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Ad Calendas Graecas“

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Nachlässigkeit (auf österreichisch: Schlamperei) und Indiskretion erfüllen bei uns oft die positive Funktion, eine zwar verfassungsrechtlich verankerte, aber in der Praxis gern mißachtete demokratische Kontrolle zu ermöglichen, so daß die Öffentlichkeit dann schließlich doch auf solchem Umweg vom Inhalt jahrelanger Geheimnistuerei durch ausführliche Werke und Zeitungsmeldungen in Kenntnis gesetzt wird. So hat der ahnungslose Bürger zu seiner Überraschung auch erfahren, daß es vom „Operations -kauender“ bisher nicht einen, sondern zwei Entwürfe gibt, nämlich je einen von beiden Verhandlungspartnern. Diese wurden nun allerdings von österreichischer offizieller Seite als „seit Monaten überholte Positionen“ bezeichnet. Was ist nun richtig? Gegen den von selten des Ball-hausplatzes in letzter Zeit mit immer lauterem Crescendo verkündeten Optimismus spricht zunächst der Mangel nach Ton und Lautstärke ähnlicher, geschweige denn identischer Äußerungen von italienischer Seite. Ebenso gibt es zu denken, daß einem angeblich letzten abschließenden Expertengespräch immer noch ein allerletztes folgen soll. Ferner ist nicht recht einsehbar, was die Italienische Seite innert weniger Monate im wesentlichen zu der österreichischen Fassung des Operationskalenders bekehrt haben könnte. Ganz allgemein aber bestehen noch nach wie vor einige Bedenken: 1. daß es höchst unwahrscheinlich ist, daß sich Italien, nachdem es sich der sinngemäßen Erfüllung des Pariser Abkommens schon zu einer Zeit erfolgreich entziehen konnte, in der es sich nach dem Pariser Friedensvertrag vom Februar 1947 in einer moralisch und materiell schwachen Position befand, sich heute, am Gipfel wiedergewonnener Macht und Weltgeltung — siehe zum Beispiel in EWG und NATO —, bemüßigt sehen sollte, freiwillig zu leisten, was es noch vor zwanzig Jahren um ein Haar hätte leisten müssen, wenn es zu seinem Glück nicht mit Partnern zu tun gehabt hätte, die auf alle zeit- und situationebedingten und damit taktischen Vorteile von vornherein und dauernd geduldig verzichten; 2 .daß jede Vereinbarung über eine Verwirklichung der Beschlüsse der Neuneehner-kommission, selbst auf dem Wege der deutlichen Hintertür eines „Operationskalenders“, in italienischen Augen eine Erweiterung des Bereiches des Pariser Abkommens wäre, objektiv aber für Italien eine neue völkerrechtliche Bindung bedeuten würde, der zu entsprechen für jenen Staat heuite eben waniiger denn je Veranlassung besteht.

Nun gibt es über den Zweck der Neunzehner-Kommission und ihrer Beschlüsse, nämlich des „Pakets“, von italienischer Seite klare und schlüssige Äußerungen, die in Gesprächen, Verhandlungen und Regierungserklärungen vor dem italienischen Parlament sowie vor den Vereinten Nationen gefallen sind, deren offen ausgesprochenen Zweck und eindeutigen Sinn Österreich entweder nicht zur Kenntnis genommen hat oder wie jetzt via Operafions-kalender zu umgehen versucht. Was tut nun einer, der weiß, was er will — und ein solcher ist Italien also zweifellos —, der noch dazu über alle Möglichkeiten der Durchsetzung seines Willens verfügt, wenn ständiges Mahnen mit der Zeit lästig und dem internationalen Prestige, zum Beispiel mit Rücksicht auf das in den beiden u. a. auch von Italien (am 18. Jänner 1967) unterzeichneten International Covenants on Economic, Social and Cultural Rights und on Civil and PoJitical Rights vom 16. Dezember 1966 kodifizierte Recht aller Völker auf Selbstbestimmung, abträglich wird? Er wird genau das tun, was Italien eben seit Jahr und Tag tut: elastisch verhandeln und, wenn dies nicht anders geht, auch elastisch unterschreiben. Dabei wird er natürlich zumindest alles versuchen, um das zu unterzeichnende Dokument für die beabsichtigte Nichteinhaltung mit möglichst viel Schlupflöchern zu versehen, das heißt u. a. im vorliegenden Fall mögliche internationale Kontrollen, wie zum Beispiel die der seit dem 5. September 1961 (dem 15. Jahrestag nach Abschluß des Pariser Abkommens) bestehenden, nach ihrem Vorsitzenden, dem Belgier Paul Struye, benannten Kommission des Europarates zur Lösung der Südtirolfrage, auszuschalten. Was die unlängst veröffentlichte Inhaltsangabe der italienischen Version des Operationskalenders trotz allen Einwandes so ungeheuer wahrscheinlich macht, sind nun gerade dieser Punkt und andre sowie die zeitliche Reihenfolge derselben, was alles zusammen, sollte es wirklich, wie behauptet wird, überholt sein, zumindest deutlich zeigt, daß sich der Verfasser auch die Nichterfüllung dieses Abkommens (ein solches ist nämlich so ein Terminkalender) schon vor seiner endgültigen Fassung angelegen sein läßt. Was beweist es dann, daß er sich nunmehr trotzdem eine für ihn ungünstigere Fassung abpressen lassen hat? Im 18. Kapitel von Macchiavellis „Principe“ steht der bezeichnende Satz: „Es kann und darf ein kluger Fürst sein Wort nur halten, wenn eine solche Treue ihm nicht schädlich ist und wenn die Gründe nicht wegfallen, derentwegen er sein Versprechen gegeben hat.“ Dies ist erfahrungsgemäß ein sehr moderner und — Hand aufs Herz — nicht nur ein italienischer Grundsatz; sein Autor hat ja bekanntlich nicht vorgeschrieben, sondern letzten Endes nur beschrieben, was er erlebte. Zudem sind gerade die handfesten Gründe des „Versprechens“ vom 5. September 1946, nämlich die für Italien schwierige weltpolitische Lage, nachdrücklich weggefallen. Da unterschreibt man dann auch einen etwas ungünstigeren Text, wenn er wenigstens, indem er den Partner zu jahrelangem Abwarten zwingt, einen erklecklichen Zeitgewinn einträgt und die eigene Position immer besser und stärker zu werden verspricht, während die des Gläubigers materiell sowieso zu einem Papiertigerchen zusammengeschrumpft ist. So ist man das ständige Mahnen und die wie gesagt immerhin peinlichen Beschwerden vor den Vereinten Nationen und dem Europarat zunächst los und hat es weiterhin in der Hand, die dank der österreichischen Geduld immer uninteressiertere Welt mit formalen Beschlüssen und Maßnahmen zu täuschen. Was Österreich nach dem Staatsvertrag und seinem Artikel VII in Kärnten tut, kann Italien mindestens ebensogut nach dem Pariser Abkommen in Südtirol: formale, aber keine meritorische Erfüllung. Dazu hilft die allerdings typische italienische Gemeinsamkeit eines einheitlichen Lebensgefühls, das überall dort, wo etwas besser nicht laut und ausdrücklich ausgesprochen wird, die Funktion einer traditionellen Augurentelepathie erleichtert. Schon Kaiser Augustus — er hat bekanntlich Noricum und Teile von Pannonien, also das heutige Österreich unterworfen — pflegte, wenn er ein Versprechen nicht zu halten gedachte, seine Erfüllung ad Calendas Graecas, das heißt auf einen Tag zu verschieben, den es nicht gab.

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