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Es ist nicht üblich, an Festtagen von unangenehmen Dingen zu sprechen. Noch weniger, in Festansprachen auf zwischenstaatliche Differenzen hinzuweisen.

Als Napoleon III. Anno 1859 beim Neujahrsempfang dem österreichischen Gesandten Hübner gegenüber erklärte, daß sich die Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich erheblich verschlechtert hätten, wußte man allerorts, was diese Bemerkung zu bedeuten hatte: den unmittelbar bevorstehenden Krieg.

Man lebte in einer relativ zartbesaiteten Zeit. Heute ist man — wie ein Seitenblick auf die gleichzeitigen internationalen Ereignisse zeigt -wesentlich robuster geworden.

Niemand wird daher aus der Tatsache, daß der österreichische Bundeskanzler in seiner Festansprache zum Jubiläum des Staatsvertrages auf die gespannte Situation in Südtirol hinwies, den unsinnigen Schluß auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg zwischen Österreich und Italien ziehen.

Dennoch kann nicht eindringlich genug davor gewarnt werden, die Südtirolfrage als einen Familienstreit innerhalb der ominösen vielbemühten westlichen Welthälfte weiterhin lächelnd oder indigniert zu bagatellisieren. Das am 7. Mai auf dem Landestag der Südtiroler Volkspartei nach sehr heftigen Auseinandersetzungen im Beisein österreichischer Delegierter aller drei demokratischen Parteien verabschiedete Kommunique würde verhängnisvoll mißverstanden, wenn man es als ein sanftes diplomatisches Ruhekissen ansähe, auf dem nun die Experten und Juristen weiter schlummern können. Die Forderung nach Selbstbestimmung ist seit ihrer-deklamatorischen Verkündigung durch Wilsons Vierzehn Punkte schon mehrere Male zum Sprengstoff für ein europäisches Gleichgewicht geworden, das sich seit dem Berliner Kongreß in Europa nie mehr zum „Konzert“ entwickeln konnte.

Es ist ein offenes Geheimnis, daß die von den Südtirolern schließlich noch einmal gebilligte Forderung nach einer echten, also von der Trientiner Gesamtregion gesonderten Autonomie von den meisten Teilnehmern dieses Tages nur als eine allerletzte Verhandlungsgrundlage angesehen wurde, daß aber der Glaube an eine praktische Verständigungslösung in Südtriol selbst weitgehend geschwunden ist. Selbst wenn man überlaute Zweckpropaganda mit höchst unerwünschten nationalistischen Nebentönen (angesichts des Hitler-Verrats an diesem Lande besonders grotesk zu vernehmen) völlig außer acht läßt, bleibt ein Restbeistand an Brisanz übrig, der für eine echte Krise mit allen unabsehbaren Folgen ausreicht.

Der Gang Österreichs vor die Vereinten Nationen erscheint heute bereits unausweichlich. Ein Prestigestreit der Parteien um die Initiative und Durchführung dieses Schrittes wäre überholt und unwürdig.

Was aber dringend not tut sind zwei Dinge:

Zum ersten eine völlige Klarheit über das, was wir eigentlich vor dem Forum der Welt fordern wollen: Es kann nichts anderes sein als eine klare und verbindliche Feststellung jener Rechte unserer Südtiroler Landsleute, die dem Geiste, nicht nur dem etwas dehnbaren Wortlaut des Pariser Abkommens entsprechen, jenem Geiste, den De Gasperi selbst in seiner ersten Kammerrede 1946 beschwor, als er seinem Parlament das Abkommen interpretierte. Um dieser Rechte willen hat sich Österreich damals freiwillig der Selbstbestimmungsforderung begeben, die ihm zugestanden hätte. So und nicht anders' sind die Gewichte verteilt. Zur Durchführung dieses internationalen Vertrages muß Italien als Partner nun auch international angehalten werden.

Zum zweiten aber ist unsere Regierung verpflichtet, diese klare Linie auc'.i in ihrer für das Ausland bestimmten Propaganda zielbewußt und unter Ausschaltung von Nebentönen zu vertreten. Wir müssen die Welt auf den wirklichen Ernst der Lage und auf den damit verbundenen Ernst unseres Willens unmißverständlich hinweisen und uns diszipliniert von nationalistischen Forderungen und Parolen distanzieren, die durch ihre Maßlosigkeit und Unüberlegtheit der von uns vertretenen gerechten Sache nur schaden, Österreich aber Italien gegenüber in ein formales Unrecht setzen können. Wir dürfen die Dinge aber auch nicht verharmlosen und etwa das skandalöse Einreiseverbot für prominente und verantwortliche Österreicher dadurch zur Polizeischikane verkleinern, indem wir es mit unangebrachter Pfiffigkeit durchs Hintertürl umgehen. Ein Österreicher, der nicht erhobenen Hauptes über den Brenner reisen kann, braucht auch nicht über dje Schweizer Grenze „hinüberzuwechseln“. Wir w?rden, bestimmt ohne es gewollt zu haben, einen ganz “kleinen Teil der Weltaufmerksamkeit im kommenden Herbst, wenn die UNO-Tagung begonnen haben wird, auf unser Land und Volk lenken. Nicht auf eine Partei oder einen einzelnen Mann.

Wir haben dieser Aufmerksamkeit würdig und sicher standzuhalten. Weder mit hektischem Radau noch mit konziliantem Augenzwinkern werden wir glaubwürdig erscheinen ... i Mit einer routinemäßigen Information der Staatskanzleien dürfte es,aber .kaum genug sein. Bei dieser Frage stehen und fallen so viele grundsätzliphe ', Werte, die nicht allein- mit diplomatischen oder juristischen Kategorien erfaßt werden können. Man wird also nicht fehlgehen, wenn man auch die leitenden Persönlichkeiten der Kirche, diesseits und jenseits des Brenners, in gebührender Form mit dem Ernst der Auseinandersetzung, die sich ja nicht nur innerhalb der freien, sondern auch innerhalb der katholischen Welt vollzieht, vertraut macht. Was Österreich von dieser Seite erwarten könnte, wäre weniger eine Intervention als eine Klarstellung der unverletzbaren Prinzipien von hoher Warte. Die Hirtenworte des Brixener Oberhirten vor einigen Wochen können hier als ein Musterbild angesehen werden.

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