeheimst: Italien lief Gefahr, bei der Pariser Konferenz einen gut Teil Südtirols zu verlieren. Ein reines Wunder war es und nur der Gleichgewichtspolitik der Alliierten zu danken, daß es mit Zara, Istrien und einem Teil der Venezia Giulia nicht auch Südtirol verlor.

Die Tiroler haben einen harten Kopf, wie die Mailänder des Jahres 1848 und 1859 - auch in Wien weiß man davon ... ! Da ist es nicht weiter verwunderlich, daß sich der Tiroler des Jahres 1945 trotz der mehr oder weniger freiwilligen Zuwanderungen aus dem Süden weniger ttalienisjcji fühlte,, als t4 Tiroler. des Jah-

xHtiw9'-MüJcaBTisü asiuaAns lim ^lsl aoiua Immerhin — Italien durfte Südtirol behalten,auch wenn die Gründe, die es dafür anführte, nicht sehr schwer wogen: man brauche die hydroelektrischen Kraftwerke! Eine schwache Begründung fürwahr in unseren Tagen, da man täglich internationale Abkommen schließt, um Strom durch Berge und über Grenzen in andere Länder zu leiten. Aber Italien durfte Tirol nur unter einer Bedingung behalten: daß es das von De Gasperi und Gruber direkt und freiwillig abgeschlossene Abkommen respektiere: ein Abkommen, das internationalen Charakter besitzt und im Friedensvertrag vom 10. Februar 1947 verankert ist; darin wird Südtirol eine weitgehende gesetzgebende Autonomie und die Achtung der ethnischen, kulturellen, ökonomischen Eigenart der italienischen Staatsbürger deutscher Sprache garantiert.

Es ist hier nicht das Forum, zu entscheiden, ob es sich beim De-Gasperi-Gruber-Pakt um eine Personal- oder Regionalautonomie handelte, ob die Garantie dem einzelnen oder der ethnischen Gruppe, als Kern in sich, gedacht war; sicher ist, daß die Regionalautonomie im Gesetz N) 5 des 26. Februar 1948 als Sonderstatut verabschiedet wurde und daß diese Regionalautonomie Tiroler und Trentiner umfaßt, zwei Volksgruppen, die Jahrzehnte hindurch wie Hund und Katze miteinander verkehrt hatten; jetzt mußten sie zusammen leben, mit dem Endzweck unserer Regierung, das deutsche Element, auch im eigenen Gebiet, in die Minderzahl zu versetzen. Ein Vertrag, sei er noch so vollkommen, kann sich nicht halten, wenn den vertragschließenden Parteien der gute Wille, ihn einzuhalten, fehlt.

Die Pariser Verträge und das Statut sind sicher nicht vollkommen, doch hätten sie gute Ergebnisse gezeitigt, wäre man vom europäischen Geist, der noch im Jahre 1946 über dem Pariser Himmel wehte, beseelt gewesen und hätte der gute Wille nicht gefehlt.

So aber verwirrten Regierung und Bürokratie die Verträge und das Statut. Die Wiederaufnahme der Optanten, die im De-Gasperi-Gruber-Vertrag vorgesehen war, wurde mit schikanöser Langsamkeit durchgeführt; dieArierkehrrungder Studientitel, der Pensionsansprüche der Kriegsinvaliden wurde durch unvernünftige Tüfteleien erschwert; die Normen zur Ausführung des Regionalstatuts und die damit verbundenen gesetzgeberischen Befugnisse der beiden Provinzen Bozen und Trentino, die einen rechtskräftigen Schutz für eine tatsächliche Autonomie bedeutet hätten, sind bis heute nicht erlassen; die Anwendung der deutschen Sprache in den öffentlichen Ämtern ist beschränkt, ebenso die Verwendung der Einheimischen in Spital, Gemeinde, bei Gericht, Polizei, Post und Eisenbahn. Die „berühmte“ Antwort des faschistischen Präfekten Mastromattei, als man ihm den Mißstand nahelegte, daß Ärzte, Pflegepersonal und Hebammen sich mit ihren Patienten nicht verständigen konnten: „Auch der Tierarzt kann sich mit seinen Patienten nicht auseinandersetzen“, hat auch im Jahre 1960 noch seine Aktualität.

Über die seltsamen Prozesse in Südtirol könnte man Bände schreiben.

Ich glaube trotzdem noch immer an die Möglichkeit einer beide Teile befriedigenden Lösung.

Die Tiroler mögen nicht radikale und vollkommene Lösungen träumen, sondern sich an das Mögliche halten, und zwar an das De-Gasperi-Gruber-Abkommen des 5. September 1946, und fest darauf bestehen, daß es integral und gewissenhaft verwirklicht werde.

Man kann die italienische Regierung zur Verwirklichung der Pariser Abkommen, die ja ein wesentlicher Teil des Friedensvertrages sind, zwingen. Hat sie sich doch auch schon abgefunden (nachdem sie zuerst das Gegenteil behauptet hatte), den internationalen Charakter der Abkommen und Österreich als gleichberechtigte Partei anzuerkennen.

Ein italienisches Sprichwort warnt: „Chi troppo vuole, nulla stringe.“ Wer zuviel will, richtet nichts aus. Und die Südtiroler und Österreich selbst könnten, meine ich, mit einer redlichen, weitgehenden Durchführung des Statuts zufrieden sein. Das Regionalstatut könnte leicht neu ausgearbeitet werden und die Provinzialautonomie größere legislative Vorrechte erhalten.

Sind einmal die formalen Schwierigkeiten überwunden und ist eine weitgehende Anwendung der Provinzialautonomie erlangt, müßte eine Auslese von Menschen gefunden werden: Beamte, die durch redliche und strenge Einhaltung der Verträge die von beiderseitigen Nationalismen vergiftete Atmosphäre entgiften.

Sind diese Ansichten allzu optimistisch? Oder geradezu einfältig? Weniger vielleicht.' als sie zu sein, scheinen. Der gute Wille versetzt Berge, und die Duldsamkeit lehrt uns, was für Wunder sie auch in dieser skeptischen Welt zu vollbringen fähig ist. Es heißt nur beginnen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung